Sehr großes Interesse an Förderinitiative "Experiment!"
630 Anträge gingen in der zweiten Ausschreibungsrunde der Förderinitiative "Experiment!" ein. Daraus bewilligte die VolkswagenStiftung 19 risikoreiche Projekte aus den Natur-, Ingenieur- und Lebenswissenschaften.
Mit der 2013 erstmals ausgeschriebenen Förderinitiative "Experiment!" unterstützt die VolkswagenStiftung neue Forschungsansätze mit ungewissem Ausgang – und stößt damit auf eine überwältigende Resonanz: Nach 704 Anträgen in der ersten Runde, 13 davon wurden bewilligt, war mit 630 Anträgen auch das Interesse an der zweiten Ausschreibung sehr hoch. 19 Projekte können jetzt mit finanzieller Unterstützung der Stiftung ihren innovativen Forschungsideen nachgehen. (Drei Vorhaben der Universitäten aus Hannover, Erlangen-Nürnberg und Dortmund im Detail s.u.)
Dr. Ulrike Bischler, Förderreferentin bei der VolkswagenStiftung, erklärt den Erfolg der Förderinitiative so: "Anträge für besonders risikoreiche Forschungsideen haben in der deutschen Förderlandschaft kaum eine Chance. Mit "Experiment!" hat die VolkswagenStiftung deshalb einen Nerv getroffen. Hier können Forscher kühne Ideen ausprobieren, ohne im Fall des Scheiterns Nachteile zu gewärtigen. Eine Besonderheit ist auch das Antrags- und Auswahlverfahren: Es ist nicht nur sehr schnell und unkompliziert, sondern zudem anonymisiert. Das verbessert die Chancen für Wissenschaftler, die noch keinen Namen in der Community haben. Bei "Experiment!" kommt es also wirklich auf die gute Idee an!" Anfang Juli 2014 präsentierten 13 geförderte Wissenschaftler aus der ersten Ausschreibungsrunde ihre Zwischenergebnisse beim "Forum Experiment!" in Hannover.
Bei den 19 "Neuen" wird sich erst in gut einem Jahr zeigen, welche Experiment gelungen sind – das nächste "Forum Experiment!" mit den Präsentationen ihrer Ergebnisse findet am 23./24. November 2015 statt. Die Ausschreibung für die dritte Runde endet am 1. September 2015.
Im Folgenden werden drei der 19 neuen Forschungsvorhaben vorgestellt:
Projekttitel: "Spider silk anchoring system for cell grafting into challenging brain environments"
Spinnenfäden sind extrem elastisch und reißfest, hitzeresistent und antibakteriell. Zudem stößt der menschliche Körper sie nicht ab und sie sind biologisch abbaubar. Das sind perfekte Voraussetzungen für eine ungewöhnliche medizinische Anwendung, die Prof. Dr. Manuela Gernert von der Tierärztlichen Hochschule Hannover und Prof. Dr. Christine Radtke von der Medizinischen Hochschule Hannover im Rahmen ihrer "Experiment!"-Förderung planen: Sie wollen Spinnenseide nutzen, um Epilepsie-Patienten vor Krampfanfällen zu bewahren. Derzeit testen Wissenschaftler weltweit im Nagetiermodell einen neuen Ansatz zur Behandlung von Epilepsie: Sie transplantieren Vorläuferzellen von sogenannten inhibitorischen Interneuronen in übererregbare Gehirnregionen. Diese Schaltneuronen unterdrücken die Reizübertragung auf die Nachbarzellen, wirken also krampflösend, und können somit epileptische Anfälle verhindern oder abschwächen.
Die praktische Schwierigkeit: Die transplantierten Zellen sind sehr mobil und müssen so lange fixiert werden, bis sie sich in das neuronale Netz integriert haben. Gernert und Radtke haben eine außergewöhnliche Idee, um die Zellen an der richtigen Stelle im Gehirn zu halten, denn die Nervenzellen haften außerordentlich gut an Spinnenseide. Wenn es also gelingt, Spinnenseide in die betroffenen Gehirnregionen einzubringen, könnte sie dort sozusagen als Kleber für die Schaltneuronen dienen. Dafür wollen die Wissenschaftlerinnen eine mikrochirurgische Methode entwickeln, die nicht nur für Transplantationsstudien im Bereich Epilepsie, sondern auch bei anderen neurologischen Erkrankungen eingesetzt werden könnte, bei denen mit Zelltransplantationen experimentiert wird.
Projekttitel: "Driverless vehicle guidance by using bio-inspired sonar reflectors"
Fahrerlose Vehikel, Roboter und auch moderne PKWs besitzen heutzutage meist standardmäßig eingebaute Sonarsysteme, die hauptsächlich zur Abstandsmessung per Ultraschallsignal eingesetzt werden. Doch die Technik bietet weit mehr Potenzial, wie Fledermäuse zeigen, die sich mittels Ultraschallsonar orientieren. Bislang gibt es allerdings kaum geeignete Landmarken oder Signale, mit deren Hilfe Sonarsysteme in Fahrzeugen zur Orientierung in einer neuen Umgebung eingesetzt werden könnten. Hier setzt das "Experiment!” von Dr. Ralph Simon und Dr. Stefan J. Rupitsch vom Lehrstuhl für Sensorik der Universität Erlangen-Nürnberg an. Die Wissenschaftler wollen bioinspirierte Ultraschall-Reflektoren für die Navigation von Robotern und fahrerlosen Fahrzeugen entwickeln. Als Vorbild dienen tropische Pflanzen aus Mittel- und Südamerika, die von Fledermäusen bestäubt werden, beispielsweise die bis zu 15 Meter hohe Kletterpflanze Marcgravia evenia. Ihre außergewöhnlich geformten Blütenblätter reflektieren Ultraschallsignale auf eine ganz spezielle Art: Das Signal erhält eine spektrale Signatur, mit der die Fledermäuse die nektartragenden Blütenstände von der sie umgebenden Vegetation unterscheiden können.
Die Idee von Simon und Rupitsch: Echo-reflektierende Blüten sollen als Muster für künstlich produzierte Reflektoren dienen. Solche Reflektoren wären günstig zu produzieren, leicht zu installieren sowie wartungsarm und damit ideal geeignet für eine breite Anwendung. Zunächst wollen die Wissenschaftler u.a. untersuchen, ob und wie sich Roboter mithilfe von Replikaten der natürlichen Blütenblatt-Reflektoren durch eine künstliche Umgebung navigieren lassen. Dr. Ralph Simon über die Unterstützung durch die VolkswagenStiftung: "Wir sind sehr glücklich, zu den für "Experiment!" ausgewählten Projekten zu gehören. Es ist schwer, vorherzusagen, ob es gelingen kann, Roboter oder Fahrzeuge mit bioinspirierten Ultraschall-Reflektoren zu navigieren. Sollte es aber funktionieren, würde es die fahrerlose Fahrzeugnavigation revolutionieren."
Projekttitel: "Engine of the future"
Eine aktuelle Herausforderung für die moderne Gesellschaft besteht darin, den Treibstoffverbrauch und die CO2-Emissionen von Fahrzeugen zu reduzieren. Dafür arbeitet die Automobilindustrie u.a. an der Verringerung des Fahrzeuggewichts, insbesondere von Karosseriebauteilen. Doch auch beim Motor wäre eine Gewichtsreduktion sinnvoll: Motoren bestehen heute zumeist aus Gusseisen und bringen im PKW zwischen hundert und dreihundert Kilo, im LKW auch mal über eine Tonne auf die Waage.
Hier kommt die "Experiment!"-Idee von Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Tillmann von der Technischen Universität Dortmund ins Spiel: Er plant eine komplett neue, leichte Motorenkonstruktion – aus Hartplastik oder Glasfaser- bzw. Carbonfaser-Kunststoff-Verbundstoffen. Zu diesem Zweck möchte der Wissenschaftler zunächst eine neue Methode entwickeln, um schmale Röhren, über die die Verbrennungshitze in das Kühlwasser ableitgeleitet werden kann, mit einer dünnen, extrem glatten und verschleißarmen Oberfläche zu produzieren. Daraus wird der Kühlzylinder aufgebaut, der zudem eine äußere Ummantelung zur thermischen Abschirmung erhält. In Kombination mit Originalbauteilen will Tillmann daraus schließlich einen einfachen Motorblock konstruieren. Die Relevanz des Projekts für eine zukünftige Reduktion der CO2-Emission von Autos schätzt der Professor für Werkstofftechnologie sehr hoch ein: "Die Projektidee ist zwar extrem experimentell und die Erfolgschancen sind noch unklar. Sollten wir aber zeigen könnten, dass es möglich ist, mit Hartplastik oder glasfaserverstärktem Kunststoff einen stabilen Motorblock zu produzieren, wäre der Effekt enorm."
Die Liste der übrigen bewilligten Vorhaben:
(Hinweis: Bitte nutzen Sie auch die Projekt-Personen-Suche auf der Homepage der VolkswagenStiftung für weitere Informationen.)
Shock-induced transformation of carbon by supersonic impact in cold spraying
Prof. Hamid Assadi, Ph.D., Prof. Dr.-Ing. Thomas Klassen und Dr. Frank Gärtner, Helmut-Schmidt-Universität Universität der Bundeswehr, Hamburg, Institut für Werkstofftechnik, und Prof. Dr. Anke Krueger, Universität Würzburg, Institut für Organische Chemie
Polymer-based sound amplification by stimulated emission of heat (pb-SASEH)
Prof. Dr. Matias Bargheer, Universität Potsdam, Institut für Physik und Astronomie
Does the translational apparatus wear a molecular gender?
Prof. Dr. Duska Dragun, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Nephrologie und internistische Intensivmedizin, und Prof. Dr. Christian M. T. Spahn, Charité –Universitätsmedizin Berlin, Institut für Medizinische Physik und Biophysik (IMPB)
Towards the brain-informed, brain-controlled hearing aid (BIT-CHAT)
Dr. Jonas Obleser, Max-Planck-Institut für Kognitive Neurowissenschaften, Leipzig, Max Planck Research Group "Auditory Cognition", und Prof. Dr. Thomas Lunner, Eriksholm Research Center – Oticon, Kopenhagen, Dänemark
Turning wastewater into rocket fuel – How a synthetic microbe could help to make our planet a greener place
Dr. Christian Jogler, Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH, Braunschweig, Nachwuchsgruppe "Mikrobielle Zellbiologie und Genetik"
A novel non-epigenetic immune-modulatory function of methylated DNA
Dr. Michael Zeisberg, Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität, Abteilung Nephrologie und Rheumatologie
Energy generation by biological thermosynthesis
Dr. Sebastian Leptihn, Universität Hohenheim, Institut für Mikrobiologie und Molekularbiologie
Threedimensional phononic quasicrystal lenses for structure integrated monitoring
Prof. Dr.-Ing. Hans-Christian Möhring, Universität Magdeburg, Institut für Fertigungstechnik und Qualitätssicherung
Superconducting Foils
Priv.-Doz. Dr. Michael Koblischka, Universität des Saarlandes, Saarbrücken, Institut für Experimentalphysik
Combination of local robotic precision and autonomous flying drones for resource efficient production of continuous architectural scale fiber composite structures.
Prof. Achim Menges, Universität Stuttgart, Institut für Computerbasiertes Entwerfen
Nanomagnetic actuation of mechanosensory nerve terminals in 3D: a microfluidic approach to high-throughput pain research
Paolo Cesare, PhD, Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut (NMI) an der Universität Tübingen, Reutlingen, Elektrophysiologie
Biomimetic neuroprosthetics: functional chemical stimulation by neuro-transmitter release through an array of nanofluidic artificial synapses
Dr. Martin Stelzle, Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut (NMI) an der Universität Tübingen, Reutlingen, BioMEMS & Sensors Department
Active photolocation in animals? Remote sensing based on ocular light emission
Prof. Dr. Nico K. Michiels, Dr. Connor Champ, Universität Tübingen, Institut für Evolution und Ökologie, Evolutionsökologie der Tiere
Latent Human Herpes Virus-6: functionally dormant but not extinct – a hidden 'transposon' awaiting the ideal trigger?
Bhupesh Prusty, Ph.D., Universität Würzburg, Theodor-Boveri Institut für Biowissenschaften, Lehrstuhl für Mikrobiologie
Nanotechnology based control of explosive, self organized exothermic material reactions for energy storage and release
Prof. Dr. Ulrich Mescheder, Hochschule Furtwangen, Institut für Angewandte Forschung
The inner ear as a window to the brain: Probing intracranial pressure with vestibular function
Priv.-Doz. Dr. Robert Gürkov, MD, Klinikum der Universität München, Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Deutsches Schwindelzentrum, und Priv.-Doz. Dr. Roger Kalla, Universität Bern/CH, Neurologie