Robotik - Wie werden Maschinen sozial?
#Künstliche IntelligenzAndreas Bischof denkt Technik- und Sozialwissenschaften gemeinsam - beide Disziplinen, so sagt er, können noch sehr viel voneinander lernen. Ein Portrait.
Eigentlich ist es ganz einfach: Wenn wir Technologien entwickeln wollen, die uns nützen, müssen wir erst einmal wissen, was wir brauchen. Sonst haben wir es am Ende mit hochmodernen Gadgets und Tools zu tun, die zwar eine Menge können, uns aber im Alltag trotzdem nicht wirklich weiterhelfen. Leider ist das in der Forschung gar nicht so leicht zu gewährleisten. "In vielen Fällen fehlt eine sozialwissenschaftlich-empirische Perspektive", sagt Andreas Bischof. "Das Problem ist scheinbar schon ausdefiniert. Nun soll die Technik es lösen. Aber so einfach ist das nicht."
Bischof ist Juniorprofessor für Soziologie mit Schwerpunkt Technik an der TU Chemnitz. Der mangelnde Austausch zwischen Geistes- und Technikwissenschaften stört ihn schon lange. Mit einer "gewissen Affinität für technische Dinge" ausgestattet, wie er es selbst formuliert, schreibt er sich nach dem Abitur für das Studium der Kulturwissenschaften an der Uni Leipzig ein. Zunächst als Überbrückung bis zum angestrebten Journalistik-Masterstudium gedacht, ist er schnell begeistert von der Interdisziplinarität des Fachs. "Ich erinnere mich noch gut an die Einführungsvorlesung zu Max Webers protestantischer Ethik. Über historische Effekte individuelles Handeln erklären und beschreiben zu können, das sich zu kollektiven Effekten aufaddiert, bis hin zu sozialen Tatsachen, wie in diesem Fall zum Kapitalismus: Das hat mich total fasziniert."
Zugriff auf die Technik
Parallel zum Studium ist Bischof kulturell aktiv, gründet 2008 mit Freunden ein Musiklabel. Social-Media-Plattformen erscheinen auf der Bildfläche, MySpace und später Facebook bieten neue, ungeahnte Möglichkeiten und Potenziale. "Wir haben sehr viel einfach durch Ausprobieren gelernt, besonders im Bereich des Direktvertriebs über das Web", erinnert er sich. Die Technik hinter den Plattformen fasziniert ihn, gleichzeitig spürt er den Drang, sich auch wissenschaftlich damit auseinanderzusetzen. "Leider spielte das im Studium aber keine Rolle".
Als es darum geht, die Masterarbeit zu konzipieren, sucht Bischof deshalb ganz bewusst die Auseinandersetzung mit der neuen Technologie. Es ist 2011, die Zeit des arabischen Frühlings. Die Medien sprechen von der "Facebook-Revolution", auch Studien scheinen zu bestätigten, dass Online-Dienste eine zentrale Rolle bei den Protesten spielen. Der Mainstream in den Sozial- und Geisteswissenschaften sah das Phänomen etwas anders. "Für viele Theorien konnte die Kommunikation über soziale Netzwerke nur Fake sein, war also gefährlich für echte Interaktion", erzählt Bischof. "Das allerdings entsprach überhaupt nicht meiner Erfahrung. Für viele Menschen weltweit war Facebook schon damals ein normaler Teil ihres Alltags." Bischof nimmt sich vor, dem Phänomen mit ethnografischen Methoden auf den Grund zu gehen, stößt dabei aber schnell an Grenzen. "Das Problem war, dass man nicht dorthin vordringen konnte, wo es wirklich interessant wird: die konkrete Art und Weise, wie die Plattformen auf technischer Ebene umgesetzt werden."
Gehe dorthin, wo etwas passiert!
Bischof beschließt: Egal, was als Nächstes ansteht, in Zukunft will er direkt mit Technikern zusammenarbeiten. Dieses Setting findet er schließlich in einem DFG-Graduiertenkolleg an der Universität Chemnitz, für das er sich erfolgreich bewirbt. Die Idee: Sozialwissenschaftler und Informatiker arbeiten zusammen an der Entwicklung eines robotischen Assistenzsystems. Für Bischof ein wichtiger Schritt, bloßes Recherchieren und Befragen ist ihm zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr genug. Zwar schätzt er die heuristische Methodik von Soziologen wie Erving Goffman und Bruno Latour mit ihrem Credo: Follow the Actors - "Gehe dorthin, wo etwas passiert". Im Gegensatz zu seinen berühmten Vorgängern will Bischof jedoch mehr als teilnahmsloser Beobachter in einem Labor sein. "Ich wurde bei meinen Erhebungen tatsächlich Teil des Teams, durfte sozialwissenschaftliche Texte schreiben, aber sollte mich auch ganz direkt an der Entwicklung der Technik beteiligen, etwa als Impulsgeber beim Design von Experimenten."
Was dem Sozialwissenschaftler Bischof in der Zusammenarbeit mit den Robotik-Ingenieuren vor allem auffällt, ist deren reduktionistische Vorstellung von sozialer Interaktion. "Ich fand das hochgradig anmaßend, sich einfach hinzustellen und zu behaupten, wir bauen jetzt Maschinen, die in sozialen Kontexten funktionieren, ohne sich vorher wirklich klargemacht zu haben, was das im Einzelnen bedeutet." Das liege auch an der Geschichte der wissenschaftlichen Disziplin Robotik selbst, die weniger von technischen Notwendigkeiten als von kulturellen Vorstellungen geprägt sei. "Ich war regelrecht schockiert, wie direkt man das aus der Science-Fiction-Literatur ableiten kann", so Bischof. Mit seinen Kurzgeschichten aus den 1940er und 1950er-Jahren prägte der Science-Fiction-Autor Isaac Asimov die Art und Weise, wie wir noch heute über künstliche Wesen nachdenken. Joseph Engelberger, der als ein Vater der Robotik als Wissenschaft gilt und 1956 die erste Firma zur Fertigung von Industrierobotern gründete, ließ sich das Vorwort für sein heute noch gültiges Standardwerk für Robotik von Isaac Asimov schreiben. "Der Ingenieur, schreibt Asimov darin, habe den Auftrag, die Imaginationskraft des Schriftstellers technisch zu ermöglichen, und sogar zu übersteigen. Dieses Bild ist immer noch extrem wirkmächtig."
Annäherung an die Lebenswelt
Während des Dissertationsprojekts allerdings ließ der Roboter auf sich warten und wurde am Ende gar nicht fertiggestellt. 2014 reist Bischof, gefördert durch den DAAD, für eine längere Feldforschung in die USA. Er schaut den weltbesten Robotik-Forscher:innen über die Schulter, unter anderem an der Yale und Carnegie Mellon University sowie der University of Washington. Und selbst bei den Top-Forscher:innen erkennt er einen eklatanten Mangel. "Die machen natürlich schon vieles richtig. Aber ich habe mich zunehmend gefragt, warum sie sich permanent so verhalten, als ob ihre persönliche Annäherung an echte Alltagssituationen, die sie mit Robotern bevölkern wollen, nicht Teil ihrer Arbeit ist." Für Bischofs Verständnis von sinnvoller Robotik-Forschung ist genau das aber entscheidend. "Man muss sich von Anfang an die Frage stellen, was lebensweltliche Näherungsweisen an Technikverwendung sein können", sagt er und leitet daraus auch einen Arbeitsauftrag für sein eigenes Fach ab: "Sozialwissenschaflter:innen müssen konkret eingebunden sein in den Entwicklungsprozess. Es reicht nicht, immer nur zu sagen, was die Robotik anders machen sollte."
Deshalb war Bischof auch hellwach, als er 2018 auf einer Tagung Kolleg:innen aus Weimar und München kennenlernte, die ein interdisziplinäres Forschungsprojekt zur Anwendung von Robotik in der Pflege realisieren wollten. Zusammen arbeiteten sie ein Konzept aus. Eines der ersten Projekte, das, wie Bischof sagt, Robotik und KI für die Pflege konsequent bedarfsorientiert denkt. "Nicht abgeleitet vom Sozialgesetzbuch und nicht davon, was die Kasse bezahlt. Sondern im Sinn von Hingehen, Schauen und die Frage stellen: Was ist überhaupt ein sinnvoller Roboter?"
Mehr Partizipation zulassen
Das daraus entstandene Projekt ReThiCare arbeitete dann tatsächlich so, wie sich Bischof das idealerweise vorgestellt hatte: interdisziplinär, benutzerorientiert, ergebnisoffen. Vor allem letzteres sei in der aktuellen Förderlandschaft extrem selten geworden. "In der Regel wollen Gutachter:innen schon am Anfang genau wissen, welche konkreten Technologien genutzt werden. Wir haben einfach nur gesagt, wir entwickeln interdisziplinär und mit Betroffenen mehrere Prototypen. Mehr nicht." Dass die Volkswagenstiftung sich dennoch entschied, das Projekt von 2019 bis Frühjahr 2022 zu fördern, ist für ihn ein Glücksfall. Und eine Besonderheit. "Als wir ReThiCare kürzlich auf einem internationalen Kongress für Robo-Philosophie präsentierten und den anwesenden Kolleg:innen klar wurde, dass wir vollkommen frei waren in der Entwicklung, haben die spontan applaudiert", so Bischof. "So gut wie niemand kannte das aus seinem Land."
Was sagt uns all das über die Forschung an sogenannten intelligenten Systemen, die schon längst massiv in unseren Alltag eingreifen und das in Zukunft wahrscheinlich immer stärker tun? Man sollte ganz einfach genauer hinschauen, so der technikaffine Sozialwissenschaftler Andreas Bischof. Eine intelligente Maschine dürfe nicht als Lösung eines Problems feststehen, bevor die Bedürfnisse und Anforderungen empirisch erforscht wurden. Das heißt aber auch: mehr Partizipation schon in der Entscheidung über Forschungslinien zulassen. Also mehr auf diejenigen hören, die am Ende mit den Systemen arbeiten. "Streng genommen müssen die Menschen mitentscheiden. Die Forschenden müssen da etwas von ihrer Entscheidungsmacht abgeben. Das fällt vielen natürlich nicht leicht. Aber genau daran müssen wir arbeiten."
Andreas Bischof nimmt sich dies auch für seine eigene Forschungspraxis zu Herzen. Zusammen mit Forscherkolleg:innen betreibt er das "Stadtlabor", einen Begegnungsraum in der Innenstadt von Chemnitz, der von Bürger:innen genutzt werden kann, um über technologische Entwicklungen in den Austausch zu kommen. "Es macht einfach einen Riesenunterschied, ob man die Menschen in die Uni einlädt oder in der Fußgängerzone eine offene Tür für sie anbietet." Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und hat das Ziel, Bürger:innen sowohl zu informieren als auch zum aktiven Co-Design von technischen Hilfen oder Prototypen zu animieren. Heute wird es im Rahmen des Sonderforschungsbereichs "Hybrid Societies" genutzt, um über mögliche Zukünfte von Menschen und verkörperter KI nachzudenken. Dabei legen nicht nur die Besucher:innen, sondern auch Bischof und sein Stadtlabor-Team bisweilen besondere Kreativität an den Tag. "Als es uns einmal zu leer war im Labor, hatte jemand die Idee, draußen ein Schild mit der Aufschrift ,Handyprobleme? TU-Forscher helfen!‘ aufzustellen", erzählt Bischof. "Dann ging es relativ schnell und der Raum war voll."