Die Allianz mit dem Schlangenkönig
Der Biologe Ulrich Kuch forscht seit Jahren intensiv über Giftschlangen. Nun sucht er gemeinsam mit Experten in Myanmar eine neue Methode, um weltweit Menschen vor Bissen zu schützen.
Ihr Biss führt zu Nierenversagen und aussetzender Blutgerinnung. Die Opfer bluten aus Augen, Nase und Mund. Wer nicht schnell genug das Gegengift bekommt, stirbt. Die Kettenviper gehört zu den gefürchtetsten Giftschlangen in Asien – und ist für die ländliche Bevölkerung eine bedrohliche Begleiterscheinung ihrer täglichen Arbeit im Reisfeld. Dr. Ulrich Kuch von der Goethe-Universität Frankfurt kennt das von Schlangenbissen ausgelöste Leid nur zu gut und weiß, in welche Armut es eine Familie stürzt, wenn der Ernährer daran verstirbt oder dauerhaft arbeitsunfähig wird.
Das immense gesundheitliche und wirtschaftliche Problem, das Schlangenbisse für die Landbevölkerung des globalen Südens darstellt, wurde lange Zeit nicht anerkannt. Erst 2017 nahm die Weltgesundheitsorganisation WHO Schlangenbisse und ihre Folgen in die Kategorie der vernachlässigten Tropenkrankheiten höchster Dringlichkeit auf. Bis 2030 soll die Zahl der durch Schlangenbisse verursachten Todesfälle und schweren Behinderungen um 50 Prozent reduziert werden. "Ein ehrgeiziges Ziel", sagt Kuch, "aber nicht unrealistisch: Wir forschen auf dem Gebiet seit vielen Jahren und haben gute Voraussetzungen, die Diagnostik, Behandlung und den Schutz vor Schlangenbissen erheblich zu verbessern."
Von der Legende zur Forschung
Schlangen faszinieren Ulrich Kuch schon seit Kindertagen, und seine Begeisterung hat ihn in seiner wissenschaftlichen Laufbahn um die halbe Welt geführt. Dabei baute er ein Netzwerk internationaler Fachleute auf, die sich jenseits des wissenschaftlichen Mainstreams mit Schlangentoxinen beschäftigen. In Myanmar, dem zentralen Standort seines aktuellen Forschungsprojekts, gehörten Schlangenbisse schon seit der britischen Kolonialzeit zu den Top 5 der häufigsten Todesursachen für die ländliche Bevölkerung – bis heute hat sich daran nichts geändert. Mit seinen Kolleginnen und Kollegen von der East Yangon University arbeitet der Biologe seit vielen Jahren zusammen.
Bei einem seiner Aufenthalte vor Ort kam es zu einer Begegnung, die den Grundstein zu seiner aktuellen Forschung legte. Bei einer nächtlichen Überlandfahrt erschien ein die Straße kreuzender Bänderkrait im Lichtkegel der Autoscheinwerfer. Kuch und seine Kollegen fingen das hochgiftige Tier ein, um es am nächsten Tag zu fotografieren. Dabei sammelte sich eine Schar Bauern um sie, die fragten, ob sie den Krait in ihrem Reisfeld freilassen dürften.
"Der Überlieferung nach ist ein Bänderkrait der König der Schlangen, es bringt Glück ein solches Tier in der Nähe zu haben“, sagt Kuch. Der Grund dafür: Der Bänderkrait frisst andere Schlangen. Die Bauern wollten ihn auf ihren Feldern kriechen lassen, um die für sie so gefährlichen Kettenvipern zu vertreiben. Denn diese, so die Bauern, könnten den Krait riechen und nähmen Reißaus. "Dass ein Bänderkrait andere Giftschlangen frisst, ist fotografisch vielfach belegt", sagt Kuch. "Dass Schlangen aufgrund seines Geruchs vor ihm fliehen sollten, war uns neu – aber biologisch plausibel ist es auf jeden Fall."
Ein spannender Hinweis also mit dem Potential, Menschen besser vor Schlangenbissen zu schützen. Die Idee: Wenn es wissenschaftlich nachweisbar ist, dass Kettenvipern auf den Geruch des Bänderkraits mit Flucht reagieren und es gelingt, die dabei beteiligten Duftstoffe synthetisch nachzubauen, ließe sich daraus ein olfaktorischer Schutzwall errichten. Und die Kettenvipern könnten aus den von Menschen bewirtschafteten Zonen ferngehalten werden. Die Idee, aus Geruchsstoffen anderer Schlangen Repellentien zur Vermeidung von Bissunfällen zu entwickeln, ist grundlegend neu – und damit genau das Richtige für die Förderinitiative "Experiment!" der VolkswagenStiftung.
Versuchsaufbau für Vipern
Um die Hypothese der Geruchswirksamkeit des Bänderkraits zu überprüfen, haben sich die Schlangenforscher folgendes Forschungsdesign überlegt: In einem labyrinthartigen Röhrenaufbau eines Olfaktometers wird das Verhalten von Kettenvipern auf verschiedene Duftstoffe getestet, wie etwa von Mäusen und harmlosen Wassernattern, oder aber vom für Kettenvipern gefährlichen Bänderkrait. Die Viper hat in den Röhren die Möglichkeit, sich für verschiedene Bewegungsrichtungen zu entscheiden: sich der Quelle des Geruchs anzunähern – oder aber zu fliehen. Erweist sich die abschreckende Wirkung des Kraitgeruchs als statistisch zuverlässig, sollen die wirksamen Komponenten des Duftstoffs isoliert und synthetisiert werden. Partner für die chemischen Analysen ist das Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena.
Zum Start des Projekts hat das Forscherteam in den Räumlichkeiten der East Yangon University einen festen Bestand an Versuchstieren aufgebaut. In der zweiten Phase werden das Olfaktometer installiert und die Messungen durchgeführt. Sowohl Tierbestand als auch Versuchsaufbau sollen in Myanmar langfristig aufrechterhalten werden. "Die eineinhalb Jahre Projektzeit im Rahmen der Initiative werden uns nicht reichen, ein fertiges Produkt zu präsentieren", sagt Kuch. "Dazu sind die Prozesse zu langwierig und die chemischen Analysen zu komplex. Wir gehen aber davon aus, dass wir in dieser Zeit verwertbare Ergebnisse erzielen, die in die richtige Richtung weisen."