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Kinder mit Kino für Wissenschaft begeistern

#WissKomm Zentren

Autorin: Eva Heidenfelder

Schild mit "Hier geht's lang" und einem Kinoplakat in einem Treppenhaus

Fakten aus Forschung und Wissenschaft sind bereits für die Jüngsten spannend. Sie müssen ihnen nur ganz anders vermittelt werden als Erwachsenen. Das Munich Science Communication Lab hat dazu ein Pilotprojekt gestartet.

Ein Kichern geht durchs Publikum. Checker Tobi hat gerade erfahren, dass er in der vietnamesischen Höhle, in der er eine Nacht verbringen wird, sein Geschäft nicht einfach zurücklassen kann. Seine Freundin Amy reicht ihm eine Tüte mit Reis: Da kommt alles rein, damit es auch wieder raus kommt, um das empfindliche Ökosystem der Sơn-Đoòng-Höhle nicht zu stören, dem größten unterirdischen Hohlraum der Welt. 

Im Hörsaal A240 der Ludwig-Maximilians-Universität herrscht nun gespannte Stille. Wo sonst Student:innen werktags Vorlesungen verfolgen, wird heute der Film "Checker Tobi und die Reise zu den fliegenden Flüssen" im Rahmen des vierten Münchner "Public Health Film Festivals", kurz PHFF, gezeigt.

"Unser Planet und & Ich" als erste Film-Vorführung für Kinder  

Ziel des Festivals: Durch ausgewählte Filme und anschließende Podiumsdiskussionen mit Akteur:innen das Interesse am Thema "Public Health" in der breiten Öffentlichkeit zu wecken. Und die Möglichkeit zu eröffnen, sich mit aktuellen Erkenntnissen aus dem Fachgebiet auseinander zu setzen und in den Austausch mit Wissenschaftler:innen und anderen am Thema interessierten Menschen zu kommen. Ein besonderes Augenmerk liegt mittlerweile zudem auf dem Schwerpunkt "Planetary Health", der den Einfluss von Klimawandel und Umweltverschmutzung auf die Gesundheit der Menschen beleuchtet.

Kinder in einem Klassenraum, ein Film wird an die Wand projeziert

Gespannte Aufmerksamkeit bei den jungen Besucher:innen des Festivals an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Vier Vorführungen werden auch in diesem Jahr von zwei LMU-Institutionen ermöglicht – der Pettenkofer School of Public Health (PSPH) und dem Munich Science Communication Lab, kurz MSCL. Erstmals findet nun auch eine Veranstaltung für Kinder und Jugendliche statt, das Konzept wurde vom durch die Volkswagenstiftung finanzierten MSCL erdacht, organisiert und evaluiert. Und so laden das MSCL und die PSPH große und kleine Film-Fans in das LMU Hauptgebäude am Geschwister-Scholl-Platz zur heutigen Veranstaltung unter dem Motto "Unser Planet & Ich" ein.

Auf Kinder zugeschnitten, aber auch lehrreich für Erwachsene

Gut 230 Gäste füllen nun den zum Kino- umfunktionierten Hörsaal, meist Kinder zwischen 4 und 14 Jahren in Begleitung ihrer Eltern – so auch Franziska (9) und ihre jüngere Schwester Katharina (6). Die beiden sind Kino- und Theaterprofis, um besser sehen zu können haben sie ihre Sitzerhöhungen aus dem Auto dabei.

Ganz vieles habe ich auch noch nicht gewusst!

Ein Vater

Katharinas und Franziskas Mutter, eine Ärztin, hat im Internet von der kostenlosen Veranstaltung gelesen, der Vater hat selbst an der LMU studiert und im selben Hörsaal Jura-Vorlesungen besucht. "Wir fanden es schön, unseren Kindern zu zeigen, wie so ein Hörsaal aussieht und wo ihr Papa studiert hat." Und auch das drängende Thema des Klimawandels bewegt die Familie. 

Gespannt verfolgt sie das Abenteuer des beliebten Kinder-Reporters auf der großen Leinwand, im Publikum raschelt es, viele Familien haben wie im echten Kino Knabbereien mitgebracht. In der Pause sind Franziska, Katharina und ihre Eltern bereits begeistert von dem Film. Franziska findet ihn "spannend", ihre Mama "sehr kindgerecht gemacht", der Vater sagt erstaunt, "ganz vieles habe ich auch noch nicht gewusst."

Klimaschutz spielerisch näher bringen, um selbst aktiv zu werden

Der viel gelobte Film führt Tobi und seine Freundin Marina rund um den Globus. Sein Fokus liegt darauf, Kindern spannend und spielerisch das Thema Klimawandel im Allgemeinen und Luftverschmutzung im Speziellen näher zu bringen. Und ihnen die täglichen Auswirkungen auf ihr eigenes Leben zu zeigen, aber auch Impulse zu setzen, selbst aktiv in Sachen Umwelt- und Klimaschutz zu werden.

Dass dem Film dies gelingt, zeigt die Vorführung im Rahmen des PHFF. Einem Jungen entfährt spontan ein "Boah!", als er hört, wie dreckig die Luft im bis zu minus 50 Grad kalten Winter in Ulan Bator ist, der Hauptstadt der Mongolei, wo mit Holz, Kohle und Kamelmist geheizt und gekocht wird. Als Tobi und Marina in Brasilien erfahren, wie viel Fläche des Regenwaldes auch für die Haltung von Rindern und den Anbau von Soja gerodet werden flüstert ein Mädchen seiner Mutter hörbar empört zu: "Jetzt geh ich nicht mehr in die Soja-Abteilung im Supermarkt!" 

Verantwortungsvoll, verständlich und praxisnah

Wissenschaftliche Themen in einfacher Sprache und plastischen Bildern kindgerecht zu vermitteln, dieser Herausforderung müssen sich in der anschließenden Podiumsdiskussion Prof. Dr. Eva Rehfuess, Lehrstuhlleiterin für Public Health und Versorgungsforschung an der LMU sowie Schirmherrin des PHFF, Dr. Thassilo Franke, Biologe an den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns, Fidelis Mager, Filmproduzent und Judith Issig, Regieassistentin des gerade gesehenen Films, stellen. 

Franke gelingt das besonders anschaulich, viele Kinder recken die Köpfe, um ihn gut sehen zu können: Er hat präparierte blaue Schmetterlinge mitgebracht – als sogenannte "Bio-Indikatoren" leben sie nur dort, wo die Luft rein und die Umgebung frei von Umweltgiften ist. 

Das Munich Science Communication Lab (MSCL)

Das MSCL wurde durch eine Förderung der Volkswagenstiftung im Programm Wissenschaftskommunikation hoch drei an der Ludwig-Maximilians-Universität München ermöglicht. Hier sollen evidenzbasierte, theoriegestützte und ethische Leitlinien für eine Kommunikation entwickelt werden, die den öffentlichen Diskurs und die Beteiligung an den vielen Facetten von "Planetary Health" fördert. Somit liegt zunächst der Fokus auf das Themenfeld Gesundheit innerhalb der planetaren Grenzen. Langfristig sollen wirksame Instrumente und Ansätze für die Wissenschaftskommunikation im Zusammenhang mit "wicked problems", also komplexen, interdisziplinären sowie global verflochtenen Herausforderungen, etwa der Klimakrise, entwickelt, erprobt und verbreitet werden.

Zur Website des MSCL

Solche wichtigen Erkenntnisse aus der Forschung in die breite Öffentlichkeit zu tragen, das sei die Kernaufgabe von Wissenschaftskommunikation, sagt Dr. Bernhard Goodwin, Co-Leiter des MSCL und Moderator der heutigen Veranstaltung. Verantwortungsvolle, allgemein verständliche und praxisnahe Kommunikationswege zu entwickeln, zu erforschen, das wiederum ist die Kernaufgabe des MSCL. Und diese, so auch heute, mitunter einem Praxistest zu unterziehen.

Aus forschungsethischen Gründen ist die Gruppe [der Kinder und Jugendlichen] schwer zugänglich.

Sarah Stiller, MSCL

Pilotprojekt für geeignete Wissenschaftskommunikation

Die Filmvorführung ist somit auch ein kleines Pilotprojekt, sich einer für die Wissenschaftskommunikationsforschung nicht ganz einfach zu erreichenden Zielgruppe zu nähern: Kindern und Jugendlichen. "Aus forschungsethischen Gründen ist diese Gruppe schwer zugänglich", weiß Sarah Stiller, die mit ihrer Kollegin Annika Hagge das Film-Festival leitet und mit den Kolleg:innen des MSCL das "Kinder-Kino" durchführt.

Eine Evaluation unter Minderjährigen, beispielsweise nach einem Museumsbesuch mit der Schulklasse, käme einer Zwangssituation gleich, der Faktor der sozialen Erwartbarkeit sei besonders hoch und ohne die Einwilligung der Eltern dürften Kinder und Jugendliche auch nicht ohne weiteres befragt werden, so Stiller.  Das MSCL hat deshalb verschiedene Möglichkeiten entwickelt um sich der Frage zu nähern, ob die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die der Film vermittelt, auch wirklich bei der Zielgruppe ankommen – und ob das Medium Film ein geeignetes Mittel der Wissenschaftskommunikation bei Kindern und Jugendlichen sein kann. 

Über das digitale Tool "Mentimeter" können im Anschluss an die Filmvorführung alle Erwachsene ihr Smartphone zücken und mit den Kindern Fragen rund um das Thema Umwelt- und Klimaschutz beantworten, zum Beispiel, ob CO2 das Klima schädigt, wie groß die Luftverschmutzung in München ist und was sie selbst gegen Luftverschmutzung tun können – was zu einer bunten Sammlung an Antworten wie "nicht rauchen", "mehr Fahrrad fahren" oder "weniger Fleisch essen" führt.

Künftig auch Nicht-Akademiker:innen stärker ansprechen

Nach der Veranstaltung dürfen die Zuschauer:innen ein Stimmungsbild abgeben, drei Boxen mit einem lachenden, einem neutral blickenden und einem weinenden Smiley warten am Ausgang auf den Einwurf der Tickets. Das Ergebnis: Knapp 200 Tickets werden eingeworfen, mehr als 90 Prozent in die Box mit dem Lachgesicht. Eine größer angelegte, noch laufende Online-Umfrage zur Vorführung ist für die Eltern hinter einem QR-Code hinterlegt und wird vom MSCL nach Abschluss ausgewertet.  

Goodwin, der als Moderator gelegentliche Unruhe in Zaum halten musste, zieht zum Abschluss eine positive Bilanz: "Kleine Durststrecken in der Aufmerksamkeit sind normal, denke ich", sagt er augenzwinkernd. Er freut sich, dass viele Kinder bis zum Schluss durchgehalten und sich aktiv beteiligt haben. Nach dem ersten "Feldversuch" denkt er an eine Wiederauflage des Formats. "Dann möchten wir noch stärker Kinder ansprechen, deren Eltern nicht studiert haben."

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