50 Jahre Limits to Growth: Interview mit Noura Hammouda
Noura Hammouda diskutiert mit anderen Expert:innen am 8. Juni über die "Grenzen des Wachstums". Im Interview erzählt sie, was aus ihrer Sicht in der Politik falsch läuft – und was ihr trotzdem Hoffnung für die Zukunft gibt.
Wenn die Menschheit so weitermacht wie bisher, hat sie keine Zukunft auf dieser Erde – das war die Kernaussage des Berichts "The Limits to Growth", den der Club of Rome 1972 veröffentlicht hat. Die VolkswagenStiftung förderte die Studie, die dem Bericht zugrunde lag, mit einer Million DM. Am 8. Juni 2022 diskutieren Expert:innen auf Einladung der Stiftung und des Club of Rome, welche Wirkung die Warnung der Analyst:innen von damals hatte: "50 Jahre Grenzen des Wachstums: Prominent ignoriert?!". Mit auf dem Podium: Noura Hammouda, ehemalige Vorständin der BUNDjugend und "Klimagerechtigkeitsaktivistin", wie sie sich selbst bezeichnet. Im Interview erzählt sie, was aus ihrer Sicht in der Politik falsch läuft – und was ihr trotzdem Hoffnung für die Zukunft gibt.
Frau Hammouda, vor 50 Jahren warnte der Club of Rome in seinem Bericht davor, die Grenzen des Wachstums zu überschreiten. Ist das inzwischen passiert?
Die Grenzen des Wachstums sind schon lange erreicht! In Deutschland war dieses Jahr bereits am 4. Mai der sogenannte "Earth Overshoot Day". An diesem Tag haben wir alle natürlichen Ressourcen für das Jahr 2022 aufgebraucht. Das bedeutet: Wenn alle Menschen auf der Erde so leben würden wie wir, bräuchten wir ganze drei Erden. Wir haben aber nur die eine – und das ist das Problem. Viele Menschen haben zwar inzwischen verstanden, dass wir begrenzte Ressourcen haben und anders produzieren müssen. Aber das ist nur ein Teil des Weges. Wir müssen auch auf das hässliche Entlein der Nachhaltigkeitsstrategien schauen, nämlich die Suffizienz. Wir müssen also nicht nur anders, sondern vor allem weniger produzieren.
Weniger zu produzieren, um nachhaltiger zu leben – das scheint bei vielen Menschen noch nicht als mögliche Lösung im Kopf zu sein. Warum sind wir so stark auf dieses "höher, schneller, weiter" fixiert?
Wenn wir an die Wurzel von dieser Art zu denken gehen, dann sehen wir uns einer kolonialen Logik gegenüber. Ich denke, dass dieses Weltbeherrschen, Aneignen und jede Ressource nutzen, bis nichts mehr da ist, so sehr zum Selbstzweck geworden ist, dass nichts Anderes mehr bleibt – und das ist eine Politik des Todes. Denn die Frage, die wir uns alle in Bezug auf Wachstum am Ende des Tages stellen müssen, lautet: Wollen wir leben oder wollen wir sterben? Ich würde diese Frage gerne für uns alle, auch unsere Politik, mit "Leben" beantworten. Aber wenn im Jahr 2022 immer noch Braunkohle, unser dreckigster Energieträger, abgebaut wird, dann kann ich das nicht. Es macht mich traurig zu sehen, dass wir in einem System leben, das sich nicht anpassen will und nicht versteht, dass wir uns in einem Krisenzustand befinden.
Wir als Wählerinnen und Wähler waren und sind entschieden daran beteiligt, wie die jeweilige Regierung politisch aufgestellt ist. Haben wir also falsch gewählt?
Das Problem ist, dass die Parteien, die an der Macht sind, sich natürlich legitimieren wollen und wiedergewählt werden möchten. Man sieht es aktuell: Obwohl es eine Beteiligung der Grünen in der Bundesregierung gibt, fährt diese immer noch eine Linie, in der gesagt wird, dass es keine Alternative zu fossilen Energieträgern gibt. Jetzt wollen wir zwar schnell aus dem russischen Gas aussteigen, bauen dafür aber erstmal acht neue LNG-Terminals und steigern den Braunkohleabbau. Das kann doch nicht der Weg sein! Das ist auch der Punkt, den ich mit Suffizienz meine. Es muss weniger geben und das schnell.
Können wir das Ruder noch herumreißen?
Etwas Anderes bleibt uns gar nicht übrig! Das Problem ist, dass viele Menschen sich den Klimakollaps wie etwas vorstellen, das ganz plötzlich passiert – von jetzt auf gleich sozusagen. Aber wir müssen uns klarmachen, dass diese Krise langsam voranschreitet.
Was müssen wir tun, um die Erde als lebenswertes Zuhause zu erhalten?
Die meisten Menschen haben verstanden, dass die Klimakrise vor der Tür steht. Bei uns geht es also nicht mehr um die reine Information, sondern darum, unsere Systeme zu demokratisieren. Wenn wir Systeme schaffen wollen, die agil auf die Krise reagieren können, dann brauchen wir eine Basisdemokratie, die ganz unten anfängt. Menschen müssen Entscheidungen für sich treffen, jede Stimme muss zählen. Außerdem ist es wichtig, Solidaritätsnetzwerke zu knüpfen, die es schaffen, mit den kommenden Krisen umzugehen. Netzwerke, die Migrant:innen aufnehmen und einbinden und sich gegenseitig unterstützen, komme was da wolle.
Welche Rolle nehmen junge Menschen in dieser Entwicklung ein?
Die junge Klimabewegung in Deutschland hat ausreichend darauf aufmerksam gemacht, dass Generationengerechtigkeit ein wichtiger Punkt ist, wenn wir über Klima sprechen. Denn junge Menschen werden stärker von den Folgen der Krise betroffen sein. Bewegungen und Organisationen wie Fridays for Future MAPA (Zusammenschluss Most effected people and areas in FFF-Bewegung) legen einen Schwerpunkt auf Gerechtigkeit. Ich glaube, es ist die Chance unserer Generation, da den Blick über den eigenen Tellerrand zu wagen, um uns gegenseitig zu unterstützen.
Sie sind selbst als junger Mensch sehr engagiert. Was treibt Sie an?
Ich sehe mich als Klimagerechtigkeitsaktivistin, die für veränderte Beziehungen eintritt. Wir müssen eine andere Beziehung zu unserem Planeten und untereinander aufbauen, um aus der Wachstumsgesellschaft rauszukommen. Das meine ich auch ganz materiell: Ich möchte in einer Zukunft leben, in der ich weiß, dass für die Dinge, die mich umgeben, niemand ausgebeutet wird. Ich möchte wissen, dass all die Dinge, die mich umgeben, aus Ressourcen kommen, die sich erholen können. Dass ich irgendwann mal Kinder haben kann, die es gut auf dieser Erde haben werden. Dieser Wunsch für ein gutes Leben ist das, was mich antreibt.
Was gibt Ihnen Hoffnung für die Zukunft?
Hoffnung entsteht durch Handeln. Ich bin zum Beispiel bei den Protesten in Lützerath, dem Dorf an der Kante des Tagebaus Garzweiler II, engagiert. Ich schließe mich dort mit Menschen zusammen, um die Zerstörung zu stoppen und ein Bewusstsein darauf zu legen, dass hier etwas Falsches passiert. Durch diese Kollektivität, durch das gemeinsame Handeln, entsteht Hoffnung. Und das ist etwas, auf das wir alle richtig viel Lust haben.