Mann deutet mit seinen Händen eine Weltkugel an
Story

Wie können wir Pandemien zukünftig verhindern?

Autorin: Helen Albert

Wir verändern die natürliche Umwelt, in der wir leben. Durch unseren Einfluss kann das Risiko von Infektionskrankheiten steigen. Der Epidemiologe Joacim Rocklöv glaubt, dass eine Änderung des menschlichen Verhaltens entscheidend ist, um Pandemien in Zukunft zu verhindern.

"Wie wir die Natur beeinflussen, hat Konsequenzen für uns", erklärt Joacim Rocklöv, der 2022 eine Alexander-von-Humboldt-Professur an der Universität Heidelberg antrat, die zwischen dem Heidelberger Institut für Global Health und dem Interdisziplinären Zentrum für wissenschaftliches Rechnen angesiedelt ist. "Ich interessiere mich sehr dafür, wie uns die Interaktion mit der Umwelt beeinflusst. Außerdem liegt mir viel daran, den Menschen Wissen zu vermitteln, um schädliche Verhaltensweisen zu ändern", sagt er. "Meiner Meinung nach können wir das nur durch Wissen und Handeln ändern."

Rocklöv stammt nicht aus einer akademischen Familie, doch mathematische und naturwissenschaftliche Themen fand er schon immer faszinierend. Er begann seine wissenschaftliche Laufbahn als Mathematiker und entdeckte sein Interesse an Gesundheitsforschung während seines Masterstudiums in mathematischer Statistik. In seinem Heimatland Schweden ist er nach wie vor als Gastprofessor an der Fakultät für öffentliche Gesundheit und klinische Medizin der Universität Umeå tätig.

Das Problem an der Wurzel packen

"Mir liegt die Umwelt sehr am Herzen, aber das war mir nicht immer so bewusst. Das änderte sich, als ich auf der Suche nach einem Projekt für meine Masterarbeit war", sagt Rocklöv. "Ich suchte nach einem Forschungsthema an der Schnittstelle zwischen Mathematik und Gesundheit. Als ich es fand, war ich sofort Feuer und Flamme."

Nach seinem Studium an der Universität Umeå und seiner Promotion in Umweltepidemiologie hat Rocklöv seine interdisziplinäre Forschung mit dem Fokus auf globaler Gesundheit, Umweltveränderungen und Infektionsepidemiologie fortgesetzt. Sein besonderes Interesse gilt der Verhinderung von Pandemien und der Frage, wie vom Menschen verursachte Probleme – wie beispielsweise der Klimawandel – die Ausbreitung von Krankheiten beeinflussen.

Es geht darum, die Gesundheit der Umwelt, die Gesundheit der Tiere und die Gesundheit der Menschen nicht als drei getrennte Dinge zu betrachten. 

Joacim Rocklöv

"Ich mache mir Sorgen darüber, welche Auswirkungen unser Handeln auf die Gesundheit unserer Umwelt, der Tierwelt und von uns Menschen selbst hat. Dieses Zusammenspiel wird als 'Planetary Health' – planetare Gesundheit – bezeichnet. Sie beeinflusst das Risiko von Zoonosen und Pandemien in vielerlei Hinsicht", sagt er und erklärt, dass seiner Meinung nach der Schwerpunkt weltweit zu sehr auf der Vorbereitung auf erneute Pandemien liegt, anstatt dass man versucht, Pandemien gar nicht erst entstehen zu lassen.

"Meiner Meinung nach müssen wir das Problem an der Wurzel packen, sonst gerät es außer Kontrolle. Dazu gehört eine tiefgreifende Präventionsarbeit wie die Bekämpfung des Klimawandels, der Entwaldung und des Tierhandels. Natürlich werden auch Impfstoffe und Diagnostika dringend benötigt, damit wir erkennen und handeln können, aber wir können nicht nur reagieren, sondern müssen proaktiv handeln."

Ein Klima im Umbruch

Viele Infektionskrankheiten, insbesondere solche, die von Insekten und anderen Tieren übertragen werden, können durch den Klimawandel beeinflusst werden – ein Thema, das Rocklöv ein großes Anliegen ist. So sind beispielsweise Stechmücken, die Krankheiten wie Dengue-Fieber und Malaria übertragen, an warme Klimazonen angepasst. Wenn sich kühlere Länder oder Regionen wie Europa erwärmen, sind diese Insekten in der Lage, dort zu überleben, und können Krankheiten in einem größeren Gebiet als zuvor zu verbreiten.

"Wir Epidemiolog:innen haben viel dafür getan, Krankheiten wie Dengue und Malaria zu verstehen. Aber es gibt noch so viel mehr zu tun: Das Klima wirkt sich auf Ökosysteme, die Lebensbedingungen von Insekten und Tieren, Nahrungsketten und viele weitere Faktoren aus", betont Rocklöv.

Wissenschaftler:innen gehen davon aus, dass mindestens 10.000 in Wildtierpopulationen zirkulierende Virusarten den Menschen infizieren könnten. Gegenwärtig ist dies bei den meisten nicht der Fall, aber das könnte sich in Zukunft ändern. In einem 2022 in der Fachzeitschrift "Nature" veröffentlichten Paper wird vorausgesagt, dass Veränderungen des Klimas und der Landnutzung bis 2070 zu etwa 4.000 Fällen einer artenübergreifenden Übertragung solcher Viren führen könnten.

Asiatische Tigermücke auf menschlicher Haut

Die Asiatische Tigermücke überträgt Krankheitserreger wie das Zika- oder Dengue-Virus. Durch Warentransporte und Reisetätigkeiten wurde sie in den letzten Jahrzehnten weltweit verschleppt.

Rocklöv möchte alles in seiner Macht Stehende tun, um das zu verhindern. Er und seine Kolleg:innen haben maßgeblich mit politischen Entscheidungsträger:innen und Gesundheitsbehörden zusammengearbeitet, um die Einrichtung von Frühwarnsystemen und die Entwicklung von Instrumenten zu fördern, die es Gesellschaften ermöglichen, sich an den Klimawandel anzupassen und Krankheitsausbrüche zu vermeiden – angelehnt an das Rahmenwerk des Bündnisses One Health – Climate Risk.

Ein "Early Adopter"

Die rasche Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus und die anschließende globale Covid-19-Pandemie zwischen Ende 2019 und Frühjahr 2023 haben die Weltbevölkerung überrascht. Seit Beginn der Pandemie sind Pandemievorsorge und Überlegungen, wie man die Übertragung von Krankheiten von Tieren auf Menschen zukünftig verhindern kann, stark in die öffentliche Wahrnehmung gerückt.  

Fachleute auf diesem Gebiet, darunter Rocklöv, sahen es kommen, dass eine Pandemie bevorstehen könnte. Die Angst vor dem Ausbruch der H5N1-Grippe in den frühen 2000er Jahren führte dazu, dass 2006 die Taskforce "One Health Initiative" eingerichtet wurde. Sie sollte versuchen, große Epidemien zu verhindern, indem sie die Wechselbeziehungen zwischen Menschen, Tieren und der Umwelt beobachtet und verändert.

"Es geht darum, die Gesundheit der Umwelt, die Gesundheit der Tiere und die Gesundheit der Menschen nicht als drei getrennte Dinge zu betrachten. Sondern als eine Sache, die zusammengehört und und bei der sich die drei Faktoren gegenseitig enorm beeinflussen", erklärt Rocklöv, der sich schon früh für diese Idee einsetzte. "Wenn wir die Gesundheit der Tiere verbessern, können wir auch die Gesundheit der Menschen verbessern. Und wenn wir die Umwelt schützen, schützen wir auch die Gesundheit der Menschen."

Rocklöv arbeitete bereits nach Abschluss seiner Promotion im Jahr 2010 in diesem Bereich und erhielt 2012 den Young Researcher Award der Universität Umeå. Sieben Jahre später erhielt er auch den "Prince Albert II of Monaco-Institut Pasteur"-Preis für seine Forschungen zu klimabedingten Arbovirus-Epidemien, zu denen Krankheiten bzw. Krankheitserreger wie Dengue-Fieber, Chikungunya-Virus, Zika-Virus und andere durch Mücken und Zecken übertragene Viren gehören.

Zecke auf menschlicher Haut

Zecken können Mensch und Tier mit einer Vielzahl ernstzunehmender Krankheiten anstecken. In Europa übertragen sie vor allem die Erreger der FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis) und der Lyme-Borreliose auf den Menschen.

Pandemien: Ein Lichtblick

Während der Covid-19-Pandemie nutzte Rocklöv sein Wissen über Infektionskrankheiten und Epidemiologie und unterstützte gemeinsam mit anderen Expert:innen lokale Behörden. Er erstellte Modelle zur Risikobewertung und half bei der Vorhersage der Sterblichkeitsrate. Er war enttäuscht darüber, wie langsam die schwedischen Behörden auf die Anzeichen für eine pandemische Ausbreitung der Krankheit reagierten. "Ich war überzeugt, dass die Anzeichen aus China ernster genommen werden mussten", sagt er, "aber das war nicht einfach, weil die gesamte Situation so politisch und polarisiert war."

Positiv sieht Rocklöv, dass das Interesse an seiner Arbeit seit dem Ausbruch der Pandemie gestiegen ist. "Ich glaube, dass der Bereich One Health eine Revolution erlebt. Dieses Thema wird heute ganz anders betrachtet und mehr aufgegriffen. Die verschiedenen Forschungsgemeinschaften fangen an, miteinander zu reden und zusammenzukommen, und das ist schön zu sehen", sagt er. "Ich denke, es ist wirklich wichtig, Silodenken aufzubrechen. Ich bin in meiner Forschung sehr interdisziplinär, daher ist es für mich nicht so wichtig, wie man einen Bereich nennt, sondern eher, wie er dazu beiträgt, Probleme anzugehen."

PANDA: Lokale Communities inspirieren

In diesem Jahr wird Rocklöv gemeinsam mit Till Bärnighausen, ebenfalls Professor an der Universität Heidelberg und Direktor des Heidelberger Instituts für Global Health, ein neues Projekt leiten, das von der VolkswagenStiftung gefördert wird. Das Projekt ist Teil der Initiative "Globale Herausforderungen" der Stiftung und wird im Rahmen der Ausschreibung "Pandemieprävention: die Rolle von Mensch-Umwelt-Beziehungen" finanziert. An dem auf vier Jahre angelegten Projekt sind Partner in Norwegen, Laos und Thailand beteiligt. Es trägt den Titel: "Preventing pandemic risk by improving pandemic literacy among communities at the frontline of disease emergence in Southeast Asia (PANDA)".

"Ich denke, wir haben davon profitiert, dass ich während der Pandemie von Schweden nach Deutschland umgezogen bin und zwei unterschiedliche Systeme rund um Covid-19 kennengelernt habe. Außerdem ist das neue Interesse an der Forschung über Pandemieerreger sehr förderlich für unsere Arbeit", sagt Rocklöv. Er erklärt, dass die sehr integrierte und handlungsorientierte Forschung, die das PANDA-Team macht von der Datenerhebung über soziale, tierische und umweltbezogene Bereiche, über die Einbeziehung von Menschen in die partizipative Forschung bis hin zur Bewertung von politischen Maßnahmen durch die Laboranalysen von Viren –, in der Wissenschaftslandschaft nicht üblich ist.

Im PANDA-Projekt sollen Verhaltensweisen erforscht werden, die die Übertragung spezifischer Infektionskrankheiten von Tieren auf Menschen in lokalen Communities in Südostasien begünstigen. Gemeinsam mit den Menschen vor Ort wird anschließend daran gearbeitet, diese riskanten Praktiken zu stoppen. Es ist geplant, ein wirklich transdisziplinäres Projekt durchzuführen, an dem Community-Mitglieder, Gesundheitsdienste und politische Akteur:innen beteiligt sind. So werden die Forschenden beispielsweise gemeinsam mit den lokalen Gemeinschaften Südostasien Maßnahmen zur Verringerung des Spillover-Risikos entwerfen und sie in die Forschung einbeziehen. Das Forschungsteam wird auch mit lokalen politischen Entscheidungsträger:innen zusammenarbeiten, um die Handlungsempfehlungen, die sich aus dem Projekt ergeben, umzusetzen.

 

Ich denke, es ist wirklich wichtig, Silodenken aufzubrechen.

Joacim Rocklöv

"Das Tempo, mit dem wir die Umwelt beeinflussen, ist sehr hoch. Wenn wir als Forschende immer nur beobachten, beschäftigen wir uns zu viel mit Dingen, die wir nicht wissen, anstatt aktiv die Dinge zu tun, von denen wir jetzt schon sicher sind, dass sie wichtige Transformationen schaffen. Es ist sehr wichtig, das Wissen, das wir haben, so gut wie möglich in der realen Welt zu nutzen", sagt Rocklöv.

Konzentration auf gefährdete Gebiete

Das Projekt findet in Laos und Thailand statt, weil diese Länder Hotspots für neu auftretende Infektionskrankheiten sind. Große Bevölkerungszahlen, ein erhebliches Eindringen der Menschen in die natürliche Umwelt und eine große biologische Vielfalt bieten Infektionskrankheiten ein leichtes Spiel. Die Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnstrecke China-Thailand, die auch Laos mit diesen Ländern verbinden wird, wird derzeit fertiggestellt. Nach ihrer Inbetriebnahme werden Handel und Reiseverkehr in der Region zunehmen, was sich nach Ansicht von Rocklöv und seinem Team zusätzlich auf das Risiko und die Verbreitung von Infektionskrankheiten auswirken wird.

"Ein anderes Beispiel sind die vielen illegalen Mülldeponien in den Gemeinden in diesem Gebiet. Solche Orte sie sind der perfekte Schmelztiegel für bestimmte Tierarten, die Infektionskrankheiten auf Menschen übertragen können" erklärt Rocklöv.  Auch die Interaktionen zwischen der Bevölkerung und Tieren auf den sogenannten "wet markets"    also Märkten, auf denen mit Wildtieren gehandelt wird bergen gefährliche Risiken.

"Mit unserem Projekt wollen wir die Ausbreitung von Krankheiten im alltäglichen Leben der Menschen verhindern. Dafür möchten wir zum einen Verhaltensänderungen anstoßen und zum anderen die ökologischen Faktoren wie Umweltausbeutung sowie den Handel mit und die Haltung von Wildtieren untersuchen und verändern", erklärt Rocklöv.  

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