Eine Frau im blauen Pullover steht in einem Labor

Aufbruch: Mit Röntgenlasern in Nanodimensionen

Autorin: Ulrike Schneeweiss

Tais Gorkhover bringt Licht in die Nanowelten, die uns umgeben. Um in der Forschung und im Leben voranzukommen, muss man Chancen ergreifen, sagt die Physikerin – und manchmal auch bereit sein, die eigene Komfortzone zu verlassen.

"Kinder sind von Natur aus exzellente Forscher", sagt Tais Gorkhover. "Sie sind neugierig und gehen erstaunlich systematisch vor. Und sie sind hartnäckig." Sie versuche immer wieder, sich Forschergeist von ihnen abzugucken.

Auf die Frage, ob sie auch frustrierende Momente in ihrer Arbeit erlebt, muss Gorkhover herzlich lachen. "Sehr oft sogar", sagt sie dann. "Meistens bedeutet es, dass etwas nicht richtig funktioniert." Bei den hochkomplexen Versuchsaufbauten, mit denen sie heute am Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) des DESY, der Universität Hamburg und der Max-Planck-Gesellschaft arbeitet, kann das schon mal vorkommen. Gorkhover entwickelt neue Messverfahren, um mit den dortigen Röntgenlasern das Geschehen in den Nanodimensionen unserer Umwelt zu beobachten. Mithilfe von ultrakurzen Blitzen extrem kleiner Wellenlängen möchte sie sichtbar machen: Wie wandern Elektronen? Wie verändert sich die Gestalt eines Moleküls dadurch?

Zum Erfolg gehört aber eine gehörige Portion glücklicher Zufälle, [...]

Tais Gorkhover

An vorderster Front

Im Lebenslauf der jungen Professorin finden sich viele "firsts": Sie war in den USA bei den ersten Strahlzeiten des damals weltweit modernsten Röntgenlasers dabei, erlebte und gestaltete die Entstehung eines neuen Forschungsfeldes mit. Später wurde sie die erste Frau, die ein Panofsky Fellowship am SLAC National Accelerator Laboratory an der Universität Stanford erhielt.

Zwei Frauen schauen auf ein Gerät aus Metall

Das Foto zeigt Tais Gorkhover und eine Kollegin an der Vakuum-Kammer, in der sie ihre Proben untersuchen
 

Sieht sie sich selbst als Pionierin, die gerne an vorderster Front dabei ist, Neues zu entdecken? "Natürlich muss man neugierig und ehrgeizig sein und sich für Forschung stark begeistern können. Zum Erfolg gehört aber eine gehörige Portion glücklicher Zufälle, an die man meist nur durch das Ausprobieren, (Ver-) Zweifeln und auch mal Scheitern kommt"

Um voranzukommen, muss man manchmal auch unbequeme Entscheidungen treffen.

Tais Gorkhover

Ein random Walk

Als Zehnjährige kam Gorkhover mit ihren Eltern aus der russischen Metropole St. Petersburg in das 500-Seelen-Dorf Pfaffschwende in Thüringen. Danach zog ihre Familie noch häufig um. Anfangs fand sie es sehr frustrierend, sich immer wieder neu einleben zu müssen. Als Teenager hat sie dann auch Vorteile darin gesehen, dass in neuen Situationen verschiedene Facetten ihrer Persönlichkeit zum Tragen kamen. "Das Leben hat Züge eines Random Walks", sagt sie heute, also einer Verkettung zufälliger Bewegungen. "Das kann einen verunsichern, bietet aber auch neue Möglichkeiten."

Für Gorkhover bot sich etwa die Chance, auf dem völlig neuen Feld der Forschung mit Röntgen-Freie-Elektronen-Lasern mitzuwirken. "Um voranzukommen, muss man manchmal auch unbequeme Entscheidungen treffen", ergänzt sie. Als sie 2014 direkt nach ihrer ersten Elternzeit als Ewald-Fellow von der VolkswagenStiftung gefördert wurde, bedeutete das, mit Kind und Kegel nach Kalifornien zu ziehen, um in Stanford mit dem damals modernsten Röntgenlaser der Welt Experimente durchzuführen.

Der Schritt aus der Komfortzone

Dort war es für die junge Physikerin und ihren Mann durchaus kniffelig, ihre Aufgaben als Eltern und Forschende unter einen Hut zu bringen. Ein halbes Jahr verging, bis sie endlich einen Kita-Platz fanden – und der war sehr teuer.

Sie ermutigt als Professorin heute jüngere Kolleg:innen, Neues zu wagen und beispielsweise auch eine Zeit lang im Ausland zu arbeiten: "Manchmal ist so ein Schritt heraus aus der Komfortzone notwendig, um voranzukommen", sagt sie. Dass die Stiftung sie bei diesem Schritt unterstützte, wo sie konnte, ist ihr in guter Erinnerung: "Meine Ansprechpartnerin in der Förderabteilung hatte großes Verständnis für Probleme, die auftraten", sagt Gorkhover. Sie erlebte damals, wie Kolleginnen durch ähnliche Hürden ausgebremst wurden. Das Entscheidende für junge Wissenschaftlerinnen sei, dass ihr Umfeld Vertrauen zeige – "Vertrauen, dass frau ihre Sache gut macht."

Das spannendste: Bewegung

2019 erhielt sie, noch vor Ablauf ihres Panofsky Fellowships in Stanford, ihren Ruf an die Universität Hamburg. Mit den Freie-Elektronen-Lasern versucht sie in immer neue Dimensionen bewegter Nanostrukturen vorzudringen. Sie vergleicht unser derzeitiges Bild von der Umwelt mit den ersten Fotografien. Bei Belichtungszeiten von mehreren Minuten verschwamm alles, was sich bewegte; ein belebter Pariser Boulevard etwa wirkte auf der Aufnahme unnatürlich menschenleer. "Bei langen Belichtungszeiten verpasst man oft das Spannende: die Bewegung", kommentiert Gorkhover.

Eine Gruppe von Menschen sitzt in einem Labor und unterhält sich

In der Experimentierhalle der Anlage "FLASH 2" bespricht sich Tais Gorkhover vor dem Start eines Experiments mit Kolleg:innen.

Was in der Fotografie längst selbstverständlich ist – kurze Belichtung, Videoaufnahmen in Zeitlupe –, ist ihre Vision für die Beobachtung der Nanowelten. "Bisher gibt es immer eine Abwägung zwischen der räumlichen und der zeitlichen Auflösung einer Beobachtungsmethode", erklärt sie. "Der Traum hinter dem Freie-Elektronen-Laser ist, dass man beides auf einmal erreicht: hohe räumliche und hohe zeitliche Auflösung von atomaren Strukturen und Vorgängen" – sodass auch schnelle Bewegungen auf atomarer Ebene darstellbar werden.

Teil der Gesellschaft

Die Methoden, die Gorkhover und ihre Kolleg:innen erproben und optimieren, sollen genau das ermöglichen: Prozesse wie eine Katalysereaktion oder die Photosynthese live zu beobachten.

Die Tüftelei macht ihr Spaß, auch wenn sie inzwischen mehr plant und koordiniert als selbst Daten auszuwerten. Sie sieht sich mit ihrer Arbeit als Teil der Gesellschaft, und damit in der gemeinsamen Verantwortung, eine nachhaltige Zukunft zu gestalten. So könnten Beobachtungen mithilfe von Röntgenlasern beispielsweise helfen, Antworten auf Fragen zu finden wie: Welche Materialien eignen sich besonders gut für Solarzellen? Wie können wir bessere Katalysatoren designen? Zu welchen Lösungen ihre Grundlagenforschung letztendlich beiträgt, sei nicht einfach auf einen Punkt zu bringen: "Das hängt ja auch davon ab, wie andere unsere Methoden dann einsetzen."

Vorbild und Ansprechpartnerin

Der Start in Hamburg war für die ganze Familie coronabedingt etwas holprig. Eins aber klappte gut: "Einen Kita-Platz für unser zweites Kind hatten wir schon, bevor wir eine Wohnung fanden", erzählt Gorkhover. 

Bunte Kinderzeichnungen an einer Wand

Kinderzeichnungen setzen einen freundlich-bunten Akzent an der Bürowand.
 

Verbesserungen für junge Wissenschaftlerinnen sieht sie auch im Arbeitsleben. "Die Forscherinnen früherer Generationen haben wirklich für uns vorgekämpft", sagt sie. Eine ältere Professorin erzählte ihr, dass sie einmal im Schrank versteckt einem Seminar zuhörte – die Teilnahme war damals Studenten vorbehalten. "Und noch als ich mit dem Studium fertig wurde, gab es in Deutschland wenig Möglichkeiten, sich wissenschaftliche Eigenständigkeit direkt nach der Promotion aufzubauen", schildert die heute 40-Jährige.

Inzwischen würden viel mehr Tenure-Track-Positionen ausgeschrieben, die für die Kandidat:innen Vorhersehbarkeit und Unabhängigkeit versprechen. "Was es jetzt braucht, ist eine kritische Masse von Frauen in der Wissenschaft, damit junge Forscherinnen Orientierungshilfen, Blue Prints für die berufliche Planung finden", meint Gorkhover. Dass sie selbst eine Vorbildfunktion hat, wurde ihr als Professorin bewusst. Es ist ihr wichtig, nahbare Ansprechpartnerin für junge Kolleginnen zu sein und mit ihnen Wege zu finden, ihre Pläne zu verwirklichen. Kürzlich fragte eine Studentin, die ein Kind erwartete, ob ihre berufliche Laufbahn nun zu Ende sei. "Da konnte ich ihr getrost versichern: Das ist Unsinn!"

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