Covid-19: "Das Virus wird bei uns bleiben"
#CoronaUm mit Pandemien künftig besser umzugehen, braucht es systemische Veränderungen. Darin sind sich die Virologin Melanie Brinkmann und der Immunologe Reinhold Förster einig. Bei Herrenhausen Late warfen beide einen Blick in die Zukunft, in der uns das Virus wohl weiter begleiten wird.
Am 11. März 2020 rief die Weltgesundheitsorganisation (WHO) offiziell die Pandemie aus. Elf Tage später gab es den ersten Lockdown. "Deutschland hat auf diesen Weltzustand sehr schnell reagiert und sehr klare Regeln eingeführt", sagt Prof. Melanie Brinkmann, Virologin an der Technischen Universität Braunschweig bei einer neuen Ausgabe des Formats Herrenhausen Late; dessen Titel: "Covid-19: Pandemie und (k)ein Ende in Sicht?".
Bald zeigte sich, dass SARS-CoV2 eine systemische Erkrankung verursacht, die neben den Atemwegen auch Herz, Leber, Blutgefäße und Gehirn betreffen kann. Und das Virus aktiviert das Abwehrsystem mancher Erkrankter so stark, dass sie an den Folgen der Immunreaktion leiden. "Das alles waren keine guten Voraussetzungen, um mit diesem Virus zu leben", sagt Brinkmann. "Heute könnte hier im Saal eine unbemerkte infizierte Person sein - das wäre jetzt ok."
Nur wenige Möglichkeiten sich zu schützen
Warum das im Jahr 2020 anders aussah, erklärt Immunologe Prof. Reinhold Förster von der Medizinischen Hochschule Hannover: "Deutschland hat eine relativ alte Bevölkerung, es gab nur sehr begrenzte und rein symptomatische Behandlungsmöglichkeiten, wir hatten so gut wie keine Immunität und keine Impfung", schildert er. "Wie also konnten wir uns vor diesem mysteriösen Virus schützen?" Es gab die Möglichkeit, eine Infektion zu vermeiden - indem wir unsere Kontakte beschränkten und Masken trugen. Oder wir konnten Immunität, körpereigene Abwehrkräfte, gegen das Virus entwickeln. Förster erinnert an die große Diskussion, die sich um Durchseuchung und Herdenimmunität entspann. "Hätten wir eine Durchseuchung zugelassen, wäre das Land zusammengebrochen", sagte er. "Nach drei Monaten hätten wir geschaut: Wer lebt noch?"
Melanie Brinkmann wurde damals oft gebeten, in die Glaskugel zu schauen und zu sagen, wann die Impfstoffe kommen würden. "Das war damals völlig unklar", betonte sie. Ohne Impfstoff habe es im Prinzip nur drei Optionen gegeben: "Nichts zu tun und das Virus laufen zu lassen, die Ausbreitung zu mitigieren oder Holzhammer-Maßnahmen anzuwenden, die das Virus komplett ausbremsen, gefolgt von einem langen Tanz mit dem Virus", so Brinkmann. "Mir hat damals jemand gefehlt, der diese Optionen erklärt hätte." Sie zitierte Mike Ryan von der WHO, der klar gesagt habe, die Welt müsse früh, schnell, konsequent und koordiniert handeln. "Das hat nicht funktioniert", urteilt Brinkmann aus heutiger Sicht. Es sei nicht gelungen, das ganze System im Blick zu haben, die Bevölkerung mitzunehmen, gut zu kommunizieren und einheitlich vorzugehen. "Im Sommer 2020 wägten wir uns in einer relativen Sicherheit", schilderte sie. "Als das Virus im Herbst wiederkam, ist uns alles komplett entglitten: Wir haben zu lange diskutiert, was zu tun ist. Das war ein großer Fehler." Die Folge: viele Tote und sehr viele schwer kranke Menschen auf den Intensivstationen. "Das Gesundheitssystem hatte seither keine Pause und ist jetzt erschöpft", sagt Brinkmann.
Die dritte Impfung hat es rausgerissen
Der Impfung verdanken wir heute, dass wir trotz hoher Infektionszahlen wenige Todesfälle beobachten. Förster weist darauf hin, dass die rasante Entwicklung der Impfstoffe auf Jahrzehnten vorhergehender Grundlagenforschung aufbauen konnte. Und er erinnert, wie Forschende an der Medizinischen Hochschule Hannover die ersten Impfungen wissenschaftlich begleiteten. Sie hätten beobachtet, dass die Impfung mit zwei Dosen verschiedener Impfstoffe eine besonders gute Abwehr bewirkt. Und: "Die dritte Impfung hat’s rausgerissen", betont der Immunologe, "sie hat uns insbesondere vor der Delta-Variante gerettet."
Sie schütze zwar nicht so gut gegen eine Infektion mit der Omikron-Variante, aber: "Wenn wir uns infizieren, ist das nicht so schlimm. Wir können uns das leisten." Bei Geimpften wirke eine Infektion mit Omikron geradezu wie ein Booster auf das Immunsystem. In der derzeitigen, vergleichsweise komfortablen Situation sei es nun wichtig, das Vorgehen während der Pandemie rückblickend aufzuarbeiten, sagt Brinkmann. "Wir müssen uns fragen, welche langfristigen Auswirkungen die Maßnahmen etwa auf Bildung und individuelle Lebensläufe haben. Wo hatten wir zur falschen Zeit die falschen Maßnahmen?" Die Erkenntnisse könnten helfen, Szenarien dafür zu entwerfen, wie künftige Pandemien zu bewältigen sind. Denn die werden kommen, da sind sich Brinkmann und Förster einig.
Die Pandemie ist noch nicht vorbei
Und auch die Corona-Pandemie sei nicht vorbei. "Weltweit gibt es noch viele Infektionen", sagt Brinkmann. "Das Virus mutiert. Es wird bei uns bleiben." Die Impfung verringere die Infektionssterblichkeit zwar auf ein Niveau leicht über dem der saisonalen Grippe. Weitere Impfstoffe und -strategien seien zudem in der Entwicklung. Bei dem derzeit guten Immunschutz verliere SARS-CoV2 ein wenig von seinem Schrecken, sagt Reinhold Förster: "Doch das kann sich ändern." Neue Varianten könnten auftreten. "Und was haben wir außer der Impfung im Portfolio?", fragt der Forscher. Seine Einschätzung: „Erschreckend wenig.“
Die monoklonalen Antikörper, die bei akuter Infektion verabreicht würden, begünstigten die Entwicklung neuer Mutanten, gegen die die Antikörper wirkungslos seien. Die wenigen anderen antivitalen Mittel würden kaum verabreicht. "Sie müssten früh während einer Corona-Infektion zum Einsatz kommen. Doch man weiß nicht, wer von den vielen Infizierten jetzt noch schwer erkrankt", erklärt Förster. Es ist für behandelnde Ärztinnen und Ärzte im entscheidenden Zeitfenster also unklar, ob eine infizierte Person von der Gabe der Mittel profitieren würde.
Brinkmann skizziert systemische Veränderungen, die es braucht, um auf künftig auftretende Infektionskrankheiten besser vorbereitet zu sein: "Ein digitalisiertes Gesundheitssystem, weltweite Überwachung und Transparenz zwischen Staaten, bessere Luftqualität", zählen für sie dazu. Außerdem sei die stabile Kommunikation zwischen Wissenschaft und Politik wichtig sowie die Aufklärung und Kommunikation mit der Gesellschaft. "Wir brauchen dringend professionelle Gesundheitskommunikation, und die muss getrennt sein von politischer Kommunikation - dafür werde ich mich einsetzen!"