Glaubwürdigkeit von Wissenschaft und Journalismus: Der Krise standhalten
#WissKomm ZentrenIm Rhine Ruhr Center for Science Communication Research (RRC) sind Forschende auf der Suche nach Strategien, um die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft und Journalismus zu stärken. Denn nur mit ihrer Hilfe können Gesellschaften die multiplen Krisen der Gegenwart bewältigen.
"Die Diagnose einer multiplen Krise hat sich in den letzten drei Jahren nicht nur bestätigt, sondern massiv verstärkt", sagt Wissenschaftssoziologe David Kaldewey. Er untersucht an der Universität Bonn die Krise der Faktizität, das Verzerren oder Leugnen von Fakten in den Medien, in der Politik, aber auch in der Wissenschaft selbst. "Die Vielfalt ihrer Erscheinungsformen hat enorm zugenommen, von Unsicherheiten über Desinformation bis hin zu Graden der Nicht-mehr-Validierbarkeit."
Verstärkt würden die Probleme zudem durch KI-produzierte Fakes. Deutlich zu spüren ist das bei Phänomenen wie der Sprengung der Gaspipeline Nord Stream oder der Zerstörung eines Krankenhauses im Gazastreifen: Wird die Öffentlichkeit jemals erfahren, wer dafür verantwortlich war? "Bei aller journalistischer Recherche und wissenschaftlicher Untersuchung bleiben die verschiedenen politisierten Erklärungsansätze solcher Ereignisse unter Umständen umstritten", meint Kaldewey.
Vertrauen in Wissenschaft und Journalismus
"Wissenschaft und Journalismus sind zwei essentielle wahrheitssuchende Systeme. Im RRC suchen wir nach Strategien, wie sie mit der Krise der Faktizität umgehen können", sagt er. "Denn wenn wir diese Krise nicht bewältigen, kann es unseres Erachtens keine guten Lösungen in anderen Krisen, etwa in der Klima-, Umwelt- oder Friedenspolitik geben."
Vor dem Hintergrund sei das Vertrauen in Wissenschaft und Journalismus wichtiger denn je, sagt Holger Wormer, der an der TU Dortmund Wissenschaftsjounalismus lehrt. Journalist:innen verfügten über elaborierte Methoden des Fact-Checking und fänden sich in dem "Wust zwischen YouTube und TikTok" noch am ehesten zurecht, beschreibt Wormer. "Insofern bietet die Krise auch eine Chance, den gesellschaftlichen Wert wissenschaftlicher und journalistischer Arbeit als Wahrheitssuche hervorzuheben."
Vorstellungen von Wissenschaft
Was braucht es aber, um das Vertrauen in Wissenschaft zu stärken? Was brauchen Journalist:innen, Wissenschaftler:innen und Wissenschaftskommunikator:innen, um der Krise standzuhalten? Auf der Suche nach Strategien haben die RRC-Forschenden in einem ersten Schritt die Vorstellungen von Wissenschaft unter die Lupe genommen, die gegenwärtig in der Berufsgruppe der Wissenschaftsjournalist:innen vorherrschen. Dafür beobachteten sie Gespräche zwischen Journalist:innen, die sie zu speziell dafür konzipierten Workshops mit dem Titel 'Research3' einluden.
Themen der Gespräche waren das wissenschaftliche Publikationssystem, die Bewertung der Expertise wissenschaftlicher Beratungsgremien sowie die Rolle von Daten und Statistiken in verschiedenen Disziplinen. "Insgesamt zeigten die Teilnehmenden - wenig verwunderlich - eine durchaus positiv-kritische Haltung gegenüber der Wissenschaft", fasst David Kaldewey erste Eindrücke zusammen. Es zeige sich aber auch, dass viele Journalist:innen verschiedene Disziplinen als unterschiedlich glaubwürdig einschätzen.
Schwächen des Systems aufzeigen
Die RRC-Forschenden möchten Heuristiken entwickeln, analytische Leitlinien, anhand derer Journalist:innen die Expertise und Glaubwürdigkeit von Wissenschaftler:innen zügig und verlässlich einordnen können. "Diese sehr gut gebildete Zielgruppe mit geeigneten Heuristiken zu versorgen, ist jedoch eine Herausforderung für uns", sagt Kaldewey. Die Forschenden im RRC leisten sich spannende Diskussionen darüber, wie einfach Heuristiken sein dürfen, um Journalist:innen sicher zum Ziel zu führen. Welches Metawissen über Wissenschaften brauchen Medienschaffende als Grundlage für ihre Arbeit?
Aus soziologischer Sicht hält David Kaldewey es für wichtig, auch Schwächen des wissenschaftlichen Betriebs transparent zu machen, um das Vertrauen in das System nachhaltig zu stärken. Gleichzeitig ist das riskant, räumt er ein: "Denn damit machen wir die Wissenschaft angreifbar." Dem Wissenschaftsjournalismus kommt hier eine wichtige Rolle zu: Er steht für eine kritische Haltung gegenüber der Wissenschaft, soll gleichzeitig Verständnis fördern für wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn und Aufklärung leisten über das System, in dem dieser stattfindet. In den Research3-Workshops hätten die RRC-Forschenden viel darüber gelernt, was Journalist:innen in dieser Hinsicht leisten können, sagt Kaldewey. "Da wurde auch klar, dass man manche Schleusen angesichts der Bedrohung durch wissenschaftsfeindliche und verschwörungstheoretische Diskurse lieber nicht öffnen will."
Diskutieren, korrigieren, austarieren
Und doch müsse man bereit sein, den Finger in die Wunde zu legen, sind sich die Forschenden einig – und fragen sich immer wieder, wie das im Einzelfall praktisch umsetzbar ist. Darin stecke wohl die Gretchenfrage des RRC, sagen sie. Innerhalb des Zentrums korrigierten die Forschenden sich in ihren lebhaften Diskussion immer wieder gegenseitig. Einen Konsens zu finden zwischen kritischer Betrachtung der Wissenschaft und Stärkung ihrer Vertrauenswürdigkeit, sei eine ständige Aufgabe für die Forschenden im RRC, sagt auch Holger Wormer. Wie detailliert müssen Darstellungen sein, um noch korrekt zu sein? Wo wird Wissenschaft auf unzulässige Weise mit Politik vermischt? "In vielen Fragen tarieren wir uns aus", beobachtet David Kaldewey. "Unser gemeinsames Ziel ist es, in diesen Reibungen bessere Kommunikation und auch besseres Wissen zu produzieren."
Orientierung in den Geisteswissenschaften
Besonders ausgeprägt sei der Orientierungsbedarf für Journalist:innen, die sich mit geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen auseinandersetzten. "Der Umgang mit diesen Disziplinen ist in Wissenschaftsredaktionen – aus historisch gut nachvollziehbaren Gründen – weniger etabliert als der mit naturwissenschaftlichen Fächern", sagt Holger Wormer, der Chemie und Philosophie studiert hat und lange selbst als Wissenschaftsjournalist arbeitete. Journalist:innen bräuchten zudem mehr Wissen über das System und über die Rolle der Person darin, deren Expertise sie bewerten sollen. "In der Wissenschaftskommunikation fehlt es oft an Klarheit darüber", sagt er. "Handelt es sich bei einer Feststellung oder Forderung um die – womöglich private – Meinung einer Einzelperson, repräsentiert sie den Konsensus einer Fachdisziplin, oder ist es eher die vielleicht sogar rein interessengeleitete Aussage einer bestimmten Institution?"
Werkzeug für Laien: Unsinn aussortieren
Auf drei Research3-Workshops mit Journalist:innen folgte ein erster mit Wissenschaftsmanager:innen, die Reihe wird fortgesetzt. Und schließlich wird das RRC in Kooperation mit dem Landesverband der Volkshochschulen Nordrhein-Westfalen eine Weiterbildungsreihe für Laien konzipieren. Unter dem Titel "Wem kann ich trauen? Ein Wegweiser entlang der Wissensquellen" sollen sie Handwerkszeug erhalten, um zu erkennen, ob Wissenschaftler:innen bei ihrer Expertise bleiben. Noch wichtiger als für die Zielgruppe der Journalist:innen, sei es für Laien zunächst entscheidend zu lernen, "Unsinn auszusortieren, der der Gesellschaft schadet", sagt Holger Wormer.
Neuer Publikationstypus entsteht
Ein neuartiges Publikationsformat als Angebot für verschiedene Zielgruppen wird das 'Living Handbook of Science Communication and Science Studies', das die Forschenden des RRC gemeinsam entwickeln. In wissenschaftlichen Artikeln werden Begriffe aus der Wissenschaftsforschung, der Wissenschaftspolitik und der Wissenschaftskommunikation erklärt – kurz: es geht um ein Handbuch, dass Wissen über die Wissenschaft zusammenführt. Verlinkt mit den Artikeln finden sich Blogbeiträge oder Videos - etwa aus einer Reihe, die das RRC zusammen mit den Science Cops des WDR realisiert hat.
"Jeder wissenschaftliche Beitrag ist eingebettet in populäres Wissen darum herum und wird so für verschiedene Zielgruppen attraktiv", beschreibt David Kaldewey das Konzept. Die Fachartikel werden frei zugänglich und zitierfähig veröffentlicht. "Mit diesem neuen Prototyp einer Open Access Publikation testen wir neue Publikationsformate und tragen damit auch zur kritischen Diskussion über die Rolle der Wissenschaftsverlage und großen Zeitschriften bei", sagt Kaldewey.
Grundlage für Studierende: Wissen über Wissenschaft
Ein weiteres Vorhaben, das seit der Gründung des RRC deutlich an Fahrt aufgenommen hat, ist die Entwicklung eines Core Curriculum für Studierende: Ein flexibles System von Lehrinhalten, um Kernwissen über die Wissenschaft zu vermitteln. Die Inhalte lassen sich je nach Art der Hochschule und der Studiengänge anpassen und berücksichtigen nationale Eigenheiten. Neben Themen wie dem Publikationswesen, Evaluation oder Forschungsfinanzierung soll in dem Curriculum Medienkompetenz verankert sein - und: "eine Betrachtung der Universität als eigener sozialer Raum", wie Kaldewey es formuliert. Das Projekt ist motiviert von der Auffassung der RRC-Forschenden, dass Studierende eine zentrale Zielgruppe der Wissenschaftskommunikation sind, die bisher stark vernachlässigt wurde – und noch dazu einen signifikanten Teil der Gesellschaft ausmacht.
Schnittstelle für Wissenschaftskommunikationsforschung
Auf der Suche nach Strategien für den Umgang mit der Krise hat das RRC also verschiedene Zielgruppen im Blick - Journalist:innen, Wissenschaftsmanager:innen, Studierende oder auch das Publikum einer Volkshochschule. Ihnen wollen sie Wissen über Wissenschaft vermitteln, um deren Glaubwürdigkeit nachhaltig zu stärken. "Die Relevanz von Metawissen über Wissenschaft haben auch andere Wissenschaftskommunikations-Forschende erkannt", bemerkt Holger Wormer. "Wir aber sind hier eine Schnittstelleneinrichtung, die das Thema mit unserer Kernkompetenz bedienen kann."