Zwei Hände halten einen grünen Sack mit Reishülsen
Story

Vom Abfall zur bezahlbaren Hygiene

#Nachhaltigkeit #Transdisziplinarität

Andrew Curry

Maschinenbauingenieur Peter W. Olupot aus Kampala erforscht seit zehn Jahren,  wie man Reishülsen in Aktivkohle umwandeln kann – und baut daraus erschwingliche Wasserreinigungssysteme für abgelegene Orte.

Es erfordert ein gewisses Talent, in etwas, das die meisten als Abfall betrachten, ein weltveränderndes Produkt zu finden. Peter W. Olupot hat dieses Talent. Der Professor für Maschinenbau an der Makerere-Universität in Kampala, der Hauptstadt Ugandas, hat die letzten zehn Jahre damit verbracht, Wege zur Herstellung erschwinglicher Wasserreinigungssysteme unter Verwendung von Reishülsen, einem üblichen Nebenprodukt der Reisproduktion, zu finden.

Reis ist eine wichtige Kulturpflanze in Uganda – er wird angetrieben durch die Regierung sowohl für den Inlandsverbrauch als auch für den Export angebaut. "Es gibt eine konzertierte Aktion zur Förderung des Reisanbaus", sagt Olupot. Im vergangenen Jahr bauten die ugandischen Landwirte mehr als 700.000 Tonnen Reis an.

Lästige Reste

Doch der viele Reis sorgt für lästige Überreste. Um die Körner zu verarbeiten, müssen die Reismühlen zunächst die Schalen entfernen. "Es gibt bisher keine gute Verwendung für Reishülsen in Uganda”, sagt Olupot. "Normalerweise werden sie einfach hinter den Reismühlen gelagert.” Im schlimmsten Fall fangen sie Feuer, schwelen manchmal monatelang und ersticken die umliegenden Dörfer mit ihrem Rauch.
Das hat unternehmungslustige Ugander nicht davon abgehalten, nach Wegen zu suchen, die Reishülsen zu nutzen. Vor einem Jahrzehnt wandte sich der Besitzer einer örtlichen Reismühle mit einem Problem an die Maschinenbauabteilung der Makerere-Universität. Er wollte Reishülsen zu Briketts pressen, um sie in heimischen Küchen zu verwenden. 

Die Pressmaschine, mit der die Hülsen gepresst wurden, ging jedoch immer wieder kaputt. Auch waren die Briketts selbst im Vergleich zu denen aus Holzkohle von schlechter Qualität. Olupots damaliger Vorgesetzter in der Abteilung für Maschinenbau bat ihn, die Metallmaschinen der Fabrik auf mögliche Schwachstellen zu untersuchen. Doch Olupot war bald nicht mehr auf die Maschinenteile fokussiert, sondern fasziniert von den Reishülsen, die durch die Maschinen liefen.

Eine Hand hält Reishülsen

In Uganda stehen Reishülsen in großen Mengen zur Verfügung, sie konnten bislang aber kaum als Rohstoff genutzt werden. 

"Ich interessierte mich für die Eigenschaften des Materials, das extrudiert wurde”, sagt er. "Ich dachte, die Reishülsen könnten die Ursache des Problems sein", sagt Olupot.

Nach einem Blick in die wissenschaftliche Literatur und Gesprächen mit Reisbauern und -verarbeitern fand Olupot schnell heraus, dass Reishülsen eine besondere Herausforderung darstellen: Die zähen Außenmembranen der Reiskörner enthalten mehr als 80 % Siliziumdioxid, die gleiche Substanz wie der Quarz im Sand. "Es ist sehr abrasiv", sagt Olupot,  "und verursachte einen hohen Verschleiß an den Maschinen." Unterdessen brannten die aus den Reishülsen hergestellten Briketts langsam und produzierten wegen der enthaltenen Mineralien viel Asche.

Ein Reisfeld in Uganda

Auch in Zirobwe nahe Ugandas Hauptstadt Kampala prägt Reisanbau die Landwirtschaft.

Außerdem sind Reishülsen schwer verdaulich, so dass sie sich nicht als Tierfutter eignen; sie zersetzen sich nur langsam, was zu einem schlechten Kompost führt. Eine der wenigen Verwendungsmöglichkeiten für Reishülsen, die ugandische Reisbauern gefunden haben, ist die Verwendung als Einstreu für Tiere. Allerdings ist dies kaum ein hochwertiges Produkt. "Ich habe mich gefragt, welche alternativen Verwendungsmöglichkeiten es gibt", sagt Olupot.

Eine transdisziplinäre Reise

Dieser Gedanke war der Beginn einer zehnjährigen Suche nach einer optimalen Nutzung von Reishülsen – eine Reise, die das Konzept der Transdisziplinarität veranschaulicht. Seit 2015 wird Olupot von der VolkswagenStiftung gefördert. In der Zeit hat er hat einen Weg gefunden, die weggeworfenen Reishülsen in Aktivkohle umzuwandeln, die Schlüsselkomponente für kostengünstige Wasserreinigungssysteme. Dabei arbeitete er mit Chemie- und Biosystemingenieuren zusammen, beriet sich mit den Leitern lokaler Marktplätze in Uganda und sprach mit Landwirten und Reismühlenbesitzern über ihre Erfahrungen mit Reishülsen.

Portrait eines Mannes

Peter W. Olupot lehrt und arbeitet am College of Engineering, Design, Art and Technology der Makerere Universität in Kampala. Die in Uganda in großen Mengen anfallenden Reishülsen sieht er als Ressource, nicht als Abfall.

Die Wasseraufbereitung mit Aktivkohle basiert auf der Verwendung von Aktivkohlekörnern, die eine große Oberfläche aufweisen. Ein Gramm Aktivkohle kann eine beeindruckende Oberfläche von 3.000 Quadratmetern haben. Dies verleiht der Kohle eine hohe Kapazität zur Bindung von Verunreinigungen. Durch den Kontakt mit der Aktivkohle werden Verunreinigungen wie organische Verbindungen, Chlor und Schwermetalle gebunden.  "Das Ergebnis ist reines Wasser, das anschließend einer Desinfektion zur Abtötung von Bakterien unterzogen werden kann", sagt Olupot. Die in den meisten Wasserreinigern verwendete Aktivkohle wird aus Holz oder Kokosnussschalen hergestellt, die mit Chemikalien behandelt und sehr hohen Temperaturen ausgesetzt werden.

Im Rahmen des Förderprogramms "Wissen für morgen – Kooperative Forschungsvorhaben im subsaharischen Afrika" der Volkswagen-Stiftung hat Olupot die wissenschaftliche Literatur gesichtet und Möglichkeiten untersucht, Reishülsen in Aktivkohle umzuwandeln. In Zusammenarbeit mit Kollegen aus dem Fachbereich Agrarwissenschaften der Universität Kassel in Deutschland konnte schließlich eine Rezeptur entwickelt werden, mit der das Siliziumdioxid in den Reishülsen mit Hilfe gängiger Chemikalien, darunter leicht erhältliche Natriumhydroxid oder Lauge, vom organischen Material getrennt werden kann. Durch die chemische Behandlung und das anschließende Erhitzen der übrig gebliebenen Kohle konnte er Aktivkohle herstellen, die mit den aus verbranntem Holz hergestellten Varianten konkurrieren kann.

Eine Hand mit Handschuh liegt auf einem Becherglas mit schwarzem Inhalt.

Aktivkohle weist eine große Oberfläche auf: Ein Gramm kann eine Oberfläche von 3.000 Quadratmetern haben - deshalb kann die Kohle Verunreinigungen sehr gut binden.

Großes Interesse

Die daraus resultierenden Veröffentlichungen wurden in nur wenigen Jahren hunderte Male zitiert, was zeigt, dass das Interesse an diesem Verfahren weit verbreitet ist. Die Reishülsen-Forschung von Olupot erfuhr 2020 einen weiteren Aufschwung, als die COVID-Pandemie Forscher:innen weltweit dazu veranlasste, transdisziplinäre Lösungen für die globale Krise zu finden. Olupot war sich der Tatsache bewusst, dass in ländlichen und verarmten Teilen Ugandas der Zugang zu sauberem, fließendem Wasser ein entscheidender Faktor ist, um die Hände sauber und frei von Krankheiten zu halten. "Es gab einen Aufruf der VolkswagenStiftung, Lösungen zu finden", erinnert sich Olupot. "Ich schlug vor, eine Technologie zur Optimierung des Händewaschens zu entwickeln."

Auch Schulen oder dicht besiedelte Gebiete können davon profitieren.

Peter W. Olupot

Zu dieser Zeit war es in Uganda Pflicht, sich die Hände zu waschen, bevor man öffentliche Räume wie Marktplätze oder Apotheken betrat. Ein Großteil des Abwassers wurde nach einmaligem Gebrauch entsorgt, was oft die Vegetation vernichtete oder zu unhygienischen Bedingungen beitrug.

Von der Idee zum Prototyp

Innerhalb eines Jahres baute und patentierte Olupot den Prototyp einer Handwaschanlage , die Wasser durch Schichten von Aktivkohle aus Reishülsen leitet. Das gereinigte Wasser konnte anschließend wiederverwendet werden, sodass die Anlage auch für Dörfer ohne Zugang zu fließendem Wasser geeignet war. Als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme erzeugt ein Solarpanel an der Oberseite genügend Strom, um mit UV-Licht alle Bakterien abzutöten, die nicht durch die Aktivkohle gefiltert wurden. "Auch Schulen oder dicht besiedelte Gebiete können davon profitieren", sagt Olupot.

Drei Männer stehen an einer Handwaschanlage

Peter W. Olupot (rechts) und seine Kollegen Joel Wakatuntu and Tonny Kavuma am Prototypen der Handwaschanlage.
 

Olupots Weg zur Forschung an Reishülsen war nicht geplant, als er sich an der Universität bewarb. Der mathematisch und naturwissenschaftlich begabte Student wollte eigentlich Elektrotechnik studieren, doch ein staatliches Stipendium für Studenten des Maschinenbaus animierte ihn im letzten Moment dazu, das Fach zu wechseln. Ein Schritt, für den er später dankbar war. "Als Maschinenbauingenieur hatte ich mehr Chancen auf einen Arbeitsplatz", sagt er. Die Finanzierung durch die Stiftung trug entscheidend dazu bei, seine Entdeckungen zu ermöglichen", so Olupot:  "sie hat mir in vielerlei Hinsicht geholfen". Kurse und Mentoring für das Verfassen von Förderanträgen und Öffentlichkeitsarbeit haben die Wirkung seiner Forschung verstärkt. Die von der Stiftung angebotenen Managementkurse halfen ihm, sein Labor zu erweitern und acht Doktoranden zu betreuen. "Das hat meiner Forschung ungemein geholfen", sagt Olupot.

Neue Quellen für Biomasse

Die Erfahrung und das Wissen, das Olupot durch die Forschung an Reishülsen gewonnen hat, führte zu einem breiteren Interesse an der Umwandlung von vernachlässigten Biomassequellen in Kohlenstoff – von Maiskolben bis zu Reishülsen der in andere Produkte eingebaut werden kann. "Im Idealfall können, unkonventionelle Materialien wie Reishülsen verwendet werden", sagt Olupot. "Denn das Abholzen von Bäumen zur Herstellung von Holzkohle stellt ein Umweltproblem dar".

Ein MItarbeiter wendet Reis in einer Reismühle in Uganda

In einer Reismühle in Zirobwe wendet Mitarbeiter Mulopa Davis den frisch geernteten Reis, der an der Sonne getrocknet und regelmäßig von Hand gewendet wird. Anschließend lassen sich die Reiskörner gut schälen und können ohne Schimmelgefahr gelagert und verkauft werden.

Auf dem Weg zu zukünftigen Anwendungen

Eine Anwendung, die er in Zukunft verfolgen möchte, ist der sogenannte "grüne Stahl", bei dem Kohlenstoff aus Biomasse als Teil des Produktionsprozesses verwendet wird. Idealerweise könnten auch Reishülsen zu diesem Prozess beitragen. "Wir sollten uns intensiver damit beschäftigen, was wir mit Kohlenstoff aus Biomasse machen können", sagt er.

Olupot hat ein Patent für seine solarbetriebene, auf Reishülsen basierende Handwaschanlage angemeldet. Obwohl die Dringlichkeit von COVID-Prävention abgenommen hat, gibt es immer noch einen Bedarf an dieser Technologie: An Orten, an denen es kaum Sanitäranlagen und andere Infrastrukturen gibt, von Flüchtlingslagern bis zu Schulen in ländlichen Dörfern. Auch ugandische Beamte erforschen Aktivkohle als Teil der Wasseraufbereitung, da sie Schwermetalle herausfiltern kann. "Es gibt Orte, die nicht den Luxus von fließendem Wasser haben", sagt Olupot. "Wir haben viele Gemeinden, die von dieser Technologie profitieren könnten."

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