"Unsere Zukunftsfähigkeit hängt vom wissenschaftlichen Nachwuchs ab"

Interview mit Dr. Christian Peters, Mitorganisator der Tagung "Forces and Forms of Doctoral Education Worldwide”, 5.–6. September 2019 in Hannover

Vom 5. bis 6. September 2019 diskutieren 170 Gäste aus dem In- und Ausland in Hannover über die Perspektiven der Promotionsausbildung. Die – ausgebuchte – Tagung wird gemeinsam organisiert vom Center for Innovation and Research in Graduate Education (CIRGE), Washington, der Universität Bremen, der International Graduate School of Social Sciences (BIGSSS), Bremen und der VolkswagenStiftung.

Sechs Fragen zur Tagung an Christian Peters, BIGSSS-Geschäftsführer und Mitorganisator:

Welches sind die wichtigsten Herausforderungen, die die Doktorandenausbildung in Zukunft prägen werden?

Es ist schwierig, von 'der einen' Doktorandenausbildung zu sprechen. Es ist ein Vorzug der internationalen Ausrichtung dieser Tagung, dass sich dadurch die Vielfalt der Bedingungen, unter denen weltweit promoviert wird, deutlich machen lässt. Wissenschaftskulturen, demografische Daten und selbst die Rollenbilder des forschenden Nachwuchses sind global betrachtet ebenso unterschiedlich wie Fördersysteme und die regionalen akademischen und nichtakademischen Arbeitsmärkte. Hier sehe ich viele Möglichkeiten, voneinander zu lernen.

Zugleich beobachten wir Konvergenzen der Promotionsausbildung - und einige globale Herausforderungen: Ich denke, die massive Datafizierung und besonders die maschinell lernende Auswertung von Daten wird in den nächsten beiden Dekaden einen umfassenden Strukturwandel der Forschung vorantreiben. Welche Rollen haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in solchen KI-Umgebungen? Wie werden sich die Projekte der Doktorandinnen und Doktoranden dadurch ändern? Welche Rolle spielt dann Kreativität - und vielleicht sogar Intuition? Welche Kenntnisse muss der Nachwuchs mitbringen, was muss er vermittelt bekommen?

In einer wachsenden Zahl von Ländern bedrohen Politiker die Freiheit der Wissenschaft. Wird das auch in der Tagung thematisiert?

Auf jeden Fall! - Es stimmt: In vielen Ländern ist die Wissensproduktion unter Druck, weltweit untergraben populistische und autoritäre Regime die Unabhängigkeit der Forschung. Diskurse leiden unter dem verwirrenden Angebot von Halbwahrheiten und Fehlinformationen, die in den sozialen Medien als objektiv und faktisch ausgegeben werden. Die Wissenschaft muss sich aktiv die Deutungshoheit in diesen Arenen erhalten, muss widerstandsfähiger werden, muss Komplexität vermitteln, ohne diese bis zur Unkenntlichkeit einzudampfen. Nichts kann Evidenz als Orientierung ersetzen, an der sich Politik und Gesellschaft ausrichten. Folglich sollten sich die Promovierenden schon früh mit der anspruchsvollen Doppelrolle als Wissens- und Wissensvermittlungseliten auseinandersetzen. Vor allem Letzteres, also die vertrauenswürdige und verantwortliche Kommunikation der Wissenschaft in die Gesellschaft hinein, wird in meinen Augen eine immer größere Rolle spielen. 

Wen adressiert die Tagung?

Ein breites internationales Publikum, das sich von verschiedenen Zugängen her mit dem Thema Promotion beschäftigt. Wir erwarten Vertreterinnen und Vertreter aus der Hochschul- sowie Bildungsforschung, Personen aus den Wissenschaftsverwaltungen, Mitglieder der Universitätspräsidien und ganz besonders Early Career Researchers, die ja unmittelbar betroffen sind.   

Welche Beiträge im Tagungsprogramm möchten Sie hervorheben?

Ich freue mich sehr auf die Keynote von Jonathan Jansen, dem Präsidenten der südafrikanischen Wissenschaftsakademie. Er spricht über den Wert der Promotion in einer Umgebung globaler Bildungsexpansion. Gespannt bin ich auf das interaktive Format der Tagung: An beiden Tagen binden wir das Publikum über eine App und kleine, spontane Arbeitsgruppen in die Auswertung unserer Analysen ein. Wir fordern auch dazu auf, über deren praktische Umsetzung in Politikempfehlungen nachzudenken. Die Konferenz soll wissenschaftlich gesichert und zugleich gesellschaftlich relevant arbeiten, d. h. im Idealfall gelingt es, den gerade eben formulierten Transferanspruch zu erfüllen. Ich bin da ganz optimistisch.

Welche Impulse sollen von der Tagung ausgehen? 

Ich erhoffe mir eine lebhafte und respektvolle Auseinandersetzung und viel vergleichendes Wissen. Wie viel globale Gemeinsamkeit an Verfahren und Institutionen tut gut? Wie viel Diversität an Wissensformen und Methodologien benötigen unsere Doktoranden und Doktorandinnen, um unabhängig, risikobereit und innovativ bleiben zu können? Das sind große Fragen, aber ich glaube, das Forum wird dafür ideal sein. Am Ende erwarte ich einige ausgewogene, aber kritische Empfehlungen für die interessierte Öffentlichkeit und diejenigen, die über die politischen und finanziellen Rahmenbedingungen des Promovierens entscheiden. Wenn wir über den wissenschaftlichen Nachwuchs reden, geht es auch um die Zukunftsfähigkeit von Gesellschaften - und da gilt es eine klare Sprache zu finden.  

Wird es eine Dokumentation geben?

Ein eigenes Buch ist nicht geplant, aber sicherlich wird die eine oder andere wissenschaftliche Publikation aus den Vorbereitungen hervorgehen. Außerdem möchten wir in Hannover eine Website vorstellen, auf der man Hintergrundinformationen erhalten und mehr über diese Konferenzreihe erfahren kann, die Maresi Nerad und ihre Kolleginnen und Kollegen ja nun schon seit 2005 in regelmäßigen Abständen organisieren.