Veranstaltungsbericht

Integration beginnt bei uns – Wie können wir ein gutes Zusammenleben gestalten?

#Xchange

Beim Herrenhausen Xchange am 6. Mai in Hannover diskutierten rund 60 Teilnehmer:innen gemeinsam mit Expert:innen über die Herausforderungen und Chancen der Integration in Deutschland. 

Mit der Frage, welchen Beitrag jeder selbst zur Integration leisten könne, eröffnete Moderator Jan Sedelies den Abend. Viele Teilnehmer:innen sahen Zuhören, Offenheit und das Knüpfen persönlicher Kontakte als zentral. Keine Zustimmung fand dagegen die Aussage "Es ist allein die Aufgabe der Politik" - die Teilnehmer:innen verstanden Integration vielmehr als gemeinsame Verantwortung, auf individueller, kommunaler und politischer Ebene.

Wir brauchen Neugier auf andere Kulturen und Menschen

Javaher-Haghighi

In der anschließenden Podiumsdiskussion beleuchteten die drei Expert:innen aus unterschiedlichen Bereichen ihre jeweiligen Perspektiven zur Integration und zu einem gelungenen Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft.

Aydin Bayad vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld erklärte, dass Integration nicht zwangsläufig immer Harmonie bedeute. Aber die Reibung, die durch Unterschiede entstehe, könne zu gesellschaftlicher Innovation führen. Er betonte, dass alle Gesellschaften vielfältig seien und dass es der Integrationsprozess den Menschen ermögliche, trotz dieser Verschiedenheit zusammenzuleben. "Vielfalt hält einen Ort lebendig und schön", so Bayad. Integration sollte nicht als Einbahnstraße, sondern symbolisch als "gemeinsames Café" gesehen werden, zu dem jede:r einzelne durch Respekt und Neugierde beitragen könne. "Es muss nicht heroisch sein wie im Fernsehen; in jeder Straße gibt es etwas zu tun", fügte er hinzu.

Ein Mann mit Mikrofon steht vor zwei Bildschirmen,die ein Schild mit der Aufschrift "We are open" zeigen. Vor ihm sitzt Publikum

Dr. Aydin Bayad

Auch Sabine Hess, Professorin für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie an der Universität Göttingen, kritisierte die Vorstellung von Integration als Einbahnstraße, bei der sich insbesondere die Zugewanderten anpassen müssten. Sie plädierte dafür, den Blick auf die gesamte Gesellschaft zu richten: "In einer postmigrantischen Gesellschaft müssen wir uns fragen, in welcher Gesellschaft wir leben möchten und wie wir miteinander umgehen wollen", sagte sie. 

Hess betonte, dass der Integrationsprozess eine wechselseitige Auseinandersetzung zwischen Zugewanderten und der Mehrheitsgesellschaft erfordere. Dabei könnten Diskriminierungserfahrungen und Teilhabeprobleme auftreten, besonders in den Bereichen Bildung, Armutsrisiken und Wohnungsmarkt. Hess wies auf Studien hin, die zeigen, dass ein migrantischer Nachname mit erheblichen Teilhabeproblemen verbunden ist. Sie betonte zudem die Notwendigkeit, die Diskussionen über Migration dort zu führen, wo sie erforderlich sind, insbesondere in der Bildungs- und Sozialpolitik. Das Thema müsse dringend aus parteipolitischen Kämpfen herausgelöst werden. Alle dort derzeit diskutierten "Lösungen", wie das Schließen von Grenzen und Ausweisungen, schaffen laut Forschung mehr Chaos als Ordnung.

Eine Frau mit Mikrofon steht vor zwei großen Bildschirmen, vor ihr sitzt Publikum

Prof. Dr. Sabine Hess

Peyman Javaher-Haghighi, Geschäftsführer des Vereins kargah e.V. für interkulturelle Kommunikation, Flüchtlings- und Migrationsarbeit, hob die Angst vor dem Fremden als zentrales Hindernis hervor. "Wir brauchen Neugier auf andere Kulturen und Menschen", so Javaher-Haghighi. Die Bedürfnisse der zugewanderten Menschen sollten im Fokus stehen, mit gezielter Unterstützung durch Beratung, Sprachkurse oder interkulturelle Begegnungen. Er forderte politische Maßnahmen, wie die Einrichtung eines Ministeriums für Migration, Antidiskriminierungsgesetze in allen Bundesländern sowie die Reduktion von sozialen Ungleichheiten.

Ein Mann steht vor zwei Bildschirmen, die eine Gruppe Menschen zeigen. Hinter dem Mann sieht man vier Sessel für eine Podiumsdiskussion, vor ihm Publikum

Dr. Peyman Javaher-Haghighi

Der Wandel seit 2015: Wir schaffen das?

Ein zentraler Punkt der Diskussion war der Stimmungswandel seit der großen Flüchtlingsbewegung 2015. Sabine Hess erinnerte an die Solidarität und Willkommenskultur, die damals weite Teile der Gesellschaft prägten. Sie wies jedoch auch auf die Herausforderungen hin, die mit dem Integrationsprozess einhergingen. Zwar unterstützten 55% der Bevölkerung die Flüchtlinge, aber 24% der ehrenamtlichen Helfer:innen berichteten von Anfeindungen und Beleidigungen. Hess kritisierte, dass die Politik der Willkommenskultur den Rücken gekehrt habe und stattdessen die Integration zunehmend problematisiert werde. Zudem fehle es an Unterstützung für Vielsprachigkeit, die in Deutschland stark vernachlässigt und sogar behindert würde, während sie in anderen Ländern z. B. im Arbeitsalltag der Behörden oder im Gesundheitssystem längst Realität sei.

Wie kann Integration konkret gelingen?

Im weiteren Verlauf der Diskussion wurde das Thema der "gelungenen Integration" vertieft. Integration sei weit mehr als das Erlernen der Sprache, betonte Dr. Javaher-Haghighi, es gehe darum, sich hier zu Hause und integriert zu fühlen. Dies wäre nicht der Fall, wenn die Menschen Ausgrenzungen oder Diskriminierung erführen.

Auch der Zugang zu sozialen Rechten, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe müsse gefördert werden. "Es geht um Teilhabe, um das Gefühl, ein aktiver und wertvoller Teil der Gesellschaft zu sein", so Hess. Die Gesellschaft müsse ihre Türen öffnen und Begegnung ermöglichen. Dazu gehörten nicht nur sprachliche, sondern auch soziale und kulturelle Angebote. Konkret seien also Bildung, Begegnung und Beratung entscheidend.

Politische und gesellschaftliche Verantwortung

Mit Blick auf die politische Verantwortung kritisierte Javaher-Haghighi die Stadt Hannover, die mit Kürzungen im Bereich der Integrationsförderung, besonders in den Bereichen Beratung und Kultur, einen schweren Fehler gemacht habe. Integration sei ein langfristiger Prozess, der nicht von heute auf morgen gelingen könne. Dafür seien ausreichende Ressourcen notwendig – und ein langfristiger politischer Wille. Die Anerkennung von Qualifikationen und Abschlüssen von Migrant:innen müssten beschleunigt und bürokratische Hürden abgebaut werden.

Hess ergänzte, dass Migration ein notwendiger Bestandteil unserer Gesellschaft sei. Die Wirtschaft sei schon seit Jahrzehnten auf migrantische Arbeitskräfte angewiesen, und zwar nicht nur auf hochausgebildete Personen. Der Widerspruch, dass Deutschland attraktiv für Fachkräfte, aber unattraktiv für Flüchtlinge gemacht werden solle, müsse überwunden werden.

Ein Schild mit der Aufschrift "Was kannst Du persönlich zur Integration beitragen?" neben Röhren mit verschiedenen Antworten, in die Bälle geworfen wurden

Vor und nach der Veranstaltung hatten die Teilnehmer:innen Gelegenheit, über mögliche eigene Beiträge für eine gelungene Integration abzustimmen.

Der Weg nach vorne

Auf die Frage, wie die Gesellschaft auch im Alltag eine offene und integrative Haltung entwickeln könne, antwortete Bayad, dass jeder Einzelne eine Verantwortung trage. "Integration ist kein einmaliger Akt, sondern ein stetiger Prozess", sagte er. Die Reibungen, die auftreten, seien nicht nur normal, sondern notwendig, um den Dialog und das Verständnis füreinander zu fördern. Die Vision: Ein "gemeinsames Café", das als Symbol für das Miteinander und die Offenheit fungiert. Jeder könne seinen Beitrag leisten – sei es durch das aktive Zuhören, den Abbau von Vorurteilen oder die Bereitschaft, Neues zu lernen und sich mit anderen Kulturen auseinanderzusetzen.

Eine Teilnehmerin aus dem Publikum rief dazu auf, sich ganz persönlich mit dem Thema Integration auseinanderzusetzen: Was kann man geben? Wo liegen die eigenen Ängste oder Grenzen? Was bedeutet Integration für einen persönlich? Akzeptanz von Reibungen sei genauso wichtig im Gespräch mit einer deutschen Nachbarin wie mit einer indischen Migrantin. Dabei könnten Kurse für aktives Zuhören hilfreich sein.

Der Austausch zwischen den Communities

Javaher-Haghighi betonte die Notwendigkeit neuer Netzwerke, um die unterschiedlichen Kulturen und Perspektiven zusammenzubringen. "Wir brauchen mehr transkulturelle Vereine und Plattformen, die den Austausch fördern", sagte er. Hess stimmte zu, dass es in vielen Teilen der Gesellschaft noch zu wenig Brücken zwischen den Communities gebe.

Praktische Tipps für Engagement in Hannover

In Hannover gibt es zahlreiche Initiativen, die Integration fördern. 

  • Der Unterstützerkreis Flüchtlingsunterkünfte in Hannover organisiert und vernetzt Ehrenamtliche, bietet finanzielle Unterstützung, hilft bei fehlenden Deutschkenntnissen, sammelt Spenden und führt Projekte durch. 
  • Jeden Samstag von 11 bis 14 Uhr kommen bei interkulturellen Treffen in Hainholz und Vahrenwald Menschen aus unterschiedlichen kulturellen Hintergründen zusammen, tauschen sich aus und verbringen gemeinsam Zeit.
  • Bei der KüFA (Küche für alle) kommen in Hannover jeden Mittwoch Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammen, um gemeinsam zu kochen und zu essen – eine Gelegenheit für den Austausch, nicht nur über kulinarisches.
  • Der Verein Wasmitherz e.V. bietet gemeinsame Kochveranstaltungen und Kurse an, die den interkulturellen Austausch und die sozialen Bindungen innerhalb der Stadt stärken.
  • Das Tolstoi Hilfs- und Kulturwerk Hannover organisiert im Oktober 2025 ein Theaterfestival in verschiedenen Sprachen in Hannover. Es soll Menschen mit Migrationsgeschichte die Möglichkeit geben, ihre Geschichten und Erfahrungen durch Kunst und Kultur auszudrücken.

Diese und viele weitere Initiativen tragen dazu bei, dass Integration in Hannover gelingt – und bieten viele Möglichkeiten, durch persönliches Engagement einen Beitrag zu einem offenen und respektvollen Miteinander zu leisten.

Fazit und Ausblick

Die Veranstaltung verdeutlichte, dass Integration ein komplexer und vielschichtiger Prozess ist. Dieser sollte unbedingt, so die Expert:innen, als wechselseitig verstanden werden: Nicht nur die Zugewanderten, sondern auch Politik und Mehrheitsgesellschaft müssten aktiv Verantwortung übernehmen und Integration als gemeinsame Herausforderung annehmen. Dabei sind der Dialog und die Bereitschaft, sich gegenseitig zuzuhören, ein entscheidender Faktor.

Und: Trotz aller Herausforderungen gibt es viele positive Beispiele für gelungene Integration, insbesondere durch ehrenamtliche Initiativen, die allerdings mehr Unterstützung benötigen, sowohl durch die Politik als auch durch die Gesellschaft.

Die Veranstaltung endete mit einem Appell an alle Teilnehmenden, weiter den Dialog zu suchen und aktiv in ihrem persönlichen Lebensumfeld Veränderungen voranzutreiben.
 

 

Podiumsdiskussion mit

  • Dr. Aydin Bayad, Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung, Universität Bielefeld

  • Prof. Dr. Sabine Hess, Institut für Kulturanthropologie / Europäische Ethnologie, Universität Göttingen

  • Dr. Peyman Javaher-Haghighi, kargah e.V. – Verein für interkulturelle Kommunikation, Flücht-lings- und Migrationsarbeit

  • Moderation: Jan Sedelies, Journalist