Ergebnisse der Studie "Wissenschaftskulturen in Deutschland"
Die Stiftung hat sich mit den Empfehlungen einer von ihr beauftragten Studie auseinandergesetzt. Welche Schlüsse gezogen wurden, erläutern Antje Tepperwien und Johanna Brumberg aus der Förderabteilung
"Wissenschaftskulturen in Deutschland" lautet der Titel einer großangelegten Studie, die die VolkswagenStiftung Ende 2021 in Auftrag gegeben hat. Die Vorgabe war es, Wandel und Transformationen des deutschen Wissenschaftssystems in Tiefe und Breite zu analysieren – etwa in puncto Karriereverläufe. Und anschließend aus den Befunden konkrete Empfehlungen für das Förderhandeln der Stiftung abzuleiten.
Seit Ende Januar 2023 liegt die fertige Studie vor. Die Geschäftsstelle, der wissenschaftliche Beirat der Studie und das Kuratorium haben sich in mehreren Runden mit den Ergebnissen und Empfehlungen auseinandergesetzt – und erste Konsequenzen gezogen. Welche, das erläutern Antje Tepperwien, Leiterin des Profilbereichs "Wissen über Wissen", und Johanna Brumberg, die zuständige Fachreferentin.
Was hat Sie am meisten überrascht, als Sie die fertige Studie zum ersten Mal gelesen haben?
Brumberg: Ich persönlich konnte nicht wirklich überrascht werden, weil wir die Arbeit an der Studie seitens der Geschäftsstelle von Anfang an eng begleitet haben. Wir haben gemeinsam mit dem Kuratorium und dem Fachbeirat relevante Fragen formuliert, waren am Prozess beteiligt, auch bei Workshops, und hatten ständig Austausch mit den Auftragnehmern: mit Joanneum Research, Evaconsult, dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung und der Professur für Wissenschafts- und Technologiepolitik an der TU München.
Tepperwien: Die Stiftung hat die Studie mit der deutlichen Erwartung in Auftrag gegeben, neben neuen Erkenntnissen auch konkrete Empfehlungen für unser künftiges Förderhandeln an die Hand zu bekommen. Die Studie sollte praktische Konsequenzen haben und nicht folgenlos bleiben. Deshalb haben wir die letzten Monate auch dazu genutzt, die Ergebnisse in verschiedenen Konstellationen kritisch zu reflektieren. Es ging darum festzulegen, welche Empfehlungen der Autor:innen wir für die Stiftung umsetzen wollen, welche nicht. Und welche wir vielleicht noch zu einem späteren Zeitpunkt aufgreifen werden.
Und welche Empfehlungen sollen nun auf jeden Fall wirksam werden?
Brumberg: Es gibt im deutschen Wissenschaftssystem bekanntlich zu wenige unbefristete Stellen unterhalb der Professur. Wir werden Hochschulen deshalb ermutigen, in drittmittelstarken Bereichen zusätzliche Dauerstellen zu schaffen. Konkret bedeutet das, dass wir künftig explizit auf die Möglichkeit hinweisen werden, Mitarbeiter:innen auf Dauerstellen während der Projektlaufzeit über Fördermittel gegenfinanzieren zu können. Wir wollen dazu beitragen, dass "semistabile Teams" mit einer guten Balance aus Flexibilität und Kontinuität entstehen. Wie wichtig semistabile Teams für Forschung und Lehre sind, hat die Studie uns deutlich gemacht.
Tepperwien: Auch vor diesem Hintergrund erwartet die Stiftung künftig in jedem Antrag ein detailliertes Stellenkonzept. Mit gut begründeten Erläuterungen, warum das Projekt oder Teile davon am besten von Doktorand:innen, Postdocs oder den Antragstellenden selbst durchgeführt werden sollen. Auch der Stellenumfang – bei Doktorand:innen soll dieser zwischen 65 und 100 Prozent liegen – muss aus den Erfordernissen des Projekts und nicht aus disziplinären Gepflogenheiten heraus begründet werden.
Die Studie empfiehlt heterogene Karrierewege für Wissenschaftler:innen innerhalb und außerhalb der Forschung zu fördern. Wie verhält sich die Stiftung dazu?
Tepperwien: Die Stiftung hat die Qualifikation jüngerer Wissenschaftler:innen für wissenschaftsnahe Tätigkeiten außerhalb der Universität in der Vergangenheit schon gefördert. Ich denke da an Förderinitiativen wie "Forschung in Museen" oder die Ausschreibung "Wissenschaft und berufliche Praxis in der Graduiertenausbildung". Momentan finden wir die Entwicklung zu immer ausdifferenzierteren Karrierewegen und Tätigkeitsprofilen in der Wissenschaft sehr spannend. So bringt z. B. die rapide zunehmende Bedeutung von datenintensiver Wissenschaft ganz neue Tätigkeitsprofile mit sich, etwa Research Software Engineers oder Data Stewards. Zum Teil haben diese neuen Berufe noch gar keinen Platz in den gängigen Stellenkategorien des Wissenschaftssystems gefunden. Die Stiftung wird sich deshalb in den nächsten Monaten mit diesen neuen Entwicklungen auseinandersetzen - auch mit Blick auf eine eventuelle Förderung in der Zukunft.
Kommen wir nochmal auf die Stellenkonzepte zurück. Warum werden die künftig so wichtig?
Brumberg: In Gesprächen mit der Scientific Community haben wir öfter gehört, dass sich Antragstellende unsicher sind, was Förderer von einem Stellenplan konkret erwarten. Da sagt die Stiftung nun klipp und klar: Wir gucken uns Stellenkonzepte in Zukunft sehr genau an! Sie sind für die Stiftung Steuerungsmöglichkeiten, um Doktorand:innen und Postdocs eine verlässlichere Karriereplanung zu ermöglichen. Antragstellende müssen klare Qualifikations- und Entwicklungsmöglichkeiten für beteiligte Nachwuchswissenschaftler:innen darlegen. Und warum welche Expertise im Projektteam in welchem Umfang nötig ist. Das ist unser Impuls, der hoffentlich dazu beiträgt, dass es mehr Dauerstellen in drittmittelstarken Forschungsbereichen gibt.
Welchen weiteren Nutzen erwarten Sie sich von der Studie?
Tepperwien: Man muss sie im erweiterten Stiftungskontext sehen. Mit dem Profilbereich "Wissen über Wissen", in dem die Studie betreut wurde, tragen wir zur Reflexion von Mechanismen und Praktiken in der Wissenschaft bei. Das Ziel ist es, Impulse zur strukturellen Verbesserung von Forschung und Lehre zu geben. Wissenschaftskulturen, -karrieren und -diskurse zählen dabei zu den Schwerpunkten. Uns bieten die Studienergebnisse nochmal ein solides Fundament und sind eine Inspiration für denkbare neue Förderaktivitäten. Wobei wir ein Desiderat bereits adressiert haben: Mit der bereits laufenden Ausschreibung "Bewertungssysteme in der Wissenschaft" möchten wir neues Wissen zu Evaluationspraktiken generieren und das Forschungsfeld stärken – genau so, wie es uns die Studie empfiehlt.
Brumberg: Die VolkswagenStiftung ist auch eine aktive Partnerin des dezentralen "Research on Research Institute" (RoRI). Ich selbst vertrete die Stiftung dort in dem Projekt "Future of Peer Review". Die Sicherung höchster wissenschaftlicher Qualität zählt zu den Standards in der Förderpolitik der Stiftung. Aber wie für andere Förderorganisationen, wird es auch für uns immer schwieriger, qualifizierte Gutachtende in ausreichender Zahl zu rekrutieren. Auch hierzu soll sich die Stiftung nach Meinung der Studienautor:innen nun Gedanken machen. Da kann man stiftungsseitig sagen: Da sind wir schon länger dran!
Tepperwien: Forschende, die bis 30. Juni 2024 an Peer Reviews für die Stiftung teilnehmen, können bis zu 10.000 Euro zusätzliche Fördermitteln erhalten. Ich finde, die Maßnahme zeigt einmal mehr, dass der Stiftung die Lust am Experimentieren nicht ausgeht, wenn es darum geht, neue Wege im Wissenschaftssystem zu beschreiten. In dieser Hinsicht ist die Studie für uns ein wichtiger Ideen-Pool.