Die neue Förderstrategie der VolkswagenStiftung
Die VolkswagenStiftung richtet ihre Förderstrategie neu aus, mit den drei Profilbereichen "Exploration", "Gesellschaftliche Transformationen" und "Wissen über Wissen - Reflexion und Praxis der Wissenschaften" sowie dem Schwerpunkt "Wissenschaft in der Gesellschaft".
Nach einem Evaluations- und Reflexionsprozess richtet die VolkswagenStiftung ihre Förderstrategie neu aus. Mit der neuen Strategie eng verknüpft ist der Wille der Stiftung, die Wirkung ihres Handelns noch systematischer zu analysieren – einerseits, um selbst daraus zu lernen; andererseits, um bei der Mitgestaltung der Wissenschaftslandschaft nachhaltige Wirkung zu entfalten.
Die drei Profilbereiche
Der Querschnittsbereich "Wissenschaft in der Gesellschaft"
Während der Corona-Pandemie wurde in aller Schärfe deutlich, wie nötig eine faktenbasierte, am Gemeinwohl orientierte Wissenschaftskommunikation ist: Sie schafft Vertrauen bei ihren Zielgruppen. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass die Wissenschaft ihre Unabhängigkeit erhalten und ihre Rolle als Zukunftsgestalterin erfüllen kann. Noch ist dieses Gefüge weitgehend intakt. Aber mit der wachsenden Zahl gesellschaftlicher Transformationsprozesse erhöht sich der Druck auf das Wissenschaftssystem, seine Relevanz und Legitimation zu verteidigen und in immer mehr Diskursarenen, auch digitalen, präsent zu sein.
Für die Wissenschaftskommunikation leiten sich daraus gewaltige Herausforderungen ab – zu deren Lösung auch die VolkswagenStiftung beitragen will. Dem Wissenschaftssystem möchte sie Diskurs und Interaktionsräume anbieten, um zukunftsgewandten Haltungen und Konzepten einen Weg zu bahnen. Dem breiten Publikum wird sie im Tagungszentrum Schloss Herrenhausen in Hannover Diskussionen mit hochkarätig besetzten Panels zu aktuellen Wissenschaftsfragen anbieten, teils in Kooperation mit öffentlich-rechtlichen Rundfunkhäusern. Und sie wird an ausgewählten Hochschulen Zentren etablieren und fördern, in denen Wissenschaftskommunikation auf international wettbewerbsfähigem Niveau beforscht werden soll – mit Partnern im In- und Ausland und zu Fragestellungen, die nicht zuletzt auch für die kommunikative Praxis relevant sein sollen. Nicht mehr Wissenschaftskommunikation um jeden Preis ist das Ziel, sondern bessere Wissenschaftskommunikation – eine, die Wissenschaft dorthin stellt, wo sie hingehört: in die Mitte der Gesellschaft.
Die Leitlinien unseres Förderhandelns
Der Zweck der VolkswagenStiftung ist die Förderung von Wissenschaft und Technik in Forschung und Lehre. Die Stiftung ist der Freiheit der Wissenschaft verpflichtet. Digitalität und Globalität betrachtet sie als bedeutsame Bedingungen moderner Wissensproduktion. Ihre Förderentscheidungen erfolgen mit dem Ziel, höchste wissenschaftliche Qualität zu sichern.
In ihrer Förderpraxis orientiert sich die Stiftung an vier Leitlinien. Diese Begriffe spiegeln zum einen Grundzüge unseres Selbstverständnisses als Stiftung wider. Zum anderen sind sie als Qualitätskriterien zu verstehen, als Orientierungspunkte für viele Entscheidungen im Förderalltag.
Die VolkswagenStiftung ist bekannt als Förderin risikobereiter Forschung mit hohem Erkenntnispotenzial – und dafür, auch das Scheitern wagemutiger Projekte in Kauf zu nehmen. Beides sind Voraussetzungen für erfolgreiche Grundlagenforschung, ohne die es keine wissenschaftlichen Durchbrüche gibt. Die Stiftung sieht sich auch künftig in der Verantwortung, vielversprechenden Spitzenforscherinnen und -forschern die Chance zu geben, mit unorthodoxen Fragestellungen und experimentellen Ansätzen zur Lösung großer, wissenschaftsgetriebener Herausforderungen beizutragen. Die Stiftung will im Sinne eines Zukunftslabors neuen Themen und Forschungsmethoden den Weg ebnen und bislang unerschlossene Forschungsfelder aufbauen.
Wo die Wissenschaft ins Wagnis gehen soll, ist im Gegenzug die Innovationskraft der Forschungsförderer gefragt: Die Stiftung wird mit neuen Verfahren der Themenidentifizierung, mit neuen Förderformaten und Auswahlprozessen die Entwicklung in diesem Bereich konstruktiv vorantreiben, so wie zuletzt mit der Etablierung des teil-randomisierten Auswahlverfahrens, in dem das Urteil des "Peer Review" um ein Losverfahren ergänzt wurde. Zudem wird die Stiftung mit der Schaffung eines "Aktionsfonds" dafür Sorge tragen, dass sie bei unvorhergesehenen Bedarfen – wie zuletzt in der Covid-19-Pandemie – sehr schnell handlungsfähig wird, um Forschung zu fördern oder sogenannte "Windows of Opportunity" nutzen zu können, wenn diese sich kurzfristig öffnen.
Die Corona-Pandemie hat noch einmal schlaglichtartig den Reform und Innovationsstau in wichtigen Bereichen des Wissenschaftssystems offengelegt. Standards von Forschung und Ethik, Verfahren von Begutachtung, Bewertung und Publikationen, Karriere und Governance – vieles, was lange als gegeben hingenommen wurde, wird zunehmend kritisch gesehen.
In diesem neuen Profilbereich wird die VolkswagenStiftung gezielte Impulse zur strukturellen Verbesserung von Forschung und Lehre geben. Dabei richtet sich der Fokus auf drei Themenfelder:
- Wissenschaftskulturen,
- Wissenschaftskarrieren,
- Wissenschaftsdiskurse.
Die Stiftung fördert Strukturanalysen, eröffnet Experimentierräume und unterstützt ambitionierte Pilotprojekte. Wir fördern Wissenschaftskarrieren und unterstützen jene, die über das System forschen, und andere, die den Mut haben, selbst Verantwortung für strukturelle Erneuerungen zu übernehmen. Wir wollen die Grenzen zwischen universitären und außeruniversitären Einrichtungen überbrücken und jene zwischen Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Verwaltung durchlässiger gestalten. Damit die Förderimpulse Wirkung entfalten, teilt die Stiftung Projektergebnisse mit Hochschulleitungen und anderen Wissenschaftsförderern, auch international. Und sie wird einen Rahmen setzen, der die Partizipation außerwissenschaftlicher Akteure in einzelnen Projekten ermöglicht – als weiteren Baustein in ihrem vielfältigen Engagement zugunsten der Erforschung und Praxis von Wissenschaftskommunikation.
Ob Künstliche Intelligenz, Klimawandel, Biodiversitätsverlust oder wachsende soziale Ungleichheit: Das 21. Jahrhundert ist gekennzeichnet von gewaltigen globalen Herausforderungen. Wissenschaft, Technik, Wirtschaft, Politik, Kultur – fast alle Bereiche der Gesellschaft sind überall auf der Welt konfrontiert mit einer historisch einzigartigen Verdichtung immenser Umbrüche und sie sind zugleich Quelle und Ursprung dieser Veränderung. Um in diesen Transformationsprozessen gesellschaftlich verantwortlich handeln zu können, müssen Wissensbestände erweitert und kritisch reflektiert werden, auch in historischer Perspektive. Darum fördert die VolkswagenStiftung Forschung, die mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung Transformationsprozesse adressiert. Neben der Unterstützung grenzüberschreitender und multiperspektivischer Ansätze eröffnet die Stiftung neue Wege zur praktischen Mitgestaltung gesellschaftlicher Transformationen und will daran auch Akteure außerhalb der Wissenschaft beteiligen.
Eine weitere wesentliche Herausforderung besteht darin, relevante Debatten innerhalb der Wissenschaften mit aktuellen öffentlichen Debatten zu verknüpfen. Dabei will die Stiftung den Diskurs nicht bloß mit diagnostischer Expertise ergänzen, sondern die Zukunft antizipieren und konkrete Optionen für gesellschaftliches Handeln entwickeln – auch im Sinne von Prävention. Es geht also, kurzgefasst, darum, mit neuen Ideen auf eine stets aktuelle Frage zu antworten: In welcher Welt wollen wir leben?