Portrait eines Mannes
Story

Perowskit-Pionier: Wie ein Forscher Solarzellen und Röntgengeräte revolutioniert

Autor: Björn Lohmann

Der Physiker Felix Lang entdeckte die Selbstheilungskräfte eines weichen Halbleiters. Jetzt will er damit die Stromerzeugung im Weltall verbessern, Solarstrom auf der Erde vergünstigen und Röntgenaufnahmen mit weniger Strahlungsbelastung, besserer Auflösung und Farbe ermöglichen.

"Jeder sollte sie haben, überall auf der Welt!" Der Mann mit dem imposanten braunen Lockenkopf, der so begeistert ist, ist Dr. Felix Lang, und er spricht über Solarzellen. Der 34-Jährige ist jedoch kein Lobbyist der Solarbranche. Lang ist Physiker und als Freigeist-Fellow Gruppenleiter an der Universität Potsdam. Mit seinem Team will er nichts weniger, als den Aufbau von Solarzellen zu revolutionieren, für die Erde und für den Weltraum, und nebenbei die Medizin verbessern.

Langs Interesse an Solarzellen begann bereits in der Schule: "Solarzellen haben mich schon immer fasziniert, weil man selbst Strom herstellen kann", erinnert sich der Forscher. Daneben habe ihn der Weltraum schon früh beeindruckt. "Astronaut ist es aber nicht geworden, weil ich mich in jedem Verkehrsmittel übergebe", scherzt Lang.

Bei seiner Studienwahl schwankte er zwischen Physik und Weltraumtechnik. Immerhin wurden die ersten Solarzellen entwickelt, um im Weltraum Strom bereitzustellen. Die Internationale Raumstation verfügt heutzutage über eine 200 Kilowatt starke Solaranlage. Kurz liebäugelte der einstige Schulsanitäter damals auch mit dem Fach Medizin. "Am Ende habe ich all jene Gebiete wieder zusammengeführt, zwischen denen ich mich am Anfang nicht entscheiden konnte", freut sich Lang heute und verbindet mit seiner Forschung nun Physik, Weltraumtechnik und Medizin.

Bedeutsame Entdeckung – einfach aus Neugier

ROSI, der Name seiner Arbeitsgruppe, steht für "(Radiation-) Tolerant Electronics with Soft Semiconductors" – zu deutsch: strahlungstolerante weiche Halbleiter. Felix Lang arbeitete gerade als Doktorand mit Perowskit, als Forscher daraus die ersten Solarzellen herstellten. Perowskit ist  der Name für die vergleichbar weiche Kristallstruktur von Calcium-Titan-Oxid, einem Mineral, das erstmals im 19. Jahrhundert entdeckt wurde.

2010 begann die Forschung sich für synthetische Perowskite zu interessieren, einer vielversprechenden Halbleiter-Klasse für Solarzellen. Mehr aus Neugier unternahm der immer schon etwas unkonventionelle Doktorand Lang am Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) ein Experiment: Wie gut würde Perowskit die harte Strahlung in einem Elektronenbeschleuniger aushalten?

Klassische Solarzellen aus Silizium haben im Weltraum ein Problem: Treffen dort hochenergetische Protonen auf die Kristallstruktur des Halbleiters, schlagen sie Atome heraus, die dadurch eine andere Position einnehmen. Der Kristall ist nicht mehr perfekt, die Effizienz sinkt, und mit den Jahren geht die Solarzelle kaputt.

Mann hält biegsame Solarzellen in seiner Hand

Perowskit-Solarzellen sind äußerst flexibel.

"Perowskit hingegen ist weich und kann sich selbst heilen", berichtet Lang von seiner damaligen Beobachtung, die er weltweit als Erster publizierte und die seine weitere Karriere prägen sollte. Weil Perowskit so weich ist, kehren herausgeschlagene Atome wieder an ihre ursprüngliche Position zurück. Der Forscher vergleicht das gern mit einem Wackelpudding.

Tandem-Solarzellen für den Weltraum

Ein Stipendium lockte den jungen Postdoc zunächst nach Cambridge, wo er im Cavendish Laboratory an Tandem-Solarzellen für den Weltraum forschte: Die Kombination von zwei Schichten, die unterschiedliche Wellenbereiche des Lichts separat absorbierten, erlaubt ihm hierbei noch höhere Wirkungsgrade. Ein Rückkehrstipendium der Alexander-von-Humboldt-Stiftung brachte Lang schließlich wieder nach Deutschland und an die Universität Potsdam, wo ein Freigeist-Stipendium der VolkswagenStiftung ihm ermöglichte, seine eigene Forschungsgruppe aufzubauen. Die Kompetenzen des Teams sind ungewöhnlich breit und decken Chemie, Physik, Materialwissenschaft und Weltraumtechnik ab.

"Schon als Kind habe ich nachmittags Sachen zusammengelötet und versucht, Dinge zu erfinden", erzählt Lang. Das ein oder andere hat er dabei auch in die Luft gejagt. Langs Vater, von Beruf Ingenieur, hat ihm früh Technikbaukästen geschenkt. Die Mitarbeit in der Physik-AG der Schule war die logische Folge. Heute noch repariert er gerne Dinge, vor allem Fahrräder. Denn der Aufenthalt in der Natur, mit dem Fahrrad oder auch in Wanderschuhen, ist ein wichtiger Ausgleich zur Arbeit. "Das habe ich wohl von meiner Mutter", meint Lang, der als gebürtiger Münchener manchmal die Berge vermisst.

Zwei Männer stehen vor einer mit Formeln beschriebenen Tafel.

Tüfteln an der Tafel: Felix Lang (re) und ein Kollege an der Universität Potsdam.

Mit Bahn und Rad zwischen Arbeit und Familie

Seit kurzem hat der 34-Jährige selbst ein Kind und findet zwischen Arbeit und Baby nur wenig Freizeit. Drei Tage pro Woche arbeitet er derzeit, "aber als Wissenschaftler hört man abends nicht auf, wenn man fasziniert ist von seinen Versuchsergebnissen oder Fehlschlägen", erzählt Lang. Mit Bahn und Klappfahrrad fährt er von seinem Wohnsitz in Berlin zur Arbeit nach Potsdam.

Saß die Physik der Universität Potsdam bis vor einigen Jahren noch in Schloss Sanssouci, hat die ROSI-Gruppe nun ein Großraumbüro in einem modernen Bauwerk und Zugriff auf den Labortrakt des Lehrstuhls. "Das Großraumbüro erlaubt schnelle Absprachen", sagt Lang. Wird es dort im Sommer zu heiß, flieht das Team in die klimatisierten Labore. "Die Labore bieten alles, um Solarzellen selbst herzustellen", berichtet der Gruppenleiter. Aus den Mitteln des Freigeist-Stipendiums konnte er zudem ein Röntgendefraktometer anschaffen. Damit lassen sich die Halbleiter genau analysieren und deren Selbstheilung besser verstehen. Eine überraschende Entdeckung etwa ist, dass Perowskit besonders lange stabil bleibt, wenn es bestrahlt und damit aktiv beschädigt wird.

Zwei Männer in einem Labot

Felix Lang und sein Doktorand Biruk Alebachew Seid bereiten Perowskit-Lösung in geschützter Stickstoff-Umgebung vor. 

Solarzellen aus Perowskit sind klimafreundlicher

Überhaupt ist Perowskit ein attraktives Material: Es ist klimafreundlicher als Silizium, weil die Herstellung statt 1000 Grad Celsius nur 100 Grad erfordert. Das macht es zugleich günstiger. Nicht zuletzt "toleriert es ziemlich viel Dreck", wie Lang formuliert. Während Silizium in hochreinen Räumen hergestellt werden muss, weil schon eine winzige Ungenauigkeit im Kristall die Zellen schädigt, funktionieren Perowskit-Zellen sogar mit bis zu zehn Prozent Verunreinigung.

Ein Fokus der ROSI-Gruppe liegt aktuell – wie schon in Cambridge – auf Tandem-Solarzellen aus zwei unterschiedlichen Perowskiten. "Wir erzielen im Moment bis zu 27 Prozent Effizienz auf einem Quadratzentimeter Fläche", berichtet Lang, "das ist Weltrekord und besser als Zellen aus Silizium." Parallel dazu laufen erste Versuche mit drei Lagen, die unterschiedliche Teile des Lichts noch besser absorbieren. Auch Kombinationen von Perowskit und Silizium testen die Potsdamer zusammen mit einer Forschungsgruppe am Helmholtz-Zentrum Berlin unter Leittung von Steve Albrecht. Hier liegt der Rekord sogar bei 34 Prozent Effizienz. "Aber durch das Silizium verlieren wir Flexibilität", sagt Lang und macht klar, wohin für ihn die Reise geht.

Strom aus dem Weltall für die Erde?

Denn die Flexibilität ist eine weitere Stärke von Perowskit. Es wird als Lösung hergestellt und kann dann mittels Rotationsbeschichtung auf jede beliebige Oberfläche aufgetragen werden, auf eine Folie gesprüht oder wie Zeitungspapier gedruckt. "Schon eine Schicht von einem Mikrometer Dicke kann 99 Prozent des Sonnenlichts absorbieren", erläutert Lang. Seine Vision: Folien mit Perowskit-Solarzellen ins All bringen und dort zu Fußballfeld-großen Bahnen ausrollen. Mit heutigen Silizium-Solarzellen wäre das aufgrund der Steifheit und des Gewichts undenkbar.

Gelbe Flüssigkeit in Laborgefäßen.

Die Perowskit-Lösung kann auf jede beliebige Oberfläche aufgetragen werden.

Der Strom könnte auf Raumstationen oder planetaren Basen verbraucht werden – oder ließe sich sogar in Form von Mikrowellen zur Erde strahlen, wo daraus wieder Strom erzeugt würde. Japan will bereits im kommenden Jahr Solarstrom aus dem Weltall auf der Erde nutzen.

Die Visionen des Physikers reichen noch weiter: „Was wäre, wenn wir die Solarzellen direkt auf dem Mond herstellen könnten?“ Immerhin kostet ein Kilogramm Transportkapazität in den Weltraum rund eine Million Euro. Langs Team hat Regolith genommen, ein dem Mondstaub ähnliches Material, und daraus ein Glas mit Perowskit-Solarzellen hergestellt. „Das hat ein Jahr gedauert, aber inzwischen erreichen wir gute Effizienzen und verwandeln bis zu zehn Prozent der Lichtenergie in Strom – bei über 99 Prozent Gewichtsersparnis“, berichtet Lang.

Erste Tests im Weltall haben begonnen

Erst vor wenigen Wochen ist eine Ariane-6-Rakete ins All gestartet, die Perowskit-Solarzellen der ROSI-Gruppe an Bord hat. Das Experiment soll nun zeigen, ob die Technik wirklich im All funktioniert. Außerdem ist in diesem Jahr noch der Start eines selbst-entwickelten Mikrosatelliten mit Isar-Aerospace geplant, mit dem Zellen der Potsdamer zwei Jahre lang im Weltraum getestet werden sollen. „Ich wäre gern der Erste gewesen, der Perowskit in den Weltraum bringt“, erzählt Lang, aber – bedingt durch Start-Verzögerungen der Ariane-6-Rakete – war inzwischen die NASA schneller und hat erste Perowskit-Filme zur ISS gebracht. Immerhin sei sein Team das erste, das funktionsfähige Perowskit-Tandem-Solarzellen an Bord eines Satelliten im Orbit systematisch testen wird – sofern beim Raketenstart und Satellitenbetrieb alles reibungslos klappt.

In einem weiteren Schritt erprobt die ROSI-Gruppe derzeit, ob sich auch organische Solarzellen mit Perowskit kombinieren lassen. Bislang gelten diese kunststoffbasierten Zellen als sehr empfindlich, aber sie sind ebenfalls relativ weich. Noch ist unklar, ob entsprechende Tandem-Solarzellen harte Strahlung aushalten. „Wir hatten Solarzellen, die schnell kaputtgegangen sind, und Weiterentwicklungen, – mit neuem Additiv – die erstaunlich stabil waren“, berichtet Lang. Überhaupt war Perowskit für den Physiker nur der erste Schritt: „Wir suchen nach anderen weichen, selbstheilenden Materialien, die nicht die Schwachstellen von Perowskit haben.“ Denn das Material ist anfällig gegen Luftfeuchte und gegen Sauerstoff, was zumindest den Einsatz auf der Erde erschwert. Das Verkapseln zwischen zwei Folien soll bis dahin das Perowskit schützen und so langfristig Zellen mit einer Haltbarkeit von 25 Jahren ermöglichen.

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