Veranstaltungsbericht

Die Schuldenbremse gerecht anwenden? Ein Marathon, kein Sprint

Dr. Ulrike Schneeweiß

Ist die Schuldenbremse noch zeitgemäß – und vor allem gerecht gegenüber den jüngeren Generationen? Expert:innen blickten zurück auf die Rolle dieses Steuerungsinstruments und diskutierten mögliche Reformen bei der Leopoldina Lecture am 13. Juni 2024 in Hannover.

Die Grafik zeigt eine jüngere und eine ältere Hand, die Händehalten Play Video

Livestream vom 13. Juni 2024 um 18.00 Uhr

"Ist die Schuldenbremse gerecht gegenüber jüngeren Generationen?", lautete die Frage der Leopoldina Lecture am 13. Juni 2024 im Schloss Herrenhausen. Die Diskutierenden stimmten überein, dass die Schuldenbremse ein sinnvolles Instrument sei. Unterschiedlicher Ansicht waren sie darüber, wie die Kosten für Transformationen zu stemmen seien, um folgenden Generationen gerecht zu werden. 

Kritiker:innen wie Fürsprecher:innen der Schuldenbremse beriefen sich auf den Wohlstand künftiger Generationen, schilderte der Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina Gerald Haug in seiner Begrüßung. Die einen, indem sie vor steigenden Zinsbelastungen warnen; die anderen, indem sie Spielraum für Ausgaben für militärische Sicherung und produktivitätssteigernde Investitionen forderten. Aufgabe wissenschaftsbasierter Politikberatung sei es, sachliche Argumente für die Diskussion zu liefern: Stehen Schuldenbremse und Investitionen im Gegensatz zueinander? Und welche langfristigen Interessen sollten die Gestaltung der Staatsfinanzen bestimmen?

Deutschland im europäischen Mittelfeld 

Silke Übelmesser, Professorin für Allgemeine Volkswirtschaftslehre, insbesondere Finanzwissenschaft, von der Friedrich-Schiller-Universität Jena, zeichnete die Grundzüge der 2009 ins Grundgesetz aufgenommenen Regelung auf. Sie begrenzt die Nettokreditaufnahme des Staates auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). "Je nach konjunktureller Situation ist ein Mehr oder Weniger möglich", erklärte Übelmesser. In Notsituationen kann die Bremse ausgesetzt werden, so geschehen während der Corona-Pandemie und der Energiekrise. Im Vergleich europäischer Staaten bewegt Deutschland sich im Mittelfeld zwischen einer Anzahl vorwiegend kleinerer Staaten mit geringerer Schuldenquote und einigen größeren mit höherer Schuldenquote.

Silke Übelmesser steht an einem Podium

Grundsätzlich dienten Fiskalregeln dazu, Vertrauen in sowie Stabilität von Finanzmärkten zu sichern, sagte Silke Übelmesser, die Mitglied im unabhängigen Beirat des Stabilitätsrats des Bundes und der Länder ist. "Sie verhindern, dass ein Staatshaushalt unkontrolliert an seine Grenzen stößt." Zudem sollen die Regeln Generationengerechtigkeit gewährleisten. "Sie sorgen dafür, dass nicht zu viele heute anstehenden Ausgaben durch Verschuldung auf künftige Generationen geschoben werden können." Dadurch bewahren sie Handlungsspielräume für bekannte und unbekannten Herausforderungen der Zukunft.

Lars Feld ist Professor für Wirtschaftspolitik und Ordnungsökonomik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Mitglied der Leopoldina und persönlicher Beauftragter des Bundesfinanzministers für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Er war an der Konzeption des Gesetzes beteiligt. "Lebt ein Staat über seine Grenzen und verschuldet sich übermäßig hoch, muss es jemand ausbaden", sagte er. Im Extremfall komme es zur Zahlungsunfähigkeit des Staates oder zu Hyperinflation, die Umstrukturierungen oder Währungsreformen erfordern. "Beide Wege haben ungünstige Verteilungswirkungen, sie treffen die Schwächsten in der Bevölkerung am stärksten", sagte Feld. "Fiskalregeln verhindern solche Katastrophen. Das ist das Element der Generationengerechtigkeit."

Lars Feld steht an einem Podium

Investition oder Subvention?

Die Diskussion um das Gesetz entzünde sich eigentlich an dem Umstand, dass der Gesetzgeber im Vergleich zu vorherigen Regeln die Orientierung der Neuverschuldung an der Höhe der Investitionen habe fallen lassen. Bis 2009 galt: Der Staat darf Kredite bis zur Höhe seiner veranschlagten Investitionen aufnehmen. Die derzeitige Forderung nach mehr Investitionen erfordere genaues Hinsehen: Was ist als Investition zu verstehen? "Wenn ein Staat das tut, was er soll, nämlich Marktversagen ausgleichen, ob auf makroökonomischer Ebene oder auch im Sozialsystem, dann liefert er bereits wesentliche Vorleistungen für private Investoren", meint Feld. Eine gutes Rechtssystem etwa helfe zukünftigen Generationen genauso, wie der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur oder Klimaschutz.

Weil es also keinen Sinn mache, einzelne Tätigkeiten eines Staates besonders hervorzuheben, sei die Investitionsorientierung gestrichen worden. "Bitte sein Sie bei dieser Diskussion genau", appellierte Feld: "Staatliche Investitionen im eigentlichen Sinn sind typischerweise Investitionen in Beton und Stahl. In der Diskussion umstritten sind aber im wesentlichen Subventionen an die deutsche Wirtschaft, die die Transformation lenken sollen."

Austarieren: Staatsverschuldung und Investitionen 

Finanzielle Generationengerechtigkeit basiere auf zwei Geboten, sagte der Philosoph und Technolgiesoziologe Jörg Tremmel, Professor an der Eberhard Karls Universität Tübingen und wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen. Es dürfe keine übermäßig große Staatsverschuldung geben und es müssten ausreichend Investitionen getätigt werden. "Erst durch das Austarieren dieser beiden Gebote entsteht die richtige Finanz- und Wirtschaftspolitik", sagte Tremmel. Die Legislaturperioden demokratischer Systeme böten Politikern allerdings immer wieder Anreiz, kurzfristige Geschenke wie Steuererleichterungen oder Sozialleistungen über Schulden zu finanzieren, die Zinslast werde an folgende Generationen weitergegeben. In dieser Hinsicht sei die Schuldenbremse in ihrer aktuellen Form eine große Errungenschaft.

Jörg Tremmel sitzt auf einem Podium

Staaten wie Dänemark bewiesen zudem, dass eine Schuldenbremse mit einer hohen Investitionsquote und fortschrittlichem Klimaschutz vereinbar ist. Auch die EU als quasi-staatliches Gebilde könne Modell dafür stehen, wie Investitionen auch ohne Kreditaufnahme finanziert werden könnten. "Es wäre schließlich höchst ungerecht, wenn eine Generation Infrastrukturelemente wie Verkehrswege in marodem Zustand an die nächste weitergäbe."

Interessenausgleich zwischen Generationen

Angesichts der großen Herausforderungen bei gleichzeitig verhaltener wirtschaftlicher Entwicklung komme es darauf an, zu priorisieren, meint Silke Übelmesser. "Wir müssen in die mühsame Diskussion über ein ausgewogenes Verhältnis von Gegenwartskonsum und Zukunftsinvestitionen gehen." Der Interessenausgleich zwischen unterschiedlichen Ansprüchen sei im komplexen Gebilde der Bundes-, Länder- und Sozialversicherungshaushalte nicht leicht zu erreichen, sagte Lars Feld. Öffentliche Investitionen machten in diesem Gesamtgebilde allerdings weniger als 6 Prozent der Ausgaben aus, während Transfers, inklusive Subventionen, bei über 40 Prozent lägen. "Um Investitionen zu stärken, müssen wir umsteuern von Transferausgaben hin zu Investitionsausgaben." Er sehe etwa in der Familienpolitik "sehr viele Programme, die allenfalls eine fragwürdige Umverteilung von der linken in die rechte Tasche des Mittelstandes bewirken", sagte Feld.

Das Problem mit dem Interessenausgleich durch die Politik sei, sagte Jörg Tremmel, dass zukünftige Generationen keine Stimme hätten, um ihre Interessen hörbar zu machen. "Sonst hätten wir eine andere Finanz- und Klimapolitik." Mittel für die Transformation der Wirtschaft würde Tremmel bereitstellen, indem zuerst klimaschädliche Subventionen abgebaut werden. "Dienstwagenprivileg, Steuerermäßigung auf Dieseltreibstoff, Steuerbefreiung für Kerosin: Da käme man schnell auf Einnahmen in Höhe von 20 Milliarden Euro, etwa so viel, wie im Haushalt für 2025 noch fehlt", rechnete er vor. Sondervermögen gezielt für bestimmte Zwecke aufzunehmen, hält er ebenfalls für sinnvoll; etwa für den Ausbau der Strom- oder Wasserstoffnetze. 

Ein Podium sowie gut gefüllte Sitzreihen

Projektionsfläche Schuldenbremse

"Für den Klimaschutz muss das Leitinstrument die CO2-Bepreisung sein", sagte dagegen Feld; die Einnahmen daraus müsse der Staat vorrangig in Forschung und Entwicklung investieren. Jörg Tremmel warnt davor, die Entwicklung unbekannter Technologien abzuwarten: "Es ist schon jetzt zu viel CO2 in der Luft!", betonte er. "Wir müssen Klimaschutz also sehr schnell betreiben und gleichzeitig als langfristige Aufgabe begreifen." Eigentlich sei die Schuldenbremse eine Projektionsfläche, konstatierte Lars Feld. "Wir müssen die tatsächlichen Probleme angehen: Vernachlässigung der Infrastruktur und Fehlprognosen des Verkehrsaufkommens oder der demographischen Entwicklung." Es sei nicht sinnvoll, zu beklagen, dass die Schuldenbremse die Politik einschränke, schloss sich Silke Übelmesser an. "Dafür haben wir sie schließlich."