Menschen im Park
Story

Arbeitswelt in Pandemiezeiten: Wie geht’s uns in der Krise?

Isabel Fannrich-Lautenschläger

Die Pandemie krempelt auch die Arbeitswelt um. Wie kommen die Menschen damit zurecht? Psychologen nutzen die schwierigen Verhältnisse für einen genauen Blick auf die Wechselwirkungen zwischen Arbeit, Lebensstil und Gesundheit. 

Manchmal spielt Forschern der Zufall in die Hände. Im Dezember 2019, kurz vor Beginn der Corona-Pandemie, befragte Hannes Zacher mit seinem Team rund 1500 Vollzeit-Erwerbstätige in ganz Deutschland zu ihrer Arbeit und ihrer physischen und psychischen Gesundheit. Das Ziel: bislang wenig erforschten Zusammenhängen zwischen Arbeitsbedingungen und Wohlbefinden auf den Grund zu gehen. Als das Virus sich im Winter 2020 ausbreitete und die Arbeitswelt neu organisiert werden musste, war das Thema plötzlich hoch aktuell, und der Leipziger Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie sah sich einer unerwarteten Datenlage gegenüber. 

Aus dem Vorhaben, die Studienteilnehmer alle drei Monate und insgesamt viermal zu befragen, wurde mit Stiftungsförderung die Langzeitstudie "Arbeit und Gesundheit in der Zeit von Covid-19". Seit dem ersten Lockdown im April 2020 beantworten die Menschen nun jeden Monat online Fragen, in denen es um das Erleben und den Umgang mit der Corona-Pandemie geht. Ein Glücksfall für die Forschung, betont Hannes Zacher, der bei der Datenauswertung mit seinem Kollegen Cort W. Rudolph von der Saint Louis University in den USA kooperiert: "Das Besondere an unserer Studie ist, dass wir in einigen Aspekten die Zeit vor und während der Pandemie vergleichen können – und dass wir Menschen über den langen Zeitraum von zwei Jahren befragen." In insgesamt 23 Wellen werde es möglich, zu beobachten, wie sich Maßnahmen wie Lockdowns und Lockerungen auf das Befinden und Verhalten der Menschen auswirken.

Was ändert sich? Wie unterschiedlich ist das Erleben? 

Die Teilnehmenden wurden von einem zertifizierten Marktforschungsunternehmen rekrutiert – repräsentativ für die deutsche Erwerbsbevölkerung hinsichtlich Alter, Geschlecht und Branchen. Die Fragebögen sind nach Themen – psychologische Konstrukte wie z.B. subjektives Wohlbefinden, Arbeitsleistung, Stressempfinden – gegliedert, die mit mehreren Aussagen erfasst sind und von den Teilnehmenden auf einer Ratingskala eingeschätzt werden. Mussten sie in Kurzarbeit oder ins Homeoffice gehen? Wie haben sie das Verhalten ihrer Vorgesetzten und Kollegen erlebt? Fühlten sie sich bei der Arbeit erschöpft oder gelangweilt? Wie hat Corona ihre finanzielle Situation verändert? Wie gelingt es ihnen, Familie und Beruf zu vereinbaren? Aus den Angaben wird pro Konstrukt ein Mittelwert pro Person gebildet. Diese Mittelwerte werden im Vergleich mit den anderen Befragten betrachtet, es werden aber auch die Werte der einzelnen Personen im Zeitverlauf analysiert. "So können wir sehen, wie verschiedene Phasen der Pandemie intra-individuelle Veränderungen bewirken – und welche Unterschiede es zwischen den Menschen aufgrund ihrer Persönlichkeit, beziehungsweise der Lebens- und Arbeitsumstände gibt," sagt Hannes Zacher. 

Prof. Dr. Hannes Zacher

Prof. Dr. Hannes Zacher ist Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Leipzig.

Erste Auswertungen zeigen, dass in der frühen Phase der Pandemie, zwischen März und Mai 2020, das subjektive Wohlbefinden im Vergleich zu den Vormonaten leicht abgenommen hat. Hannes Zacher: "Überraschenderweise nahmen aber nicht nur die Lebenszufriedenheit und die positive Stimmung ab, sondern bei vielen Teilnehmenden auch die negative Stimmung in Form von Ärger und Nervosität." Im Sommer 2020, nach dem Ende des ersten Lockdowns, sei die "leichte Delle" im Wohlbefinden insgesamt wieder zurückgegangen. Unterm Strich zeigten die Daten aber, dass das subjektive Wohlbefinden während der einzelnen Lockdowns geringer und das Stressempfinden höher sei.

Entscheidend für die mentale und körperliche Gesundheit, das Wohlbefinden und die psychische Widerstandskraft sei, wie Menschen die Pandemie bewerten und zu bewältigen versuchen – je nach genetischer Veranlagung und Sozialisation. "Ausschlaggebend ist, ob ich die Krise als bedrohlich oder als Herausforderung empfinde, ob ich Probleme praktisch löse, mich zum Beispiel im Homeoffice einrichte und mit dem Vorgesetzten bespreche, wie ich Familie und Arbeit unter einen Hut bringen kann. Oder ob mich zurückziehe und die Schwierigkeiten für kaum bezwingbar halte – und vielleicht deshalb dem Alkohol mehr zuspreche als sonst ", sagt der Arbeitspsychologe. Und er weist darauf hin, dass es durchaus möglich ist, hilfreiche Bewertungs- und Bewältigungsstrategien zu erlernen.

Arbeitsgruppentreffen gemäß den AHA-Regeln

Arbeitsgruppentreffen gemäß den AHA-Regeln: "Wir wissen viel über das Virus und wenig über die Psychologie der Krise", so Hannes Zacher. 

Die soziale Einbindung als wichtiger Faktor

Neben persönlichen Dispositionen beeinflussen natürlich auch strukturelle Faktoren das Wohlbefinden, zum Beispiel die soziale Einbindung in eine Familie oder Partnerschaft. Zachers Erhebungen bestätigen die allgemeine Vorstellung: "Alleinerziehende fallen in der Krise tiefer in ein Loch als Menschen, die in einer Partnerschaft leben."

Alleinerziehende fallen in der Krise tiefer in ein Loch als Menschen, die in einer Partnerschaft leben.

Wer Kinder im Alter von unter 18 Jahren habe, bei dem sinke die Zufriedenheit, die familiäre Belastung werde als größer empfunden. Auch die Angst um den Arbeitsplatz und die finanzielle Absicherung spielten natürlich eine Rolle. "Allerdings empfinden auch manche Menschen Kurzarbeit als erholsam, weil sie vorher sehr gestresst waren. Für andere wirkt sich die damit verbundene Unsicherheit negativ aus. Es hat sich auch gezeigt, dass insgesamt die arbeitsbezogene Erschöpfung im Verlauf der Pandemie leicht zurückgegangen ist und dass dieser Rückgang stärker für diejenigen ausfiel, die im Homeoffice arbeiteten – unabhängig davon, ob sie das bereits vor der Pandemie getan haben", berichtet Hannes Zacher.

Zusammenarbeit

Zusammenarbeit in Zeiten der Corona-Pandemie: Hannes Zacher und sein Team in Leipzig.

Das Stressempfinden haben Zacher und sein Team anhand der Daten von knapp 600 Menschen ermittelt. Dabei stellten sie fest, dass es im ersten halben Jahr der Pandemie leicht abnahm. Untersucht wurde auch der Zusammenhang von Stress mit Persönlichkeitsmerkmalen, den so genannten Big Five: also mit Extraversion, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit, emotionaler Stabilität und Offenheit für Erfahrungen. Diese Merkmale waren ebenfalls über Ratingskalen abgefragt worden: Angebotene Aussagen waren zum Beispiel "Ich gehe aus mir heraus, bin gesellig" (Extraversion) oder "Ich mache mir viele Sorgen" (geringe emotionale Stabilität).
Hier ergab die Studie ein in Teilen unerwartetes Ergebnis. "Extravertierte und emotional instabile Personen erlebten insbesondere während des ersten Lockdowns mehr Stress als introvertierte und emotional stabile. Normalerweise berichten eher extravertierte Personen von einem geringeren Stresserleben und höherem Wohlbefinden ", so der Psychologe.

Arbeitsbedingungen und Krankheit

Die "Krisen-Studie" ist in einen größeren Forschungszusammenhang eingebettet, in dem Zacher und sein Team den Zusammenhang von Arbeit und Zivilisationskrankheiten untersuchen. Dazu werden in einer anderen Langzeitstudie jeden Monat rund 1.000 Menschen nach ihrem Verhalten und den Bedingungen bei der Arbeit befragt. Ermittelt wird dabei auch, wie die Arbeitsverhältnisse die physische Aktivität und physiologische Prozesse beeinflussen. So messen die Forscher mit Activity Trackern über mehrere Tage hinweg die Bewegungen einer Person während der Arbeits- und Freizeit, ihre Herzfrequenz und die Schlafdauer. Parallel führen die Teilnehmenden eine Art Tagebuch über ihr Befinden.

Bei den Arbeitsbedingungen geht es um Faktoren wie Zeitdruck, Unterstützung durch Vorgesetzte und Handlungsspielräume. "Wir interessieren uns für die Unterschiede zwischen dem Bandarbeiter, der hohe physische Anforderungen und wenig Handlungsspielraum hat und dem Fachangestellten, der mehr Spielräume hat, aber dafür vielleicht besondere Belastungen wie hohen Zeitdruck durch Deadlines und schwierige soziale Interaktionen mit Kunden, Vorgesetzten und Kollegen", erklärt der Psychologe. 

Ob sich Arbeit, die von vielen Menschen auch als sinnstiftend und erfüllend erlebt werde, langfristig positiv auf die Gesundheit auswirkt oder zum Entstehen von Zivilisationskrankheiten beiträgt, hänge natürlich auch davon ab, wie sie von den Arbeitgebern und den Erwerbstätigen gestaltet werde, sagt Hannes Zacher. "Die Firmen können zur Erhöhung der Zufriedenheit beispielsweise die Arbeitszeiten und -orte flexibler gestalten sowie Weiterbildungsmaßnahmen anbieten, und die Arbeitnehmer haben ja die Möglichkeit, im Sinne von ‚Job Crafting‘ eigeninitiativ zu werden und etwa ihre Vorgesetzten um herausforderndere Aufgaben zu bitten." Andauernder Frust könne physische Inaktivität, ungesundes Essen oder Zigaretten- und Alkoholkonsum am Feierabend zur Folge haben, und die physiologischen Folgen könnten sich zum Beispiel zu Herz-Kreislauf- Erkrankungen ausweiten, die wiederum die Arbeit beeinflussen. "Deshalb ist uns so wichtig zu klären, wie die Arbeit verändert werden muss, damit sie zu einem gesunden Lebensstil beiträgt."

Durch ihre bereits veröffentlichten Auswertungen etwa zu Veränderungen im subjektiven Wohlbefinden und Stresserleben oder zur Zufriedenheit im Familienleben und mit vielen weiteren Publikationen will das Team gezielt den Transfer in Gesellschaft und Arbeitswelt leisten. Die Analyse der erhobenen Daten soll auch dazu beitragen, künftig auf Krisen – neue Pandemien, Klimawandel, politische Konflikte – besser vorbereitet zu sein, sagt Hannes Zacher. Es sei wichtig, mehr über Resilienz, Anpassungsfähigkeit und posttraumatisches Wachstum zu lernen: "Wir wissen bislang sehr viel über das Virus und wenig über die Psychologie der Krise – und wie wir möglichst unbeschadet oder sogar gestärkt aus ihr hervorgehen. Dieses Wissen wäre aber für alle Arbeitnehmer, Organisationen und die Gesellschaft als Ganzes ein großer Gewinn."

Arbeit- und Gesundheit in der Zeit von Covid-19

Manchmal spielt Forschern der Zufall in die Hände: Die Langzeitstudie "Arbeit- und Gesundheit in der Zeit von Covid-19" entwickelte sich durch die Pandemie aus einer ursprünglich auf kurze Zeit angelegten Befragung von Vollzeit-Erwerbstätigen.

Prof. Dr. Hannes Zacher

Förderung durch die VolkswagenStiftung

Hannes Zacher und sein Team werden in ihrer Forschung zum Zusammenhang zwischen Arbeitsbedingungen und der Entwicklung von Zivilisationskrankheiten im Rahmen der Initiative "Momentum – Förderung für Erstberufene" unterstützt. Für die Langzeitstudie mit Fokus auf die Verhältnisse während der Pandemie konnte der Arbeitspsychologe zusätzliche Mittel aus dem Modul-Angebot der Stiftung einwerben.