7,3 Mio. Euro für die Erforschung von "Schlüsselthemen" für die Geistes-, Kultur- und Gesellschaftswissenschaften
Das Kuratorium der VolkswagenStiftung hat in der letzten Ausschreibung "Schlüsselthemen für Wissenschaft und Gesellschaft" weitere Förderprojekte in Höhe von 7,3 Mio. Euro beschlossen. Insgesamt werden acht interdisziplinär zusammengesetzte Forscherteams unterstützt, die sich zentralen gesellschaftlichen Themen widmen. In der Förderinitiative wurden seit Beginn insgesamt 43,5 Mio. Euro bewilligt.
Die Förderinitiative "Schlüsselthemen für Wissenschaft und Gesellschaft" richtete sich gezielt an Geistes-, Kultur- und Gesellschaftswissenschaftler(innen), die komplexen gesellschaftsrelevanten Fragen zusammen mit Expert(inn)en anderer Disziplinen nachgehen wollen. Insgesamt waren in der nun erfolgten letzten Ausschreibungsrunde 196 Skizzen eingereicht worden. Davon konnten acht Projekte im zweistufigen, international besetzten Begutachtungsprozess bestehen.
Beispielhaft für die Themenvielfalt der bewilligten Vorhaben werden im Folgenden drei Projekte vorgestellt:
Selbstregulierung in Medizin und Wissenschaft
Soziologe Prof. Dr. Markus Pohlmann, Jurist Prof. Dr. Gerhard Dannecker, Kriminologe Prof. Dr. Dieter Dölling und Kriminologe Prof. Dr. Dieter Herrmann, alle Universität Heidelberg (rund 0,9 Mio. Euro)
Im Kampf gegen Korruption und Manipulation wurden in den letzten Jahren drastische Sanktionen verhängt und staatliche Vorgaben verschärft. Dennoch gelingt es dadurch nicht, Skandale wie zuletzt in der Transplantationsmedizin oder in der Wirtschaft zu verhindern. Durch Fallstudien, Interviews und Fachkonferenzen möchte das interdisziplinäre Forscherteam der Universität Heidelberg aus juristischer, kriminologischer, medizinischer und soziologischer Perspektive heraus der Frage nachgehen, welchen Einfluss die Regulierungen auf die Industrie und Transplantationsmedizin in den USA und Deutschland besitzen und warum sie scheitern. Dabei sollen die bestehenden rechtlichen Regelungen und Praxen auf den Prüfstand gestellt werden. Die Ergebnisse der Forschergruppe sollen unter anderem in die ethische Neubewertung der medizinischen und rechtlichen Aspekte der Organvergabe einfließen.
Ernährung, Gesundheit und soziale Ordnung in der Moderne: USA und Deutschland
Historiker Prof. Dr. Jürgen Martschukat, Universität Erfurt, Medizinsoziologe Prof. Dr. Olaf von dem Knesebeck, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Kulturwissenschaftlerin Prof. Dr. Maren Möhring, Universität Leipzig, und Soziologin Prof. Dr. Paula-Irene Villa, LMU München (rund 1 Mio. Euro)
Ernährung und Essen zielen nicht bloß auf eine adäquate Versorgung des Körpers mit Nährstoffen ab; darüber hinaus spielen Fitness und Selbstoptimierung auch eine zentrale Rolle im Verhältnis von Individuum und Gesellschaft. Das interdisziplinäre Team aus den Geistes-, Gesellschafts- und Gesundheitswissenschaften wird am Beispiel der USA und der Bundesrepublik Deutschland untersuchen, welche Bedeutung Ernährung und Gesundheit für die Ordnung moderner Gesellschaften vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart besitzen. Durch eine quantitative und qualitative sozio-historische Herangehensweise arbeiten sie dabei transnationale Abhängigkeiten sowie nationale, regionale und lokale Besonderheiten heraus. Die Ergebnisse sollen in verschiedene Publikationen einfließen, u. a. zu Kalorien, Fitness, Risikofaktoren und Stigmatisierung in Geschichte und Gegenwart.
Literacy as the key to social participation: Psycholinguistic perspectives on orthography instruction and literacy acquisition.
Linguistinnen Prof. Dr. Eva Belke und Prof. Dr. Stefanie Dipper, Ruhr-Universität Bochum; Psychologin und Neurowissenschaftlerin Prof. Dr. Sonia Kandel, CNRS – Délégation Alpes; Sprachdidaktikerin Prof. Dr. Claudia Müller, Ruhr-Universität Bochum (rund 0,9 Mio. Euro)
Die Produktion und Rezeption schriftsprachlicher Texte stellt einen wichtigen Baustein zur gesellschaftlichen Teilhabe dar. Allerdings hängt in Deutschland der Grad, wie gut ein Kind schreiben lernt, so stark wie in kaum einem anderen Land der EU mit dem sozioökonomischen Status der Familie zusammen. Das interdisziplinär besetzte Forscherinnen-Team aus Psycholinguistik, Linguistik, Didaktik und kognitiver Psychologie geht davon aus, dass die im Unterricht genutzten Konzepte, die mit sogenannten Anlauttabellen arbeiten, für Kinder ungeeignet sind, um lesen und schreiben zu lernen: Sie überschätzen die Fähigkeiten der Kinder, sich Schrift selbst anzueignen, und leiten oftmals in die Irre. Die Forscherinnen möchten daher untersuchen, welche Rolle die sprachlichen Lernfähigkeiten der Kinder beim Erwerb von Schreiben und Lesen spielen und wie diese optimal gefördert werden können.
Mit dem Förderangebot "Schlüsselthemen für Wissenschaft und Gesellschaft" verfolgte die VolkswagenStiftung das Ziel, die interdisziplinäre Erforschung signifikanter Themen aus den Geistes-, Kultur- und Gesellschaftswissenschaften zusammen mit Partnern aus den Lebens-, Natur- und Technikwissenschaften nachhaltig zu stärken. Mit der Ausschreibungsrunde 2013/2014 endet das Förderangebot, in dem seit Beginn insgesamt 43,5 Millionen Euro für integrative wissenschaftliche Vorhaben bewilligt wurden. "Die Zunahme der Einreichungen zeigt, dass mittelgroße interdisziplinäre Projektformate in den Geistes-, Kultur- und vor allem Gesellschaftswissenschaften keine Seltenheit mehr sind", schlussfolgert die Programmbetreuerin Dr. Vera Szöllösi-Brenig. Auch wenn zukünftig keine weitere Ausschreibung zum Programm 'Schlüsselthemen' verfolgt wird, verweist sie auf Alternativen: "Beispielsweise können Geistes- und Kulturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in der neuen Förderinitiative 'Originalitätsverdacht?' Fragen mit erkenntnisgewinnender Originalität entwickeln und für deren Exploration Fördermittel beantragen."
Link zu mehr Informationen zu der Ausschreibung "Originalitätsverdacht?"