Wie finden Medien-Start-ups Wege aus der Ertragskrise?
Eine von der VolkswagenStiftung geförderte Projektgruppe hat die Erfolgsrezepte von journalistischen Neugründungen untersucht.
Christian Wellbrock ist Professor für Medien- und Technologiemanagement an der Universität zu Köln und leitet das Projekt "Erfolgsfaktoren und -bedingungen von Entrepreneurial Journalism", das die VolkswagenStiftung fördert. Mit einem Team von Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern hat Wellbrock untersucht, wie Medien-Start-ups sich aufstellen sollten, was Erfolgsbeispiele auszeichnet – und woran andere gescheitert sind.
Beim Online-Symposium "Erfolgreicher digitaler Journalismus" (Programm-PDF) trafen Ende November 2020 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf Journalistinnen und Journalisten, begegneten internationale Medienberatende Verlagsmanagerinnen und -managern, tauschten sich Gründerinnen und Gründer mit Politikerinnen und Politikern aus. Ein Fragenkreis beschäftigt sie alle: Wie setzt sich Innovation im Journalismus durch? Wie können innovative Geschäftsmodelle wirtschaftlich überleben? Und können sie dann sogar zum Überleben der Institution Journalismus beitragen?
Der Hintergrund für diese Fragen: Traditionelle Medienunternehmen stecken in einer tiefen Krise ihrer Geschäftsmodelle. So finanzieren sich kommerzielle Anbieter seit jeher überwiegend oder jedenfalls substanziell über Werbung, um für die publizistischen Kernprodukte eine Geldquelle über die Vertriebseinnahmen hinaus zu nutzen. "Aber die Werbefinanzierung ist überholt", sagte Prof. Dr. Christian Wellbrock zu Beginn des Symposiums. Ziel des Projekts "Erfolgsfaktoren und -bedingungen von Entrepreneurial Journalism": Die Kölner wollen Wege aus der Ertragskrise vergleichen und die Voraussetzungen für neue Modelle analysieren.
Im Schatten der Corona-Krise
Die Corona-Krise hat das Risiko der Werbeabhängigkeit der Branche einmal mehr vor Augen geführt hat. Zugleich unterstreicht die Pandemie die gesellschaftliche Relevanz des Journalismus. Anders gesagt: Medienhäuser müssen derzeit erhebliche Rückgänge im Anzeigengeschäft verkraften. Gleichzeitig verzeichnen sie eine erhöhte Nachfrage nach Inhalten. Jedoch kann das Plus bei den Abonnementabschlüssen die Werbeverluste nicht auffangen.
Entsprechend groß war bei der virtuellen Konferenz das Interesse an den Forschungsergebnissen. Wellbrock sieht die Branche in der Pflicht zu handeln, "damit demokratierelevanter Journalismus zukunftsfähig bleibt".
"Kleine Medienorganisationseinheiten haben großes Potenzial, Journalismus ins digitale Zeitalter zu überführen", sagt er. Daher stellten Wellbrock und sein Team rund 50 solcher Mediengründungen ins Zentrum ihrer neuesten Studie. "Bei jedem der Projekte, die wir im Bereich Journalismus unterstützen, stellt sich die Frage, wie ein Transfer der Ergebnisse in die Praxis gelingen kann. Das Projekt schafft genau das", sagte Cora Schaffert-Ziegenbalg, Förderreferentin der VolkswagenStiftung.
Die Zahlungsbereitschaft der Rezipienten
Der Forschungsstand zu Erfolgsbedingungen für Start-ups im Allgemeinen ist umfangreich, der zu Medien-Start-ups dagegen überschaubar. "Daher identifizierten wir zunächst Faktoren, die den Erfolg von Mediengründungen begünstigen – oder zu deren Scheitern führen könnten", sagt Daniel O’Brien, als wissenschaftlicher Mitarbeiter Co-Autor der Studie. Er präsentierte auf dem Symposium Ergebnisse der vergleichenden Analyse nach Interviews mit den 50 Mediengründungen. Ein Ergebnis: "Wie innovativ ein Produkt ist, ist zweitrangig. Vielversprechende Voraussetzungen sind die Branchenerfahrung der Gründerinnen und Gründer in Kombination mit deren Netzwerk- und Organisationsfähigkeiten."
Noch etwas fanden die Forscher heraus: Ein gutes Gründungsumfeld allein, beispielsweise mit institutioneller Förderung, ist noch kein Erfolgsgarant für Innovationen. Zwar überstehen Branchenneulinge mit großzügigen finanziellen Zuwendungen in der Regel die besonders kritische Anfangsphase. Doch ohne den Zwang, am Markt überzeugen zu müssen, verlieren sie im Zweifel ihre Rezipienten aus dem Blick. Nur mit diesen kann ein Medium aber langfristig bestehen. Denn aus Gelegenheitsleserinnen und -lesern müssen treue Lesende werden, damit aus ihnen zahlende Abonnentinnen und Abonnenten werden.
RiffReporter: Genossenschaft für journalistische Innovation
"Innovation im Journalismus findet zwar auf Produktebene statt. Zukunftsweisend sind aber vor allem innovative Prozesse und Geschäftsmodelle", sagt Wellbrock: "Sie ermöglichen Unabhängigkeit und Überleben." Ein Beispiel dafür ist die RiffReporter-Genossenschaft. Sie unterstützt mittlerweile über 100 freie Autorinnen und Autoren dabei, journalistische Projekte in Eigenregie an den Start zu bringen. Dazu gestaltet das Start-up die Beziehung zwischen Leserinnen und Lesern und Autorinnen und Autoren neu: Statt über klassische Medien werden die Beiträge ohne einen Verlags-Umweg direkt auf der Internet-Plattform publiziert und den Rezipientinnen und Rezipienten angeboten. Diese erhalten über die Website Zugang zu hochwertigem Wissenschaftsjournalismus aus einer Vielzahl an Gebieten. Für Wellbrocks und O’Briens Forschung war das junge Medienunternehmen RiffReporter ein wichtiger Anlaufpunkt. Unter anderem über diese Plattform identifizierten sie nämlich auch weitere journalistische Gründungen für ihre Studie.
"Über RiffReporter können Rezipienten sachkundige Autoren und Autorinnen sowie deren Recherchen gezielt stärken. So sind bereits zahlreiche spannende Projektbeispiele für fundierten, vielfältigen Journalismus entstanden", sagt Tanja Krämer. Sie ist selbst Journalistin und Mitgründerin der RiffReporter. "Die Autoren entscheiden, ob sie ihre Inhalte auf unserer Webseite kostenlos oder zahlungspflichtig anbieten." Die Nutzerinnen und Nutzer wählen dann zwischen Einzelabos oder einem Komplettabo für alle Bezahlinhalte. "So eine Flatrate hatten wir zunächst ausgeschlossen. Doch in einer Testphase wurde sie von den Nutzern gut angenommen und ist nun fest im Programm", berichtet Krämer.
Lektionen aus dem Globalen Süden
Ähnlich wie RiffReporter implementieren und testen auch etablierte Medien ihre Bezahlmodelle für Digitalprodukte. Beim Symposium stellte beispielsweise Martina Sorg die aktuelle Strategie der FAZ vor; Petra Schulz erklärte, was die Mediengruppe Madsack plant. Bei beiden Medienhäusern wachsen die digitalen Abonnenten-Zahlen, beide optimieren ihre Paywalls kontinuierlich. Die kritische Phase ist immer der Wechsel vom kostenlosen Probe- zum Bezahlabo. Sind die Leserinnen und Leser von den Inhalten überzeugt, reduziert sich der Anteil der Kündigungen auf einem niedrigen Niveau.
Eira Martens-Edwards von der DW Akademie, Deutschlands führendem Akteur in der Medienentwicklungszusammenarbeit, ergänzte das hochrangige Branchentreffen um eine internationale Perspektive aus dem sogenannten Globalen Süden. Sie stellte erfolgreiche Mediengründungen von verschiedenen Kontinenten vor. "Es spielt keine Rolle, ob ein Medien-Start-up in Mexico City oder Johannesburg, in Kiew oder Kuala Lumpur ansässig ist", sagt Martens-Edwards. "Sie müssen alle einen Weg finden, um zu überleben oder sogar zu wachsen." Mediengründerinnen und -gründer können auch von erfolgreichen Medien-Start-ups aus anderen Ländern lernen – genauso wie von den gescheiterten. Denn die Kriterien von Innovationserfolg sind global gültig.