
VolkswagenStiftung
Neurodegeneration neu denken: Förderangebot startet
Warum braucht die Neurodegenerationsforschung neue Impulse – und wie kann Interdisziplinarität helfen, den Durchbruch zu erzielen? Theresa Kratzsch und Franziska Rönicke erklären die Vision hinter dem neuen Förderangebot "NEXT – Rethink Neurodegeneration!".
Mit "NEXT – Rethink Neurodegeneration!" fördert die Stiftung interdisziplinäre Forschung, die gewohnte Denkmuster hinterfragt und neue Ansätze in der Grundlagenforschung zur demenziellen Neurodegeneration wagt. Im Fokus stehen risikoreiche, explorative Projekte, die konventionelle Pfade bewusst verlassen. So soll der Boden für zukünftige Durchbrüche in Prävention und Therapie bereitet werden. Die zwei zuständigen Förderreferentinnen berichten von Ziel und Zielgruppen der Ausschreibung und worauf sie bei den Anträgen Wert legen.
Die neue Ausschreibung "NEXT – Rethink Neurodegeneration!" geht jetzt an den Start – Stichtag für Anträge ist der 28. August 2025. An wen richtet sie sich genau?
Franziska Rönicke: Wir konzentrieren uns damit auf die Natur- und Lebenswissenschaften, die im Bereich der Grundlagenforschung zur demenziellen Neurodegeneration tätig sind. Das umfasst zum Beispiel Molekularbiologie und Genetik. Und wir legen großen Wert auf Interdisziplinarität, etwa mit Forschenden aus der Informatik. Denn wir denken, dass es durch interdisziplinäre Forschungsansätze schneller gelingen könnte, den Mechanismen hinter neurodegenerativen Erkrankungen auf die Schliche zu kommen.
Theresa Kratzsch: Die Ausschreibung läuft bei uns unter dem Förderdach "NEXT". Darin greifen wir typischerweise Themen auf, die in absehbarer Zeit hoch relevant sind und großes Potenzial haben, zukünftig bedeutende Fortschritte zu erzielen. Neurodegeneration wird schon lange beforscht und es gab viele kleinere Fortschritte, aber der ganz große Durchbruch fehlt bislang. Daher halten wir es für notwendig, einen Schritt zurückzutreten und das Thema nochmal aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Dazu wollen wir den Impuls geben, neue Wege zu gehen – abseits der vorherrschenden Herangehensweisen.
Was schwebt euch dabei vor?
Theresa Kratzsch: Wir wollen die Heterogenität neurodegenerativer Erkrankungen, die eine Demenz hervorrufen, wie Alzheimer oder Frontotemporale Demenz, besser verstehen. Aber auch die Einflussfaktoren, zum Beispiel aus der Umwelt sowie genetische Einflüsse. Und nicht zuletzt auch die Mechanismen der Resistenz: Was führt dazu, dass man diese Krankheiten eben nicht bekommt? Grundsätzlich ist die Ausschreibung aber offen für alle Ansätze, die unkonventionell und neu sind.
Franziska Rönicke: Wo unser Fokus allerdings explizit nicht liegt, sind klinische Studien oder Drug-discovery-Ansätze. Wir wollen noch nicht in die Anwendung gehen, sondern im Gegenteil ganz vorne ansetzen und die Möglichkeit eröffnen, die Grundlagen bisheriger Forschungsansätze noch mal zu überdenken. Die Forschungsergebnisse können aber natürlich für zukünftige therapeutische Strategien oder Angriffspunkte für Therapieoptionen genutzt werden.
In diesem Forschungsbereich sind Tierversuche immer wieder ein Thema, das für Diskussionen sorgt. Grundsätzlich steht die Stiftung dazu, Projekte, die Tierversuche beinhalten, zu fördern. Wie verhält es sich im Rahmen dieser Ausschreibung?
Theresa Kratzsch: Grundsätzlich fördern wir auch hier Projekte, die Tierversuche einsetzen. Leider brauchen wir nach wie vor Tierversuche für wichtige Fragen der Grundlagenforschung. Allerdings befürworten wir, wo immer möglich, Tierversuche gegen nicht-tierbasierte Methoden zu ersetzen und sind auch bereit, die dadurch anfallenden Mehrkosten im Rahmen der Förderung zu tragen.
Franziska Rönicke: Gerade bei der Komplexität, die die Neurodegeneration mit sich bringt, stößt man an die Grenzen von nicht-tierbasierten Modellen. In der Hirnforschung werden zum Beispiel sogenannte Organoide intensiv eingesetzt, weil man damit bestimmte Forschungsfragen sehr gut beantworten kann. Für andere Fragen, insbesondere für das Zusammenwirken des Nervensystems mit dem Immunsystem, muss man den gesamten Organismus untersuchen, so dass es oft nicht ohne Tierversuche geht.
Thema Tierversuche – Stellungnahme
Warum fördert die VolkswagenStiftung auch Forschungsprojekte mit Tierversuchen? Eine Stellungnahme.
Was ist bei der Antragstellung besonders wichtig?
Theresa Kratzsch: Wichtig ist, dass es ein zweistufiges Verfahren ist: Im ersten Schritt reicht ein Kurzantrag, der in etwa drei bis vier Seiten umfasst und anonym begutachtet wird. Hier geht es um die Idee und ihre Passgenauigkeit zum Call. Aus dem Kurzantrag soll klar hervorgehen, wo der neue Blick auf das Forschungsfeld liegt und welcher Weg abseits der vorherrschenden Ansätze beschritten werden soll. Wir freuen uns über alles, was dem Motto "High-risk, high-gain" folgt. Erst wenn der Kurzantrag positiv begutachtet wurde, fordern wir im zweiten Schritt zum Vollantrag auf. Zusätzlich müssen die Antragstellenden ihr Projekt dann noch einem Review Panel präsentieren. Der gesamte Prozess wird ab dem Stichtag im August bis zur Bewilligung etwas mehr als ein Jahr dauern.
Franziska Rönicke: Organisatorisch soll das Forschungsteam aus zwei bis fünf Personen ab Postdoc-Level bestehen. Wir fördern Kooperationen zwischen jungen Wissenschaftler:innen und etablierten Professor:innen. Hintergrund ist, dass der Impuls, den wir jetzt mit unserer Förderung geben, auch im wissenschaftlichen "Nachwuchs" verankert werden soll. Und gerade für Nachwuchswissenschaftler:innen ist es oft besonders schwer, sich "off the beaten track" zu bewegen und damit auch Mittel einzuwerben. Hier wollen wir ein Gegengewicht setzen.