Künstliche Photosynthese: Der Schritt zum Leben
Der Mikrobiologe Tobias Erb hat die Photosynthese im Labor neu erfunden. Sein Ziel: chemische Substanzen mithilfe von Sonnenlicht und Kohlendioxid aus der Luft herzustellen.
Die Photosynthese gehört zu den faszinierendsten biologischen Prozessen überhaupt: Grüne Pflanzen und viele Bakterienarten ernten Sonnenenergie, um damit Kohlendioxid aus der Luft in energiereiche Verbindungen umzuwandeln. Nicht allein die Pflanzen leben von diesem essenziellen biologischen Mechanismus, sondern auch alle höheren Lebewesen, die Tiere und der Mensch. Doch die Milliarden Jahre alte Photosynthese ist nicht besonders effizient: Das wichtigste Molekül der Fotosynthese, das Enzym Rubisco, welches das Kohlendioxid (CO2) bindet, arbeitet recht langsam – und auch fehlerhaft.
Der Mikrobiologe Tobias Erb vom Marburger Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie kam deshalb vor etwa fünf Jahren auf die Idee, die Fotosynthese auf Trab zu bringen. Sein Plan: Statt mit Rubisco wollte er das Kohlendioxid mit dem Enzym Enoyl-CoA-Carboxylase/Reduktase (ECR) binden, das bei Purpurbakterien vorkommt, die im schlammigen Grund von Seen leben. ECR ist etwa zwanzigmal schneller als Rubisco und arbeitet fast fehlerfrei. Die Herausforderung: Die natürliche Photosynthese ist eine molekulare Kettenreaktion, an der neben Rubisco viele andere Enzyme beteiligt sind – und die arbeiten nicht mit ECR. Für die ECR-Fotosynthese musste Tobias Erb also eine ganz neue Enzym-Kette aufbauen. Vor drei Jahren war sein Team am Ziel: Die Kette funktionierte. Das ECR nahm CO2 auf. Die anderen Enzyme wandelten es in größere Moleküle um.
Durchbruch dank Escherichia coli
Jetzt ist Tobias Erb mit seiner Forschungsgruppe einen entscheidenden Schritt weiter: Es ist ihm gelungen, die künstliche Photosynthese aus den Laborgläsern in eine lebende Zelle zu übertragen – in das Bakterium Escherichia coli, E. coli. "Für uns ist das der Durchbruch", sagt Tobias Erb. Escherichia coli ist einer der am besten erforschten Mikroorganismen. Schon lange lassen sich mithilfe mikrobiologischer Methoden Gene in das Erbgut von E. coli einschleusen, wodurch das Bakterium auf Wunsch verschiedene Substanzen produzieren kann – beispielsweise Insulin. So ist auch Tobias Erb vorgegangen: Er hat jene Gene in das Erbgut von E. coli eingeschleust, die den Bauplan für ECR und die anderen Enzyme enthalten. Um zu beweisen, dass sich das Kohlendioxid tatsächlich in einer künstlichen Photosynthese-Kette zu größeren Molekülen weiterverarbeiten lässt, hat er ferner Enzyme eingebaut, die über mehrere Schritte das Molekül Succinyl-CoA herstellen. Es spielt eine große Rolle beim Aufbau der Zellwand und für die Synthese wichtiger Aminosäuren. Wie sich zeigte, funktioniert in E. coli die gesamte Kette von der CO2-Aufnahme bis zum Succinyl-CoA tatsächlich. Cetch-Zyklus hat Tobias Erb seine Enzym-Kette genannt.
Zwar kann E. coli keine Energie aus Sonnenlicht gewinnen und muss – anders als grüne Pflanzen – zusätzlich mit Kohlehydraten versorgt werden. Dennoch ist der Beweis erbracht, dass sich ein kompletter künstlicher Stoffwechselweg zur Bindung von CO2 in einen lebenden Organismus einbauen lässt.
Die Arbeit an E. coli sei eine Herausforderung gewesen, erzählt Tobias Erb. Nachdem er die Gene für die verschiedenen Enzyme seines Cetch-Zyklus‘ in das Erbgut des Bakteriums übertragen hatte, passierte zunächst gar nichts. Es stellte sich heraus, dass der Stoffwechsel des Bakteriums den Cetch-Zyklus teilweise umschiffte und über diese Umwege das lebenswichtige Succinyl-CoA herstellte. Im nächsten Schritt mussten Tobias Erb und seine Kollegen daher einige Gene des Bakteriums desaktivieren, um es zu zwingen, Succinyl-CoA über den Cetch-Zyklus herzustellen. „Das war ziemlich kompliziert, weil E. coli einige Tricks auf Lager hatte, um die Lücken in seinem Stoffwechsel zu stopfen“, sagt Tobias Erb. Dann aber klappte es: E. coli startete endlich mit der Succinyl-CoA -Produktion via Cetch-Zyklus.
Unbeirrt weitergemacht
Dass die Arbeit mit E. coli klappen würde, war anfangs ungewiss. Denn zuvor hatte es bereits Schwierigkeiten gegeben. Ursprünglich hatte Tobias Erb für sein Projekt, das von der Förderinitiative "Leben? – Ein neuer Blick der Naturwissenschaften auf die grundlegenden Prinzipien des Lebens" der VolkswagenStiftung unterstützt wird, etwas anderes geplant. Er wollte den Cetch-Zyklus eigentlich in eine sogenannte Minimalzelle übertragen. Dabei handelt es sich um eine stark vereinfachte Zelle, die das J. Craig Venter Institute in Rockville im US-Bundesstaat Maryland vor einiger Zeit für die biochemische Forschung gezüchtet hatte. Ihr Erbgut und ihr Stoffwechsel sind so weit reduziert, dass die Zelle lediglich überleben und sich teilen kann. Wie sich zeigte, ist die Minimalzelle mit dem Cetch-Zyklus aber noch überfordert. Die Zelle ist nicht direkt in der Lage, die Information aller eingeschleusten Gene abzulesen und einen vollständigen Cetch-Zyklus aufzubauen. "Deshalb entschieden wir uns parallel dazu auf E. coli als Alternative umsteigen – eigentlich einen weitaus komplexeren Organismus, dessen Stoffwechsel uns anfangs ziemliche Probleme gemacht hat." Jetzt aber ist Tobias Erb am Ziel. Er ist gespannt, ob es in den kommenden Monaten gelingen wird, den Cetch-Zyklus tatsächlich in die Minimalzelle oder auf lange Sicht sogar in Pflanzenzellen zu übertragen. "Das wäre großartig, weil wir damit künftig möglicherweise viele hochwertige Substanzen für die chemische Industrie ohne großen technischen Aufwand synthetisieren können – einfach mit Sonnenenergie und Kohlendioxid aus der Luft."