Lasst uns reden! Wie wir wieder miteinander ins Gespräch kommen
#XchangeWie kann in unserer Gesellschaft wieder ein respektvoller und produktiver Dialog entstehen, auch zu kritischen Themen? Diese Frage diskutierten Expert:innen und Publikum am 26. November im Rahmen von Herrenhausen Xchange. #IdeenFürMorgen
Die eingeladenen Expert:innen auf dem Podium waren Prof. Dr. Mitja Back, Professor für Persönlichkeitspsychologie an der Universität Münster, Prof. Dr. Inken Heldt, Lehrstuhl für das Politische System der Bundesrepublik und Politische Bildung an der Universität Passau, sowie Mikis Rieb von der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Die Moderation hatte Jan Sedelies.
Argumentationstraining und digitale Werkzeuge: Das Interesse wächst
Die Frage, warum Argumentationstraining aktuell so gefragt ist und welche Rolle digitale Werkzeuge dabei spielen können, war Ausgangspunkt für die Diskussion. Mikis Rieb ist Entwickler der App "KonterBUNT", die nicht nur Kindern und Jugendlichen spielerisch hilfreiche Strategien aus Argumentationstrainings gegen übliche Stammtischparolen vermittelt. Rieb berichtete von einem deutlichen Anstieg des Interesses an der App, die seit ihrer Einführung im Jahr 2019 bereits 32.000 Mal heruntergeladen wurde. Besonders zu Beginn des Jahres 2024 habe die Nachfrage nach Argumentationstraining stark zugenommen. Rieb erklärte, dass Unsicherheit und eingeschränkte Zugänge zu klassischen Trainingsangeboten viele Menschen dazu motivieren, alternative Wege der politischen Bildung zu nutzen.
Die Gesellschaft im Spannungsfeld: Polarisierung und Spaltung
Inken Heldt betonte, dass die gesellschaftliche Atmosphäre in den letzten Jahren zunehmend aufgeheizt sei. Dies habe zu einem steigenden Bedarf an individueller Aufklärung und Argumentationsfähigkeit geführt. Sie verwies auf eine alarmierende Zahl aus einer Mitte-Studie, wonach ein signifikanter Teil der Bevölkerung der Ansicht ist, dass Frauen sich mehr auf Kinder und Haushalt konzentrieren sollten. Die Studie belege, wie verbreitet sexistische und rechtsextreme Einstellungen in Teilen der Gesellschaft seien.
Auf die Frage, ob die Gesellschaft tatsächlich gespalten ist, antwortete Mitja Back, dass es keine umfangreiche Datenbasis zur Entwicklung gesellschaftlicher Spaltung gebe. Es seien jedoch einige tiefgehende Risse erkennbar – insbesondere zwischen verschiedenen sozialen Gruppen. Diese Unterschiede wären häufig mit einem unterschiedlichen Zugehörigkeitsgefühl verbunden, was in extremen Fällen zu einem Vertrauensverlust in die Demokratie führen könne.
Die Rolle der Medien
In der Diskussion wurde auch die Rolle der Medien beleuchtet. Kritisiert wurde, dass polarisierte Positionen in den Medien häufig in den Vordergrund gerückt würden, was das Bild einer gespaltenen Gesellschaft verstärke. Medien präsentierten oft extreme Positionen, die die Mitte der Gesellschaft nicht abbilden. Die Expert:innen hoben hervor, wie wichtig eine offene und respektvolle Kommunikation sei, um gegenseitige Missverständnisse abzubauen und Kompromisse zu finden.
Respektvolle Gespräche führen: Tipps für den Alltag
Aber wie gelingt es, alltägliche Begegnungen so zu gestalten, dass respektvolle Gespräche stattfinden können? Laut Back ist es entscheidend, im Gespräch Gemeinsamkeiten zu erkennen und das Gegenüber als Menschen wahrzunehmen. Politische Meinungen sind eng mit psychologischen Grundbedürfnissen wie der Sicherheit im eigenen Denken und Handeln sowie der Zugehörigkeit verknüpft, so Back. Diese Bedürfnisse können erklären, warum Menschen an ihren Überzeugungen festhalten, selbst wenn offensichtliche Fakten dagegensprechen – denn Meinungen bieten einen sicheren Rahmen und Gemeinschaft. Für einen erfolgreichen Dialog sei eine gute Gesprächsatmosphäre entscheidend, die auf Vertrauen und der Akzeptanz von Differenzen basiert, um Argumente auszutauschen und Kompromisse zu finden.
Mikis Rieb empfahl, in Gesprächen aktiv nachzufragen, zum Beispiel mit "Was meinst du damit?". Damit könnten Personen dazu anregt werden, ihre Aussagen zu präzisieren und ihre eigenen Standpunkte zu hinterfragen. Oft reiche es auch, Aussagen, denen man nicht zustimmen könne, mit "Ich sehe das anders" zu begegnen. Wichtig sei zudem die geistige Vorbereitung durch Trainings, um eigene Argumente bereitzuhalten und bei Bedarf gezielt widersprechen zu können. Für den privaten Bereich empfahl Rieb, an weniger emotional aufgeladenen Themen zu üben, um eine souveräne Haltung zu entwickeln.
Eine Veranstaltungsteilnehmerin ergänzte, dass gewaltfreie Kommunikation – etwa durch Ich-Botschaften – in konfliktreichen Gesprächen hilfreich sei. Es sei wirkungsvoller, zu sagen "Das macht mich betroffen", als Vorwürfe zu erheben.
Strategien für Schulen: Demokratiebildung und Diskussionskultur
Für Lehrkräfte wurden konkrete Strategien zur Förderung einer demokratischen Diskussionskultur in der Schule angesprochen. Inken Heldt betonte, dass Demokratiebildung bereits in der Grundschule beginnen müsse. Kinder und Jugendliche sollten als urteilsfähige Individuen anerkannt und durch kritisches Hinterfragen von Meinungen und Argumenten zu einer selbstständigen Meinungsbildung angeregt werden. Hierbei sei auch "Gegenfragen" ein hilfreiches Mittel, um Reflexion und Verständnis für andere Perspektiven zu fördern.
Initiativen für Zivilcourage und demokratische Bildung
Aus dem Publikum wurden mehrere lokale Initiativen vorgestellt, die sich der Förderung von Zivilcourage und demokratischer Bildung widmen. Dr. Jens Binner vom Zeitzentrum ZivilCourage und Felix Paul von der Landeskirche Hannover berichteten über ihre Arbeit, die unter anderem Argumentationstraining und Workshops zu Themen wie Rechtsextremismus und Menschenwürde umfasst. Zudem wurde die Website "Love Speech" empfohlen, die zahlreichen Anregungen für wertschätzende Kommunikation bietet.
Fazit: Demokratie stärken durch Dialog
Die Veranstaltung verdeutlichte, wie wichtig es ist, in Zeiten zunehmender Polarisierung den Dialog wiederaufzunehmen oder aufrechtzuerhalten, um die Gesellschaft zu stärken. Expert:innen und das Publikum waren sich einig, dass kontinuierliche Anstrengungen notwendig sind, um Demokratie lebendig zu halten. Es gilt, die Gesellschaft nicht nur zu verstehen, sondern aktiv mitzugestalten.