Subsahara-Afrika Initiative: Wissen für morgen mit Multiplikationseffekt
#InternationalesDie Stiftung hat 20 Jahre die Forschung im sub-saharischen Afrika durch Personen- und Projektförderung unterstützt. Im Interview schildern zwei der deutschen Fellowship-Koordinierenden ihre Erfahrungen.
Frau Reinwald, Herr Stützel, Sie haben rund zehn Jahre lang in zwei Ausschreibungen der Initiative die Aktivitäten der jeweiligen Fellowgruppe koordiniert. Was hat Sie zu dieser Aufgabe motiviert?
Hartmut Stützel: Die VolkswagenStiftung ist mit ihrer Initiative in eine Lücke gestoßen, die ich schon lange als bedauerlich wahrgenommen hatte: Es gab zwar gute Förderangebote für Studierende und Promovierende aus Afrika; für Postdocs direkt nach der Promotion aber gab es einfach keine Möglichkeit, unabhängiger zu werden und ihre eigenen Forschungsthemen kontinuierlich zu entwickeln. Diese Lücke zu adressieren fand ich eine brillante Idee.
Brigitte Reinwald: Mich persönlich hat darüber hinaus die Möglichkeit gereizt, die Situation in anglophonen Academic Communities im östlichen und südlichen Afrika besser kennenzulernen. In meiner Forschung stand ich bis dahin überwiegend mit den frankophonen Communities im Austausch. Zudem hatte ich festgestellt, dass an vielen Unis die Postdocs die meiste Arbeit im operativen Geschäft stemmen - insbesondere in der Lehre. Dadurch werden sie systematisch daran gehindert, Forschungsprojekte auf die Beine zu stellen. Die hohen Studierendenzahlen und die vergleichsweise schlechtere Ausstattung in den Geisteswissenschaften verstärken das Problem.
Stützel: Es lastet ein hoher Druck auf den Universitäten in Afrika, Studierende aufzunehmen, auch um sich zu finanzieren. Die Mittel für Forschung sind begrenzt und die Infrastrukturen schwach ausgebaut. Talentierte und hoch motivierte Nachwuchswissenschaftler:innen, die zum Beispiel an deutschen Unis gut ausgebildet wurden, konnten nach ihrer Rückkehr ausschließlich lehren. Nach wenigen Jahren waren sie für die Forschung verloren.
Was hat an der Förderinitiative gut funktioniert?
Reinwald: In meiner über die Jahre relativ stabilen Gruppe von Fellows habe ich enorme Qualifizierungssprünge beobachtet. Aus frisch Promovierten entwickelten sich renommierte Postdoc-Scholars, und auch der Multiplikationseffekt war sehr stark: Die Fellows haben sehr qualifizierte Master und PhDs ausgebildet. Und ihre internationale akademische Sichtbarkeit nahm aufgrund von Publikationen in peer-reviewed Journals enorm zu.
Haben Sie auch Enttäuschungen erlebt?
Stützel: Ja, ich habe zum Beispiel zwei Fellows betreut, die nach der ersten Periode aus meiner Sicht weitere Förderung verdient hatten. Aufgrund ihrer Lehrverpflichtungen kamen sie aber schlicht nicht dazu, zu publizieren. Da hätte ich mir gewünscht, meine Einsichten in die Situation der Betroffenen in die weitere Förderentscheidung einbringen zu können. Wir Koordinierenden haben ja die Motivation und das Herzblut der Fellows gesehen.
Wäre es möglich oder nötig gewesen, den Fellows mehr Entlastung zu verschaffen oder die Messlatte für die Publikationsleistungen niedriger zu hängen?
Stützel: Ich bin persönlich an einige beteiligte Universitäten gereist, um mit den Leitungen über diese Probleme zu sprechen. Die inneren Strukturen konnten wir aber nicht beeinflussen. Unsere Fellows standen in der ‘Hackordnung’ nun mal an niedrigster Stelle.
Reinwald: Und ihre Publikationsleistung stellt ja die akademische Sichtbarkeit der Fellows her. Diese Hürde zu nehmen ist eines ihrer wichtigsten Ziele. Viele haben sich außerdem dem Druck gebeugt, um jenseits der Projektlaufzeit an der Universität verbleiben zu können und gegebenenfalls den Tenure Track zu verfolgen.
Ich denke, die Fellows standen vor der Entscheidung, wofür sie die Förderung nutzen. Einer aus meiner Gruppe hat zum Beispiel schon während seiner Junior Fellowship ein sozialanthropologisches Forschungsinstitut aufgebaut. Die Belastung schränkte natürlich seine Kapazitäten ein, zu publizieren. Er sah aber die Chancen, die im Aufbau eines zukunftsorientierten, forschungsgestützten Bereichs an seiner Uni lagen. Damit hat er eine sehr wertvolle Ressource geschaffen, zum Beispiel für NGOs, die islamischen Extremismus bekämpfen. Er hat es nicht in die Senior-Fellow Runde geschafft, ist aber in seinem Bereich überaus sichtbar und wirksam.
Hatte das Programm Potential, Veränderungen in die Strukturen zu tragen?
Stützel: Von einem Förderprogramm in diesem Maßstab geht keine Revolution aus, aber es gilt sicher das Prinzip „steter Tropfen….“
Reinwald: Das Veränderungspotential eines Förderprogramms oder der Fellows ist meines Erachtens für die Humanities nur im Rahmen des stark wachsenden strukturellen Drucks zu betrachten, unter dem diese Fächer auch in Afrika sehr in die Defensive geraten sind. Hier gab es in den vergangenen zehn Jahren eine spürbare Marginalisierung der qualitativen Geistes- und Sozialwissenschaften. Es braucht Initiativen über die Forschungsförderung hinaus, um überhaupt darauf hinzuweisen, wie es um diesen Bereich der Wissenschaft bestellt ist: nämlich nicht gut.
Hat die Heterogenität der Teilnehmenden aus verschiedenen Ländern des Kontinents Ihre Arbeit und die der Fellows miteinander bereichert? Welche Hürden gab es zu überwinden?
Stützel: Die große Heterogenität der Fellows, geografisch wie fachlich, bot großartige Möglichkeiten der Horizonterweiterung. Mich hat das große Lernbedürfnis der Fellows beeindruckt, die Situation der anderen kennenzulernen. Ostafrikanische Fellows etwa waren beeindruckt, Westafrika zum ersten Mal zu bereisen; und zwischen den Disziplinen haben sie viel voneinander gelernt. In den Sachdiskussionen fehlten allerdings gelegentlich mehr Teilnehmende verwandter Forschungsbereiche, um durch gezielte Fragen in ihrem Fachgebiet etwas tiefer zu schürfen.
Reinwald: Wir haben deshalb Angehörige der gastgebenden Unis zu unseren Workshops eingeladen, das hat sehr stringente fachliche Diskussionen hervorgebracht. In den Humanities hat die Bandbreite der Perspektiven die Fellows zudem angeregt, weiter zu denken. Es ging uns ja gemeinsam darum, Bereiche wie Urbanisierung, Migration, Kultur in ihren verschiedenen Erscheinungsformen mit einem optimistischen Zugang zu erforschen und die Vielfalt, und Aufbruchstimmung auf dem Kontinent wertschätzend in den Blick zu nehmen.
Gab es Erlebnisse, die Sie besonders beeindruckt haben?
Reinwald: Zu unserem ersten Workshop nach den coronabedingten Einschränkungen trafen wir uns in Hwange, Simbabwe. Am Rand des Nationalparks hat eine geförderte Archäologin zwei Steinbau-Siedlungen aus dem 12. bis 15. Jahrhundert ausgegraben. Eine Woche lang war unsere ganze Gruppe unter der glühenden Sonne in den Ruinen unterwegs. Sich so intensiv mit Archäologie zu beschäftigen, war für die Fellows aus Fächern wie Linguistik und Sozialanthropologie und auch für mich sehr spannend. Und die gemeinsame Anschauung über disziplinären Grenzen hinweg hat uns angeregt, mehr darüber nachzudenken, wie wir Forschungsergebnisse besser öffentlich vermitteln können.
Austausch und Vernetzung, wie Sie sie beschreiben, waren auch Ziel der Initiative. In wieweit ist es gelungen, innerafrikanische und internationale Netzwerke zu etablieren?
Stützel: Meine Fellows haben sich schon früh zusammengetan, um ihre Kompetenzen in modernen experimentellen Methoden der Umweltforschung einem möglichst breiten Kreis von Studierenden zu vermitteln. Sie haben Summerschools für Statistik, Mess- und Auswertungsmethoden entwickelt, die dritte wird in diesem Jahr stattfinden. Um die gegründeten Netzwerke über die Förderung hinaus zu verstetigen, ist es sinnvoll, eine gemeinsame Aufgabe zu haben.
Reinwald: Wir werden uns dieses Format von Herrn Stützels Fellows abschauen! Die Summerschools sind ein gutes Instrument, auch die folgende Generation von Mastern und PhDs miteinander zu vernetzen. Und schon die zahlreichen Verbindungen zwischen Postdoc-Partner:innen, institutionellen Partnern, deutschen und afrikanischen Mentor:innen innerhalb des Programms haben sich rhizomartig entwickelt und zeigen viele positive Effekte. Wir denken mittlerweile auch über eine transatlantische Komponente nach, eine US-amerikanische Universität ist sehr interessiert, mit uns zusammenzuarbeiten. Unsere noch ausstehenden Workshops im Rahmen der Förderinitiative bieten gute Gelegenheiten, neue potentielle Partner kennenzulernen.
Was braucht es aus Ihrer Sicht, um die Perspektiven für afrikanische Nachwuchsforschende nachhaltig zu verbessern?
Stützel: Die Förderinitiative bot die große Besonderheit in der afrikanischen Forschungslandschaft, dass die Fellows ihre Themen selber wählen konnten. Andere Drittmittel sind in der Regel gering, und sie sind meist von externen Interessen geleitet. Nach denen muss sich im Zweifelsfall richten, wer forschen möchte.
Die Möglichkeit, ein eigenes Forschungsprofil, eine Persönlichkeit und spezifische Kompetenzen auszubilden ist aber wesentlich für eine gewisse Tiefe der Arbeit und dafür, international sichtbar zu werden. Eigene Forschungsförderstrukturen der afrikanischen Länder sind zwar im Aufbau, sind aber noch sehr gering ausgestattet. Um dem Mangel an Kontinuität in der Entwicklung der Forschenden entgegenzuwirken, sollte es auch weiterhin Förderangebote von außerhalb Afrikas für dortige Post-Docs geben.
Reinwald: Mein Engagement in der Forschungsförderung in Afrika wurde von Kolleg:innen oft als eher karitatives Werk belächelt. Wir müssen hierzulande stärker dafür sensibilisieren, dass es in Afrika anspruchsvolle Forschung gibt! Sie bedarf der Förderung, um gemeinsame, globale Themen angehen zu können. Letztlich profitieren alle Beteiligten von einer größeren Aufmerksamkeit für die Potentiale afrikanischer Universitäten und ihrer hochmotivierten und leistungsfähigen jungen Wissenschaftler:innen.
Rückblick und Ausblick in Naivasha, Kenia
Vom 2. bis 6. April 2023 lädt die Stiftung nochmals zu einem Grantees Meeting ein: nach Naivasha, Kenia. Gemeinsam mit den geförderten Postdoktorand:innen sowie (inter-)nationalen Expert:innen der Forschungsförderung auf dem Afrikanischen Kontinent sollen die zentralen Erkenntnisse aus dem rund 20jährigen Engagement reflektiert und Input für die Weiterentwicklung der Internationalität im Förderhandeln generiert werden. Themen werden u.a. die Rolle der geisteswissenschaftlichen Forschung bei der Bewältigung globalgesellschaftlicher Herausforderungen sein; die Freiheit der Forschung ist ebenso im Fokus wie die Chancen und Herausforderungen der internationalen Forschungszusammenarbeit vor dem Hintergrund der heterogenen Forschungs- und Wissenschaftssysteme in der Region. Einige der Fellows werden auch die Ergebnisse ihrer aktuellen Forschungsprojekte präsentieren.