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Meinung

Wissenschaftskommunikation: Eine Frage der Perspektive

Jens Rehländer

Die Covid-Krise zeigt: Wenn die Wissenschaft mit ihren Argumenten im öffentlichen Diskurs wahrgenommen werden und mehr bewirken will, muss sie die Regeln der medialisierten Gesellschaft besser beherrschen. Ein subjektiver Lagebericht in fünf Sequenzen.

Auch Helden brauchen Hilfe

Wer hätte gedacht, dass Virolog:innen einmal zu den Popstars der Wissenschaft würden? Allein die Fan-Gemeinde von Christian Drosten (#TeamDrosten) dürfte im Zenit seiner Popularität Hunderttausende gezählt haben. Es gibt vegane T-Shirts mit Zitat-Aufdrucken ("Oh je. Auf diesem Niveau kommen wir nicht ins Gespräch."). Im NDR-Podcast versorgte er das Publikum mit tagesaktueller Corona-Expertise. In der Bundespressekonferenz ermahnte Drosten die Medien, ihm nur wissenschaftlich relevante Fragen zu stellen. Da ist es nicht verwunderlich, dass DIE ZEIT einen Artikel über Drosten mit der Frage überschrieb: "Ist das unser neuer Kanzler?"

Der Virologe von der Berliner Charité ist ein Glücksfall für die Wissenschaftskommunikation. International renommiert als Forscher und gleichzeitig ein Naturtalent in Sachen Wissenschaftsvermittlung. Was aber hat ihm die Medienpräsenz gebracht? Einen Haufen Preise und Auszeichnungen – aber auch Pöbeleien und Morddrohungen, auf Demonstrationen und im Social Web. Weniger robuste Forscher:innen könnten zerrieben werden zwischen medialer Meinungsmache, politischem Druck und wissenschaftlichem Anspruch. Drosten selbst sagte in einem Gespräch mit der VolkswagenStiftung, niemand habe ihn auf den Zusammenprall der Systemlogiken von Wissenschaft, Politik, Medien und breitem Publikum vorbereitet. Und in manch brenzliger Situation hätte er sich mehr institutionelle Rückendeckung gewünscht.

Fazit

Wer als Forscher:in den Mut hat, öffentliche Arenen zu betreten, kann nicht auf Belohnung zählen, etwa Bonuspunkte für den Karriereweg oder bei der Drittmittel-Akquise. Man handelt auf eigene Rechnung und eigenes Risiko. Preise sind ein Trostpflaster. Wichtiger wäre eine systemisch verankerte Anerkennung des gemeinnützigen Engagements. 

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Zielgruppen kennenlernen 

Waren Wissenschaft, Politik und Medien in den ersten Monaten der Pandemie bemüht, Trennendes zu überwinden, um die verunsicherte Bevölkerung mit Orientierungswissen zu versorgen, sind die Unterschiede zwischen den Systemlogiken längst wieder deutlich. Während Politik und Medien im Umgang miteinander geübt sind und ihre jeweilige Wirkung auf das Publikum genau kalkulieren, zeigt sich die Wissenschaft mit den Regeln und der Praxis einer medialisierten Gesellschaft nur oberflächlich vertraut. Und auch mit den Erwartungen ihrer Zielgruppen. So wünscht sich die Politik faktenbasierte Empfehlungen, um ihr Krisenmanagement zu legitimieren. Die Medien interessiert nicht der Erkenntnisprozess der Wissenschaft mit der Vorläufigkeit oder Unsicherheit von Befunden, sie wollen schlüssige Antworten auf auch mal eher triviale Fragen: Wann öffnen die Fußballstadien wieder? Wann können wir wieder in den Urlaub fahren? Das breite Publikum schließlich nimmt die Vielfalt der Meinungen im Fachdiskurs nicht als konstruktiv wahr, sondern als Ausdruck von Orientierungslosigkeit in der Krise: "Die Wissenschaft weiß auch nichts Genaues."

Fazit

Wer mit außerwissenschaftlichen Zielgruppen kommuniziert, darf nicht davon ausgehen, dass ein wissenschaftlich fundiertes Argument allein schon überzeugt. Nötig ist der Perspektivenwechsel: Was erwartet das Gegenüber von mir? Was kann ich voraussetzen? Die Gesellschaft ist auf Lotsen angewiesen – auf passionierte, geduldige und dialogbereite Erklärerinnen und Erklärer. Verständlichkeit schafft Vertrauen.

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Wissenschaftsjournalismus stärken

Nie war der Bedarf an faktenbasierter Information so groß wie in der Pandemie. Die klassischen Massenmedien erlebten eine Nachfrage wie lange nicht mehr. Dumm nur, dass man in den Jahren vorher viele Wissenschaftsjournalist:innen in den Redaktionen eingespart hat. Nun mangelt es vielerorts an Kompetenz, um aus der schieren Flut neuer Covid-19-Studien die relevanten von den irrelevanten zu unterscheiden. Viel ungefilterter Blödsinn aus Preprint-Servern wird verbreitet, aktueller Forschungsstand nicht überblickt. Und es kommen sogenannte Expert:innen zu Wort, die der aktuellen Konsens-Meinung in der Wissenschaft zwar öffentlichkeitswirksam widersprechen, in den betreffenden Fächern aber kaum Relevanz besitzen.  

Personalisierung, Dramatisierung und Emotionen sind die wirkungsvollen Instrumente im Kampf der Medien um Aufmerksamkeit. Dieser Mix hat auch das Social Web in eine Empörungsmaschine verwandelt, in der die verschiedenen Lager ihre jeweiligen Positionen mit Klauen verteidigen. Zweifel und Verschwörungstheorien schießen ins Kraut und vergrößern die Zahl der Wissenschaftsskeptiker:innen. Wenn sich auch noch Pressestellen und Massenmedien als postfaktische Agenturen an der Irreführung der Bevölkerung beteiligen, gerät nicht nur die Wissenschaft ins Zwielicht, sondern der gesellschaftliche Konsens in eine Schieflage. So verschickte die Universität Hamburg im Frühjahr 2021 eine Pressemitteilung, in der die, nach wissenschaftlichen Standards, hanebüchene Abhandlung eines Professors beworben wurde, der nachgewiesen haben wollte, dass der Corona-Virus aus einem chinesischen Labor entwichen sei. Seriöse Medien skandalisierten die Pressemitteilung – die BILD-Zeitung hingegen witterte eine Verschwörung "von linken deutschen Politikern und Journalisten", denen es offenbar am liebsten gewesen wäre, "die Studie wäre komplett verschwiegen worden". 

Fazit

Die unleugbare Erosion journalistischer Qualität sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der seriöse Wissenschaftsjournalismus in Covid-19-Zeiten Großartiges geleistet hat. Für die Vermittlung an ein breites Publikum, die Stärkung des faktenorientierten Diskurses und die kritische Einordnung bleibt er ein unverzichtbarer Intermediär und Partner. Auch deshalb sollte seine prekäre Lage endlich eine Unterstützung von Seiten des Wissenschaftssystems und der Politik erfahren.

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Fachleute von der Leine lassen

Es ist ein Irrtum zu glauben, die Wissenschaft könnte das Defizit im Journalismus selbst ausgleichen. Auch wenn die Hochglanzbroschüren der Forschungseinrichtungen auf den ersten Blick wie journalistische Wissenschaftsmagazine aussehen – sie sind es nicht; es handelt sich um institutionelle PR. Die Aufklärung der Gesellschaft über Wissenschaft, die als Auftrag den Boom der (Hochschul-)Pressestellen Anfang der 1980er Jahre begründet hat, spielt auch längst nicht mehr die wichtigste Rolle. Stattdessen werden die Abteilungen zwischen Zielkonflikten aufgerieben: zwischen Imagepflege, Studierendenmarketing, Drittmittel-Lobbyismus, Forschungs-PR und dem bestellten Lobpreis akademischer Führungskräfte. Hinzu kommt die häufig mangelnde Wertschätzung als professionell arbeitende Fachabteilung. Die Gängelung durch Fachfremde auf den Entscheidungs- und Leitungsebenen verhindert häufig die klare strategische Ausrichtung – auch mit Blick auf die Scientific Literacy der verschiedenen Zielgruppen.

Fazit

Dass Kinder-Unis und Science Slams keine probaten Mittel sind, um das gesellschaftliche Vertrauen in Wissenschaft zu erhalten und zu stärken, haben die Kommunikationsabteilungen längst erkannt und würden ihre Arbeit in Teilen neu ausrichten – wenn die Oberen sie nur ließen. Der hoffnungsvolle Blick richtet sich nach Freiburg. Dort ist eine versierte Praktikerin von Wissenschaftskommunikation kürzlich ins Rektorat berufen worden. Ein Modell für Deutschland?

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Worauf warten? 

Während "Corona" den Wandel der Meinungs- und Mediengesellschaft mit teils kreativer, teils zerstörerischer Dynamik weiter vorantreibt, konstatiert das Wissenschaftssystem viel und tut wenig. Es mangelt nicht an Selbstverpflichtungen (z. B. Max-Planck-Gesellschaft), an Analyse (Wissenschaftsrat), an Handlungsempfehlungen (AG von Akademien-Union, acatechLeopoldina), an Think Tanks (#FactoryWisskom des BMBF), an Leitlinien für gute Wissenschafts-PR (Bundesverband Hochschulkommunikation, Wissenschaft im Dialog e.V.) – woran es mangelt, und zwar seit Jahren, ist der Wille zur Umsetzung all dessen, was sich an Ratschlägen stapelt.

Fazit

Ein Blick auf das "Wissenschaftsbarometer" der letzten Jahre zeigt in der Tendenz: Ein Drittel der Bevölkerung vertraut der Wissenschaft, ein Drittel ist für Wissenschaftsthemen nicht erreichbar – und ein Drittel ist in seiner Haltung unentschlossen. Um die Seelen dieser Menschen ist nun zu ringen, damit sie nicht in das Lager der Demagogen abdriften. Die Bedrohung durch die Pandemie hat die Wissenschaft weltweit zu vorher kaum vorstellbaren Höchstleistungen getrieben, etwa bei der Impfstoffentwicklung. Warum sollte sie nicht auch das Signal dafür sein, endlich mit der nötigen Entschiedenheit und strategischen Klarheit den Dialog mit der Öffentlichkeit dort zu führen, wo er geführt werden muss: auf allen Kanälen.

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Workgroup Meeting

"Wissenschaft in der Gesellschaft"...

... heißt ein Querschnittsbereich in der neuen Strategie der VolkswagenStiftung. Hier bündelt sie ihre Förderungen im Bereich Wissenschaftskommunikation, etwa die Publikumsveranstaltungen im Schloss Herrenhausen in Hannover oder die hoch dotierte Ausschreibung zur Etablierung von Zentren zur Wissenschaftskommunikationsforschung. Des Weiteren können Geförderte bei der Stiftung Zusatzmittel für Öffentlichkeitsarbeit in ihren Projekten beantragen, Medientrainings absolvieren und Beratungsangebote für Kommunikationsideen wahrnehmen.