Science Media Center feiert Jubiläum
Seit genau fünf Jahren stellt die gemeinnützige Redaktion Medienschaffenden ein Gut kostenlos zur Verfügung, das in Corona-Zeiten noch wertvoller geworden ist: faktenbasierte wissenschaftliche Erkenntnis.
Im April 2020 war Volker Stollorz ziemlich stolz. Gerade ging ein Video viral, auf dem die Bundeskanzlerin bei einer Pressekonferenz die Bedeutung der Virus-Reproduktionszahl "R" erklärte. Den Anlass hat ein Journalist geliefert, der tags zuvor mit Stollorz telefoniert hatte, erzählt der Geschäftsführer des Science Media Center (SMC) in Köln: "Es war schon cool zu sehen, dass ausgerechnet meine Erklärung zur Reproduktionszahl einen Tag später bei der Pressekonferenz als Grundlage für eine Frage an Angela Merkel gedient hat."
Bei Nachrichtenalarm gibt es "Rapid Reactions"
Das SMC unterstützt Journalisten seit inzwischen fünf Jahren bei der Berichterstattung über Themen mit Wissenschaftsbezug. Zu tagesaktuellen Geschehnissen recherchiert das Team sogenannte "Rapid Reactions", das sind schnelle und kompakte Einschätzungen und Zitate aus der Wissenschaft. Befindet die Redaktion Themen für besonders unübersichtlich oder vielschichtig, oder kehren sie in der Berichterstattung immer wieder, dann ergänzen hintergründige "Fact Sheets" das Angebot. In ausgesuchten Fällen veranstaltet das SMC sogar eigene Pressekonferenzen.
Journalistische Unabhängigkeit ist das oberste Gebot
Das übergeordnete Ziel bei allen Aktivitäten: Journalistinnen und Journalisten in den ausgedünnten Redaktionen, zumal in den Regionalmedien, dabei zu helfen, möglichst qualitätsvoll über aktuelle Wissenschaftsthemen zu berichten. Ihnen einen Weg durch die schier unerschöpfliche Flut neuer Studien zu weisen. Dabei ist die journalistische Unabhängigkeit des SMC-Teams – neben seiner Fachexpertise – das wertvollste Gut. Seit Januar 2020 wuchs die Zahl der beim Portal registrierten Journalisten um ein Viertel auf 1240. Am häufigsten genutzt, mit täglich bis zu 60 Zugriffen, wird die Corona-Publikationsliste. Dort sortieren SMC-Redakteurinnen und Redakteure neue Studien nach Relevanz und schreiben kurze Zusammenfassungen. Im Juli 2020 wurde das SMC-Team mit einem Sonderpreis des renommierten Netzwerks Recherche, dem Verband der Investigativ-Journalisten, ausgezeichnet, für "besondere publizistische Leistungen" während der Pandemie. Die Ehrung erreicht die Redaktion quasi als Geschenk zum fünften Geburtstag.
Den Anstoß markiert eine Falschmeldung
Im Jahr 2015 haben Stollorz und frühe Weggefährten das SMC gegründet. Die Idee war drei Jahre zuvor in der Wissenschafts-Pressekonferenz e.V. entstanden, dem Berufsverband der Wissenschaftsjournalisten. Stollorz arbeitete damals als "Journalist in Residence" am Heidelberger Institut für Theoretische Studien: "In dieser Zeit kursierte eine Studie in den deutschen Medien, die vermeintlich herausgefunden hatte, dass Gen-Mais krebserregend sei", erzählt Stollorz. "Dass Fachkollegen in Großbritannien längst gravierende Mängel an der Original-Studie festgestellt hatten, drang hierzulande nicht durch."
Die Tschira Stiftung gibt Millionen – und hält sich raus
Für den heute 56-Jährigen war das der Anlass, eine unabhängige Institution zu schaffen, die Journalisten aller Ressorts einen besseren Überblick über relevante Wissenschaftsergebnisse verschaffen und sie davor bewahren sollte, halbseidenen Forschern zu viel Gehör zu schenken. Die Klaus Tschira Stiftung (KTS) verwirklichte Stollorz' Vision mit einer Anschubfinanzierung von 1,5 Mio. Euro für einen Zeitraum von zunächst drei Jahren. Als Gesellschafter trug sich neben der KTS, dem Hauptgesellschafter, auch die Wissenschafts-Pressekonferenz ein.
Ein zweites Standbein: Forschungskooperationen
Inzwischen arbeiten im Kölner SMC-Büro 16 Mitarbeiter – 2015 waren es gerade einmal fünf. Dementsprechend erhöhte die KTS ihre Förderung 2020 auf einen Jahresetat von einer Million Euro. Von dieser Summe nicht gedeckte Ausgaben finanziert das SMC aus Spenden und den Beiträgen aus einem Förderverein. Forschungsdrittmittel stärken darüber hinaus vor allem das Entwicklungslabor der gemeinnützigen GmbH. Kürzlich bewilligte das Bundesforschungsministerium rund eine Million Euro für das Vorhaben "Augmented Science Journalism", das über drei Jahre laufen wird.
In Zukunft liefern vor allem Daten die Stories
Das "SMC Lab" ist so etwas wie die Herzkammer des SMC. Hier tüfteln Wissenschaftsjournalisten und Programmierer an neuer Software, die Redakteuren bei ihren täglichen Aufgaben helfen soll. Dabei kommen Algorithmen aus der künstlichen Intelligenz zum Einsatz, maschinelle Lernverfahren und statistische Methoden zur Verarbeitung von Sprache. Auch die VolkswagenStiftung fördert ein SMC Lab-Projekt, eine Zusammenarbeit mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT), in dem Methoden und Tools für eine datengestützte Wissenschaftskommunikation entwickelt werden.
Im Erfolgsfall soll eine Software verfügbar sein, die Journalisten dabei hilft, angesichts der schnell steigenden Zahl wissenschaftlicher Publikationen den Überblick zu behalten und automatisierte Hinweise zu nutzen, um wichtige von weniger wichtigen Arbeiten unterscheiden zu können. Zudem sollen neue Instrumente zur Datenanalyse digitale Fußspuren von Forschern verfolgen, aufstrebende Experten für unterschiedliche Fachgebiete identifizieren und "Fake Science" entlarven.
Preprints sorgen für noch mehr Unübersichtlichkeit
Ein solches datengestütztes "Frühwarnsystem" könnte Medien im erbitterten Konkurrenzkampf Wettbewerbsvorteile bringen. Dabei bleibt die entscheidende Herausforderung, die Spreu vom Weizen zu trennen. Diese Herausforderung wächst gegenwärtig sogar noch, weil "seit Corona" immer mehr Studien auf sogenannten Preprint-Servern vorveröffentlicht werden, ohne den üblicherweise vorgeschalteten Peer Review-Prozess.
Auf Preprint-Servern liegen Tops und Flops dicht beisammen
Von diesen Preprint-Studien schaffen es nur wenige in die mediale Berichterstattung. Manche aus gutem Grund, weil sie mangelhaft durchgeführt wurden. Andere verdienten größere Aufmerksamkeit. Um Journalisten bei der Auswahl zu helfen, haben die Datenspezialisten im SMC Lab und die Wissenschaftler vom KIT ein Tool entwickelt, das relevante wissenschaftliche Publikationen aus den "Preprint Servern" herausfiltert und Redakteuren als potenzielles Thema vorschlägt. Bei besonders interessanten Studien liefern die in der hauseigenen Datenbank registrierten Expertinnen und Experten auch gleich noch einordnende Kommentare, die das SMC dann ebenfalls kostenlos an registrierte Journalisten schickt.
Stollorz nächster Traum: eine eigene Forschungseinheit
Programme wie diese könnten in Zukunft immer wichtiger für die Arbeit von Journalisten werden. Denn die Datenmenge, mit der sie konfrontiert werden, wächst jeden Tag. Stollorz will im SMC Lab deshalb die Forschung und Entwicklung noch forcieren: "Mein Traum ist es, aus unserem Forschungslabor eine Art Forschungsinstitut zu machen, eine eigene Forschungseinheit." Dann könnte das SMC Forschungsprojekte nämlich in Eigenregie beantragen und umsetzen. So wollen Stollorz und seine Kollegen auch nach Corona neue Maßstäbe im Wissenschaftsjournalismus setzen und für deutschsprachige Medien Schneisen schlagen in den Dschungel der wissenschaftlichen Erkenntnis.