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Wärmerecycling in Städten: Lässt sich die Hitze in Großstädten für die Energiewende nutzen?

#Transdisziplinarität

Autor: Tim Schröder, Illustrationen: Kati Szilágyi

Illustration einer Frau mit schmelzendem Eis. Im Hintergrund eine dampfende Stadt.

Die Umweltwissenschaftlerin Susanne Benz will künftig Wärme ernten, die von Großstädten in riesigen Mengen abgestrahlt wird. Dieses Wärmerecycling könnte dazu beitragen, den Energieverbrauch zu senken – eine ungewöhnliche Idee, die sie mit Unterstützung durch ein Freigeist-Fellowship in den kommenden Jahren näher erforschen wird.

Die Großstädte der Welt heizen sich auf. Nicht nur, weil in der Sommerzeit die Hitze in den Straßenschluchten steht oder weil Hausdächer und asphaltierte Parkplätze die Sonnenstrahlen geradezu aufsaugen.

Thumbnail mit einem Portrait von Susanne Benz Play Video

Susanne Benz im Videoportrait: Sommerhitze in Großstädten recyclen

Es sind die Städte selbst, die große Mengen an Wärme abgeben – vor allem auch in den Untergrund. Warmwasserleitungen, Heizungskeller und U-Bahnschächte strahlen unaufhörlich Wärme ab. In der Nähe von Tiefgaragen ist es mitunter um zehn Grad wärmer als in der weiteren Umgebung. Diese Wärme, die eine Stadt permanent nach unten abstrahlt, reicht erstaunlich weit. Unter Ballungsräumen wie Berlin oder Tokio hat sie sich im Laufe von Jahrzehnten bis in mehr als 100 Meter Tiefe ausgedehnt. Fachleute sprechen von "akkumulierter Wärme" oder schlicht von unterirdischen Wärmeinseln. "Leider wird diese Abfallwärme bislang nicht genutzt", sagt Dr. Susanne Benz, Umweltwissenschaftlerin am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). "Dabei wäre es absolut sinnvoll, damit Gebäude zu heizen, um den Energieverbrauch in Städten zu senken."

Mehr als klassische Geothermie

Seit dem Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine vor zwei Jahren hat das Interesse an Erdwärme in Westeuropa stark zugenommen. Jahrelang hatten die Deutschen auf billiges Gas aus Russland gesetzt – bis das Putin-Regime die Pipelines schließen ließ. Jetzt sind alternative Energiequellen gefragt – vor allem auch die Wärme aus der Tiefe. Bei der klassischen Erdwärme, der Geothermie, nutzt man die Energie, die aus dem Erdinneren abgestrahlt wird. Dank dieser natürlichen Heizung ist der Untergrund in Deutschland in 20 Meter Tiefe ungefähr acht bis zehn Grad Celsius warm. Pro 100 Meter Tiefe wird es um weitere drei Grad wärmer. "In meiner Arbeit dreht es sich aber nicht um diese klassische Form der Geothermie, sondern um die Frage, ob wir künftig nicht auch die Wärme recyceln sollten, die wir selbst freisetzen", sagt Susanne Benz.

Damit hat sie sich ein sehr spezielles Thema herausgepickt, das bislang weltweit kaum beachtet wird. Ihre Arbeit wird seit eineinhalb Jahren durch ein Freigeist-Fellowship der VolkswagenStiftung unterstützt, das außergewöhnliche Forschungsansätze wie diesen fördert. Zusammen mit ihren drei Doktorandinnen will sie herausfinden, wie groß das Wärmepotenzial ist. Was wird es kosten, diesen Wärmeschatz zu heben? Und gibt es in den Städten überhaupt genug Platz für Anlagen, mit denen sich Abfallwärme recyclen lässt? Solche grundlegenden Fragen will sie mit ihrem Forschungsteam in den kommenden Jahren beantworten.

Illustration eine schwitzenden Frau mit erschöpftem Hund.

Das Handwerkszeug von Susanne Benz sind Daten. Sie sammelt Daten über die Lage, Ausdehnung und Tiefe von Grundwasservorkommen, über die Beschaffenheit des Bodens und des Untergrundes, über die Bebauung der Städte, über Häuser, U-Bahnschächte und Tiefgaragen und unterirdische Einkaufszentren. Daraus berechnet sie dann mithilfe von Simulationen am Computer, wie viel Wärme eine Stadt im Sommer, im Winter, bei Tag und bei Nacht an den Boden abgibt – und auch wie viel Wärme bereits im Untergrund gespeichert ist.

So wie es jetzt ist, geht es ja nicht weiter: Wir werfen Wärme einfach zum Fenster hinaus. Es wäre schon viel gewonnen, wenn das Thema zum Beispiel in der Stadtplanung ankommen würde.

Susanne Benz

Wie viel Wärme liegt unter der Stadt?

Die ersten Ergebnisse zeigen, dass das Wärmepotenzial groß ist, sagt Susanne Benz. "Zunächst könnte man die akkumulierte Wärme nutzen, die bereits im Boden steckt." Dazu würde man das recht warme Grundwasser nach oben fördern, um Wärmepumpen zu betreiben. Die Wärmepumpen entziehen dem Wasser seine Energie. Das Wasser kühlt sich ab und wird dann wieder in die Tiefe gepumpt. "Damit holen wir die Wärme zurück, die sich im Lauf von Jahrzehnten im Boden angereichert hat", sagt Benz, "so lange, bis der Untergrund wieder die normale Temperatur erreicht, die außerhalb der Stadt herrscht." Über wie viele Jahre sich die akkumulierte Wärme nutzen lässt, dürfte von Stadt zu Stadt verschieden sein. Wie lange genau ein städtisches Wärmereservoir hält, will die Forscherin mit ihrem Team in der nächsten Zeit für mehrere Metropolen berechnen.

Bis zum Normalzustand

Nach den derzeit geltenden Vorschriften gäbe es allerdings ein Hindernis: Wer heutzutage Grundwasser nutzt, um seine Wärmepumpe zu betreiben, darf es nicht zu stark abkühlen, damit die natürlichen Bedingungen in den Grundwasserspeichern erhalten bleiben – auch, um die Lebewesen zu schützen, die im Grundwasser leben. Im Fall der städtischen Wärmeinseln müsste also zunächst rechtlich geklärt werden, ob es zulässig ist, die Temperatur des Grundwassers wieder auf die historische Normaltemperatur herunterzukühlen.

Doch derlei Überlegungen spielen für Susanne Benz derzeit noch keine Rolle. "In diesem Projekt möchten wir erst einmal grundsätzlich klären, ob es sich überhaupt lohnt, die städtische Abfallwärme zu nutzen." Rechtliche Aspekte seien derzeit noch irrelevant – und auch die Frage, wie sich die Wärme technisch gewinnen lasse. Das sei später eher die Aufgabe der angewandten Ingenieurswissenschaften am KIT. "Tatsächlich ist mein Projekt nicht sehr konservativ, weil der direkte Anwendungsbezug fehlt, den Projekte eigentlich immer brauchen", sagt Susanne Benz. "Aber das macht das Freigeist-Stipendium ja aus: Einfach mal schauen, ob sich eine Technologie lohnen könnte, ohne gleich an die Konsequenzen denken zu müssen. Denn zum Teil geht unsere Arbeit ja auch in Richtung Geoengineering" – der Idee, den Wärmehaushalt der Erde durch technische Maßnahmen zu beeinflussen, was in der Wissenschaft derzeit durchaus umstritten ist.

Illustration einer Frau mit welken Pflanzen in einer Dachgeschosswohnung.

Wärme einfangen

Die akkumulierte Wärme im Untergrund ist das eine. Zusammen mit ihren Doktorandinnen will Susanne Benz darüber hinaus auch jene Wärmemengen berechnen, die aktuell rund um die Uhr aus den Städten in den Boden gelangen. Sind sie so groß, dass es sich lohnen würde, Wärmetauscher im Boden zu vergraben oder die Abwärme direkt in der Tunnelröhre einer U-Bahn oder in der Wand eines Parkhauses abzugreifen? "Wie gesagt, wir wollen zunächst die Wärmeflüsse abschätzen, ehe es konkret wird", sagt Benz. "Noch ist das ja Zukunftsmusik. Ich denke, dass es noch mindestens zehn Jahre oder gar mehrere Jahrzehnte braucht, um Anlagen für das Wärmerecycling technisch umzusetzen." Dennoch hofft sie, mit ihrer Arbeit die Welt ein klein wenig besser machen zu können. „Ich möchte vor allem auch für das Thema sensibilisieren. So wie es jetzt ist, geht es ja nicht weiter: Wir werfen Wärme einfach zum Fenster hinaus. Es wäre schon viel gewonnen, wenn das Thema zum Beispiel in der Stadtplanung ankommen würde, wenn man bei Neubaugebieten an Anlagen für das Wärmerecycling denken würde."

Lieber die Erde als das All

Dass das Wärmerecycling bislang kaum beachtet wird, liegt auch daran, dass es von keiner wissenschaftlichen Disziplin wirklich berührt wird. Es sitzt thematisch gewissermaßen zwischen den Stühlen. "In der Atmosphärenphysik und Meteorologie werden die Wärmeflüsse nur bis etwa zehn Zentimeter tief im Boden betrachtet", sagt Susanne Benz. "Die Geothermie wiederum beschäftigt sich mit Wärmeflüssen, die von unten kommen – niemand ist so richtig zuständig für Wärmerecycling." Sie selbst bringe beides zusammen. Im Masterstudium hatte sie Astro- und Geophysik in Göttingen studiert; ein Studiengang, der die Erde von außen und von innen betrachtet. "Während der Masterarbeit merkte ich dann, dass das All zwar sehr interessant ist, dass mich die Vorgänge direkt unter unseren Füßen aber doch mehr interessieren." Und so wählte sie den Schwerpunkt Geophysik. Es folgte eine Promotion, in der sie sich mit dem Wärmetransport im Grundwasser beschäftigte. Damit war sie bereits recht nah an ihrem jetzigen Thema.

Damals wurde ihr klar, dass sie sich vor allem für Zahlen interessiert. Sie könne gut logisch denken. Simulationen, Datenwissenschaften seien ihre Themen, sagt sie. Die Zeit nach ihrer Promotion verbrachte sie an der University of California in San Diego im Bereich Umweltwissenschaften. Es ging darum, Geodaten für die Umweltplanung zu bearbeiten – einen Bereich, der Politik, Gesellschaft und Umwelt zusammenbringt –, so, wie sie es auch in ihrer aktuellen Arbeit tut.

Zusammen mit ihren Doktorandinnen hat sie kürzlich für einen Fachartikel berechnet, ob das Wärmerecycling auch dazu beitragen könnte, die Städte zu kühlen. Wird es an heißen Tagen kühler, wenn man dem Boden die Wärme entzieht? Der Effekt könnte größer sein als gedacht. Ob man tatsächlich einen Kühleffekt spüre, hinge indes sehr von der Umgebung ab. Eine Mauer zum Beispiel, die sich während des Tages stark aufheizt, strahlt auch am späten Nachmittag so viel Hitze ab, dass sie den Kühleffekt zunichte macht. An anderen Stellen aber könne das Wärmerecycling durchaus eine kühlende Wirkung entfalten.

Illustration eines Satellitenbildes

Vorbild für den wissenschaftlichen Nachwuchs

Die Arbeitsgruppe, die Susanne Benz als Freigeist-Fellow am KIT aufgebaut hat, ist für sie nicht nur ein Ort, um sich selbst zu verwirklichen. "Mir ist es total wichtig, auch meinen Doktorandinnen die Möglichkeit zu geben, zu glänzen", sagt sie.

"Ich schätze die Lehre, die Fortbildung. Ich gebe mein Wissen gern weiter. Aus eigenen Erfahrungen im Doktorandenkonvent und in der Post-doc-Gewerkschaft weiß ich, wie sehr manche Promovierende ausgebeutet werden. Ich will es anders machen. Ich möchte Vorbild sein." Dabei hofft sie auch, ein wenig frischen Wind in die Naturwissenschaften am KIT zu bringen – nicht nur mit ihrem Projekt. "Es gibt hier recht wenige Frauen in leitenden Positionen. Ich möchte zeigen, dass man als Nachwuchsforscherin anders, locker und durchaus auch bunt angezogen sein kann. Warum nicht auch mal rosa." Insofern ist sie in vielfacher Hinsicht ein Freigeist.

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