Interview zum Förderangebot Demokratien im Wandel
In einem zweigeteilten Förderangebot sind transdisziplinäre Projektteams und ihre Empfehlungen gefragt: Wie müssen sich Demokratien entwickeln, um die vielfältigen gesellschaftlichen Herausforderungen zu meistern?
Demokratien stehen weltweit unter Druck. Auch in Deutschland. Ob Migration, Klimawandel, Energiewende – Anlässe für heftigen Streit gibt es hierzulande genug. Und für Kritik der Regierten an den Regierenden und dem politischen System. Auf der anderen Seite formieren sich immer mehr Akteursgruppen zur Verteidigung der Demokratie. Innerhalb und außerhalb der Wissenschaft werden unterschiedliche Perspektiven entwickelt, wie Demokratien resilienter werden können. Allerdings werden diese unterschiedlichen Perspektiven auf Transformationsprozesse kaum miteinander in einen Austausch gebracht. Wissenschaftliche und außerwissenschaftliche Diskurse finden weitgehend getrennt voneinander statt.
Das möchte die VolkswagenStiftung mit einem zweigeteilten Förderprogramm ändern. Es richtet sich vorwiegend an Antragsteller:innen aus den Geistes-, Kultur- und Gesellschaftswissenschaften, aber genauso an außerwissenschaftliche Akteur:innen. Gemeinsam sollen sie in transdisziplinären Teams Transformationswissen über Demokratien im Wandel generieren.
Adelheid Wessler, Teamleiterin "Gesellschaftliche Transformationen" und Cora Schaffert-Ziegenbalg, die zuständige Fachreferentin, beantworten Fragen zum neuen Förderangebot.
Sie waren Ende Juni beim Vernetzungsworkshop im Schloss Herrenhausen in Hannover dabei. Wer hat sich dort getroffen?
Wessler: Intern nennen wir solche Vernetzungstreffen auch "Heiratsmarkt". Damit ist das Ziel gut beschrieben: Die Stiftung bietet einen Raum, wo sich Kooperationswillige kennenlernen können. Manchmal finden sich bereits hier Projektpartner:innen, die später einen gemeinsamen Antrag stellen. Für die übrigen gibt es auf jeden Fall viele Infos und Inspirationen, welche Themen überhaupt für eine Förderung in Frage kommen.
Schaffert-Ziegenbalg: Wir haben uns mit etwa 40 Personen drei Tage lang ausgetauscht. Aus der Wissenschaft war die klassische politische Systemforschung vertreten, die Soziologie, die politische Bildung. Bei den nichtakademischen Teilnehmer:innen gab es einen Schwerpunkt "Demokratie und Migration", aber auch "Demokratie und Bildung". Die Bewerbung für den Workshop hat sich an Interessierte mit ganz unterschiedlichen Perspektiven auf Demokratie gerichtet, unabhängig von spezifischen fachlichen Richtungen.
Das neue Förderangebot setzt Transdisziplinarität voraus: Projektanträge können nur von Forschenden und außerwissenschaftlichen Partnern gemeinsam gestellt werden. Wie wurde das im Workshop reflektiert?
Schaffert-Ziegenbalg: Teilnehmer:innen aus beiden Lagern waren mit festen Agenden und Rollenverständnissen angereist. Forschende etwa sagten, wir liefern die wissenschaftlichen Befunde und die Außerakademischen können sie dann über ihre Kanäle an verschiedene Publika verteilen. Dass man von Anfang an auf Augenhöhe kooperiert, irritierte Forschende zunächst sehr. Außerakademische Akteure wiederum waren in Sorge, dass sie nicht als gleichwertige Partner:innen im Forschungsprozess akzeptiert werden.
Wessler: Kulturunterschiede wurden auch bei den Laufzeiten des zweigeteilten Förderangebots deutlich. In der aktuell laufenden Ausschreibung "Taskforces" werden transdisziplinäre Teams nur ein Jahr lang gefördert. In dieser Zeit sollen sie zu aktuellen Herausforderungen für die Demokratie Handlungsempfehlungen verfassen und in den öffentlichen Diskurs einbringen. Das ist für Forschende gewissermaßen eine Zumutung, weil sie eine langjährige Projektdauer gewöhnt sind und in wissenschaftlichen Publikationen denken. Nichtstaatliche Organisationen dagegen finden wissenschaftlich fundierte Policy Papers natürlich großartig, um in aktuellen Debatten Position zu beziehen.
Schaffert-Ziegenbalg: In der zweiten Förderlinie, die wir in Kürze veröffentlichen werden, ist es genau umgekehrt. Hier werden transdisziplinäre Projekte über mehrere Jahre gefördert. Das entspricht der Tradition wissenschaftlichen Arbeitens, widerspricht aber dem Aktualitätsdruck politischer Initiativen. Es ist ganz klar: Wenn sich Partner:innen aus beiden Sphären in einem gemeinsamen Projekt zusammentun wollen, setzt das erstmal einen Aushandlungsprozess und hohe Kompromissbereitschaft voraus. Auf beiden Seiten.
Und Sie sind zuversichtlich, dass das klappt?
Wessler: Am Ende des ersten Workshop-Tages gab es bei allen Teilnehmer:innen große Fragezeichen. Die waren am zweiten Tag zwar kleiner, aber Unsicherheiten blieben. Und erst am dritten Tag hatten alle Lust, ein Kooperationsexperiment einzugehen. Da lagen zwei Tage tiefschürfender Reflektion hinter uns, in deren Verlauf manche vorgefasste Projektidee verworfen wurde, um sehr viel offener als vorher aufeinander zuzugehen. Mit mehr Lust auf Risiko.
Schaffert-Ziegenbalg: Dass inner- und außerwissenschaftliche Akteur:innen auf Augenhöhe zusammenarbeiten, ist zum Beispiel in der Nachhaltigkeitsforschung längst etabliert. In der Demokratieforschung aber kaum. Da gehört die Stiftung mit dieser Initiative zu den Wegbereiter:innen.
Wessler: Immer wieder erzählten uns Forschende, dass sie mit transdisziplinären Projekten bei anderen Förderern durchgefallen sind. Begutachtende würden am Ende eben doch vor allem auf die fachwissenschaftliche Qualität fokussieren und die konstruktive Mitwirkung der außerwissenschaftlichen Partner:innen nicht ausreichend berücksichtigen. Das ist aus Stiftungssicht eine strukturelle Schieflage. Mit diesem Förderangebot möchten wir andere Wege gehen und Best Practice Beispiele für gelungene Kooperationen fördern.
Wie geht es nun weiter?
Schaffert-Ziegenbalg: Die Termine für Anträge für die Förderlinie eins, die "Taskforces" mit einjähriger Förderdauer, und für die mehrjährigen Kooperationsvorhaben in der Förderlinie 2 werden jeweils auf der Stiftungshomepage veröffentlicht. Außerdem bieten wir vor den Stichtagen Online-Sprechstunden für alle Interessierten an, in der ich nochmal Infos zur Förderinitiative gebe und Fragen beantworte.
Wessler: Transdisziplinäre Vorhaben in diesem Feld sind auch für uns in der Stiftung etwas Neues. Auch wir haben noch nicht sehr viel Erfahrung bei der Einbindung außerwissenschaftlicher Zielgruppen. Andererseits ist genau das eines der Ziele des Profilbereichs "Gesellschaftliche Transformationen". Wir gehen risikofreudig an die Sache heran und hoffen, dass wir am Ende neue Impulse ins Wissenschaftssystem senden können und strukturelle Veränderungen anstoßen.
Schaffert-Ziegenbalg: Nach den Erfahrungen im Workshop bin ich mir sicher, dass wir hier eine ganz neue Forschungscommunity aufbauen!