Subsahara-Afrika Initiative: Über die Freude, an Lösungen mitzuwirken
Nicht nur Krisen wie politische Umbrüche oder Hungersnöte stellen die Gesellschaften auf dem afrikanischen Kontinent immer wieder vor existentielle Herausforderungen. Der Sozialanthropologe Gilbert Fokou aus Kamerun sieht sich mit seiner Forschung als eine Schnittstelle zwischen der Bevölkerung und den politischen Entscheidungsträgern. Er will vor allem den Ärmsten helfen.
Der Traum davon, Arzt zu werden, zerplatzte kurz vor dem Abitur. Weil er zwar sehr interessiert an der Biologie, aber nicht ganz so gut in Mathe war, steckten die Lehrer den jungen Gilbert Fokou in Literatur- und Philosophie-Kurse statt in den naturwissenschaftlichen Unterricht. Auch den Studiengang suchte sich der heute 46-Jährige nicht wirklich selbst aus: "Als ich die Ferien in meinem Heimatdorf verbrachte, bekam ich einen Brief von meinem Bruder, der damals in der Hauptstadt Yaoundé lebte." Dieser schlug ihm vor, sich für die Anthropologie einzuschreiben. Ein Fach, über das Gilbert, wie er gesteht, zunächst einmal wenig wusste. Heute, nach 20-jährigem Lernen, Lehren und Forschen weiß er, dass es genau die richtige Wahl war: "Auch wenn es nicht wirklich meine eigene Entscheidung war, ich würde es unbedingt wieder machen."
Dass Fokou in seiner Arbeit als Sozialanthropologe so erfolgreich ist, hat sicherlich mit seiner eigenen Lebensgeschichte zu tun. Seine Eltern waren Bauern, die Kaffee, Mais, Bohnen, Maniok und Kartoffeln anbauten. Das wenige der Ernte, das über den Eigenbedarf hinaus ging, verkaufte die Familie und verwendete den schmalen Verdienst unter anderem für die Schulgebühren und das Studium der Kinder. Damals wuchs gerade das Bewusstsein für die sozialen und kulturellen Dimensionen von Bedrohungen wie HIV/Aids und Umweltzerstörung, und die Bedeutung der Sozialwissenschaften für große Entwicklungsprojekte stieg. Gilbert Fokou schrieb sich, wie empfohlen, für Sozialanthropologie ein. "Ein Abschluss in diesem Fach schien Mitte der 1990er Jahre so etwas wie eine Job-Garantie zu sein", sagt Gilbert Fokou.
Der Anthropologe als Brückenbauer
Wie funktioniert eine Gesellschaft, wie ist sie strukturiert? Wie beeinflussen politische Umbrüche, Armut, Hungersnöte und zum Beispiel Trockenheit das menschliche Miteinander? Fokou interessieren solche Fragen, weil er Lösungen finden will für Probleme bei der Nahrungssicherung, der Gesundheit, in Bildung und Landwirtschaft. "Als Anthropologe sehe ich mich als Brückenbauer zwischen der Bevölkerung und den politischen Entscheidungsträgern." Das klingt zunächst ein wenig technisch und nüchtern. Doch Fokus Freude an seiner Arbeit ist groß und es schwingt ein wenig Pathos mit, wenn er sagt, seine Forschung könne dazu beitragen, ein Lächeln auf die Gesichter der Menschen zu zaubern.
Gilbert Fokou promovierte 2008 an der Universität Yaoundé in der Hauptstadt Kameruns. Danach wechselte er an das Sahel Institut in Bamako, Mali. Seit 2010 forscht er an der Elfenbeinküste, am Swiss Centre for Scientific Research in Abidjan. 2013 bekam Fokou im Rahmen der Initiative "Wissen für morgen – Kooperative Forschungsvorhaben im sub-saharischen Afrika" ein Senior-Fellowship der VolkswagenStiftung.
"Dank der Förderung hatte ich zum ersten Mal die Gelegenheit, ein Projekt selbst zu planen und ein eigenes Team zu gründen", sagt Fokou. In dem Projekt, mit dem er bei der Ausschreibung "Livelihood Management" erfolgreich war, beschäftigte er sich mit Überlebensstrategien von Bauern und Hirten in der nördlichen Elfenbeinküste. Auf der Suche nach nutzbarem Weideland lösen grenzüberschreitende Wanderungsbewegungen von Hirten häufig Konflikte bei der Landnutzung aus.
Die richtigen Fragen stellen, um Lösungen zu finden
"Zunächst informierten wir die Bewohner ausgewählter Dörfer über unser Projekt", berichtet Fokou. Für den Fall, dass sie bereit waren, mitzumachen, organisierten die Forscher, darunter auch Wirtschaftswissenschaftler und Geographen, zunächst eine Art sozial-ökologische Bestandsaufnahme. Beim Gang durch die Dörfer und um sie herum beobachteten und beschrieben sie die physikalischen Begebenheiten, die Bodenverhältnisse, die Landnutzung, wie die Menschen leben und welchen sozialen Aktivitäten sie nachgehen. "Danach entwickelte ich verschiedene Tools für die Datenerhebung, zum Beispiel durch Befragungen, Interviews mit wichtigen Akteuren und Gruppendiskussionen", erklärt der Anthropologe. Dabei galt es, die richtigen Fragen zu finden.
Die Forscher verfolgten dabei zwei Ziele: Zum einen das Sammeln und Analysieren von Daten auf der Basis bestehender Konzepte; zum anderen die Unterstützung der Communities, konstruktiv über ihre Probleme nachzudenken. Die Teilnehmenden sollten ihre Situation besser verstehen und so befähigt werden, selbst Lösungen zu entwickeln und vorzuschlagen, die auf den eigenen Erfahrungen und Potenzialen gründen. Wenn alles gut lief, konnten Empfehlungen an die Entscheidungsträger im Dorf oder auf kommunaler Ebene ausgesprochen und im Idealfall schließlich Aktionspläne abgeleitet werden, erzählt Fokou.
Vergrößerung des Forschungsökosystems
"Meine wissenschaftliche Karriere hat sich sehr verändert, seit ich vor zehn Jahren die Förderung erhielt", sagt der Anthropologe. Durch die Zusammenarbeit mit deutschen Institutionen lernte er viel über die internationale Wissenschaftskultur und bekam Zugang zu wissenschaftlicher Literatur. Das seien wichtige Schritte gewesen, seine Kompetenzen weiter auszubauen. "Außerdem wurde ich sichtbarer und bekannter innerhalb der örtlichen Universitäten".
Die Ergebnisse seiner Forschungen konnte Fokou in wissenschaftlichen Journalen veröffentlichen und in Konferenzen präsentieren, was seine internationale Sichtbarkeit erhöhte. "Mein Forschungsökosystem hat sich deutlich vergrößert." Neue Forschungsvorhaben und Kooperationen entstanden durch die Zusammenarbeit mit deutschen Partner:innen und anderen Fellows der VolkswagenStiftung. Jüngstes Beispiel: Fokou ist Mitstudienleiter des Verbundprojektes "Behaviour Change" in der Initiative "Preventing Pandemics" der VolkswagenStiftung. Im Blickpunkt der Forscher:innen, die aus dem Senegal und Deutschland kommen, steht dabei der Konsum von Wildfleisch – und das damit verbundenen Risiko, dass Krankheitserreger aus dem Tierreich auf den Menschen überspringen. Der Titel des Projekts: "Co-creating and evaluating behavioral change interventions for reducing the zoonotic risk associated with wildlife consumption."
Alternativen für den Wildfleisch-Verzehr finden
Fokou hat bereits Erfahrungen mit dem Thema: Wegen der Ebola-Ausbrüche verhängten die Verantwortlichen vor gut zehn Jahren in Teilen West-Afrikas ein Buschfleisch-Verbot. Fokou untersuchte, welche Folgen das für die Bevölkerung vor allem in ländlichen Regionen hatte, wo Wildfleisch lange Zeit der Nahrungssicherung diente. Die Schlussfolgerung der Studie lautete: Wo der Konsum von Wildfleisch verboten wird, muss es Alternativen für die Bevölkerung geben. Die Menschen suchen sich zwangsläufig neue Nahrungsquellen, ersetzten Wildfleisch beispielsweise durch Fisch und Pilze. Doch sie brauchen dabei Unterstützung, zum Beispiel beim Aufbau von Fischfarmen.
"Mein Ehrgeiz ist es, Wege zu finden, um den Menschen um mich herum zu helfen, besonders den Ärmsten", sagt Fokou. Dass er nun über die Sozialanthropologie – die eigentlich nicht seine erste Wahl war – Menschen beim Lösen von existentiellen Problemen unterstützen kann, macht ihn glücklich.