Die Grundprinzipien des Lebens
Mit den letzten Bewilligungen in diesem Sommer hat die VolkswagenStiftung die Förderinitiative "Leben? – Ein neuer Blick der Naturwissenschaften auf die grundlegenden Prinzipien des Lebens" beendet. Ein Rückblick.
Welches sind die Grundprinzipien des Lebens? Um Forschungsgruppen dabei zu unterstützen, der Antwort auf diese Frage näher zu kommen, hat die VolkswagenStiftung im Jahr 2015 die inzwischen beendete Förderinitiative Leben? – Ein neuer Blick der Naturwissenschaften auf die grundlegenden Prinzipien des Lebens eingerichtet. Bis zu 1,5 Mio. Euro konnten für Einzelvorhaben oder Forschungskooperationen im Schnittfeld von Natur- und Lebenswissenschaften beantragt werden, für einen Förderzeitraum von maximal fünf Jahren.
Was hat die Stiftung mit diesem Angebot erreicht? Ein Gespräch mit Dr. Pavel Dutow, der die Initiative als Förderreferent der VolkswagenStiftung betreut hat.
Herr Dr. Dutow, warum ist es so schwer, "Leben" zu definieren?
Ja, was ist Leben? Das ist eine uralte Frage der Menschheit, auf die es aber keine pauschale Antwort gibt. Natürlich sind die grundlegenden Elemente des Lebens mittlerweile gut erforscht, trotzdem ist die Unterscheidung zwischen "lebendig" und "nicht lebendig" schwierig. Zumal Forscherinnen und Forscher erst durch den Einsatz moderner Technologien diese einzelnen Elemente zu einem kompletteren Bild zusammensetzen können. Mit Hilfe neuer Methoden und Erkenntnisse, beispielsweise aus den Bereichen synthetische Biologie oder künstliche Intelligenz, ist es heute zudem möglich, artifizielle Systeme mit lebensähnlichen Eigenschaften herzustellen. Da stellt sich die Frage nach der Definition von Leben nochmal ganz neu.
Ist eine einheitliche Definition denn überhaupt möglich?
Das ist kompliziert, denn die Frage nach dem Leben wird abhängig vom Fachgebiet durchaus unterschiedlich beantwortet. Dass lebende Systeme eine Struktur und einen Bauplan voraussetzen, ist z. B. in der präbiotischen Chemie anerkannt. Auch ein Virus hat eine klare, lebensähnliche Struktur und besitzt eine Erbinformation in Form von Nukleinsäuren. Aus Sicht der Biologie ist das Virus jedoch streng genommen nicht lebendig, da es sich nicht alleine, sondern nur mithilfe einer Wirtszelle vermehren kann. Je nach Fachgebiet also kommt es zu unterschiedlichen Betrachtungsweisen, wie man Leben definiert. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind sich aber darüber einig, dass solche unterschiedlichen Blickwinkel eingenommen und viele Faktoren berücksichtigt werden müssen, um die Entstehung von Leben zu verstehen und dessen Definition zu formulieren. Und dabei hat unsere Förderinitiative unterstützt.
Und wie?
In Deutschland gab es natürlich auch schon vor der Initiative Arbeitsgruppen, die sich mit den grundlegenden Prinzipien des Lebens beschäftigt haben. Wir hatten aber den Eindruck, dass die einzelnen Communities nicht gut vernetzt waren. Im Dezember 2015, also noch vor dem ersten Stichtag, haben wir deshalb mehr als 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu einem Kick-Off-Symposium ins Tagungszentrum Schloss Herrenhausen nach Hannover eingeladen, darunter auch hochkarätige, internationale Gäste. Und die Veranstaltung hat unsere Erwartungen noch übertroffen, wir waren begeistert, wie intensiv die Forschenden aus den Bereichen Biochemie, Biophysik sowie molekularer, systemischer und synthetischer Biologie miteinander ins Gespräch kamen, teilweise sind noch vor Ort konkrete Projektideen entstanden. Spannend war auch, dass sich erfahrene Forscherinnen und Forscher mit jungen zusammengefunden haben.
Insgesamt haben sich etwa 700 Projekte innerhalb von fast fünf Jahren beworben. Wie wurden die vielversprechendsten Projekte ausgewählt?
Der inhaltliche Fokus der Initiative lag ganz klar auf Projekten aus der Grundlagenforschung. Die zu identifizieren war allerdings oft nicht ganz einfach, denn viele Erkenntnisse, die in den betreffenden Forschungsfeldern normalerweise gewonnen werden, sind anwendungsorientiert und können in der Industrie oder Medizin eingesetzt werden. Die Frage nach Leben ist aber eher von Neugier getrieben und hat etwas Puristisches. Betrachten wir mal beispielsweise eine Projektidee aus der synthetischen Biologie mit dem Ziel, eine synthetische Zelle zu bauen. Diese kann anschließend in industriellen Prozessen, zum Beispiel in der Nahrungsmittelindustrie, eingesetzt werden. Ein solches Vorhaben kam für eine Förderung in unserer Initiative nicht in Frage. Aber Vorhaben, die die Funktionsweise und die dahintersteckenden naturwissenschaftlichen Prinzipien dieser synthetischen Zelle verstehen wollten, lagen genau im Fokus. Die für die Projektauswahl verantwortlichen Expertinnen und Experten aus unserer Gutachterkommission haben da beim Selektionsprozess einen fantastischen Job gemacht.
Gab es bei den ausgewählten Projekten große Überraschungen?
Dass die Initiative ungewöhnliche Projektkonstellationen ermöglichen würde, hatten wir vor dem Symposium gehofft – danach aber fest erwartet. Und so ist es dann auch gekommen: Bei den meisten Vorhaben stehen Interdisziplinarität und Internationalität im Vordergrund. 31 der insgesamt 36 in der Initiative geförderten Projekte beruhen auf Kooperationen, zum großen Teil auch auf internationaler Ebene. So beschäftigt sich ein Projekt mit der Entstehung neuer Proteine und hat neben dem in Deutschland forschenden Wissenschaftler drei weitere Projektbeteiligte in Schweden, Großbritannien und der Tschechischen Republik. Ich vermute stark, dass dieses Vorhaben in dieser Konstellation ohne unsere Förderung so sicherlich nicht zustande gekommen wäre. Denn oft fördern nationale Förderorganisationen nicht über Landesgrenzen hinaus, Projekte an der Schnittstelle von Lebens- und Naturwissenschaften erfordern dies aber.
Auch inhaltliche Überraschungen gehörten dazu. So gibt es durchaus Themen, die wir anfangs nicht auf dem Radar hatten, welche jedoch in der Initiative ein Dach gefunden haben. Zum Beispiel geht ein Vorhaben den Geheimnissen der Dormanz bei bestimmten Zellen nach, einem Zustand in dem die Zelle quasi "schläft" und somit weder als belebt oder als unbelebt bezeichnet wird. Dieser Zustand ist ein Zwischenzustand, wird durch ein Zusammenspiel von biologischen, chemischen und physikalischen Mechanismen hervorgerufen und kann von der Zelle wieder verlassen werden.
Und wie sieht es mit Ergebnissen aus? Wo wurde durch die "Leben?"-Förderung wissenschaftlicher Fortschritt erzielt?
Da die meisten Vorhaben eine Laufzeit von fünf Jahren aufweisen und wir die ersten Bewilligungen 2016 ausgesprochen haben, sind die Projekte noch nicht abgeschlossen. Es gab aber bereits jetzt eine ganze Reihe an hochkarätigen Publikationen, an denen man sicherlich den wissenschaftlichen Fortschritt messen könnte. Aus meiner Sicht ist es aber viel wichtiger, zu nennen, dass jedes Vorhaben, ja sogar jedes Teilprojekt, dazu beiträgt, der komplexen Frage nach Leben näherzukommen. Wie beim Zusammenfügen einzelner Puzzlesteine entsteht langsam ein immer detaillierteres Bild aus unterschiedlichen Blickrichtungen. Meiner Meinung nach beruht genau hierauf der wissenschaftliche Fortschritt: auf dem Zusammenführen von unterschiedlichen Expertisen und Communities, die gemeinsam einer fundamentalen Frage nachgehen. Das ist in der Wissenschaft nicht immer selbstverständlich. Und welche Erkenntnisse aus der Initiative wirklich bahnbrechend sein werden, kann man wohl erst in den kommenden Jahren beantworten.
Welche Projekte oder Forschungsansätze fanden Sie persönlich besonders spannend?
Es gab natürlich viele spannende Ideen, beispielsweise Projekte aus der präbiotischen Chemie und der synthetischen Biologie. Und Vorhaben, die sich mit der Entstehung der ersten Organismen beschäftigen oder die mittels computer-basierten Methoden und mathematischen Berechnungen größere Zusammenhänge in der Natur erforschen. Da jedoch meine eigenen wissenschaftlichen Wurzeln in der Mikrobiologie und Infektionsbiologie liegen, freut es mich außerordentlich, dass auch ein Vorhaben zur Evolution von Viren gefördert wird. Das beteiligte Konsortium besteht aus fünf Projektpartnerinnen und -partnern aus der ganzen Welt und besitzt Expertisen in der Virologie, Biochemie, Genetik, Mikro-, Zell- sowie Strukturbiologie. Es untersucht Plasmidions, erst kürzlich entdeckte DNA-Elemente, die als "Virusvorstufen" gelten könnten.
Für mich besonders faszinierend war, wie viele unterschiedliche Herangehensweisen es gibt, um Leben zu beschreiben – ob im Reagenzglas im Labor, in der Feldforschung, durch Arbeit mit Molekülen und einfachsten bis hin zu komplexen Organismen oder durch Herleitung mathematischer Formeln und Erstellung computerbasierter Modelle. Alle Projekte haben eines gemeinsam: Sie gehen der fundamentalen Frage nach, was das Leben auf unserem Planeten ausmacht. Diese Vielfalt an Themen mit jeweils eigenen Blickwinkeln hat mich und meine Kolleginnen und Kollegen, aber auch unsere Gutachterkommission enorm überrascht. Wir sind überzeugt, dass dieser Zustand die Forschung bereichert und auch voranbringt.
Sie haben die Initiative und das Forschungsgebiet in den vergangenen Jahren sehr eng begleitet, was geben Sie "Ihrer" Community mit auf den weiteren Weg?
Meine Hoffnung ist, dass "Leben?" dazu beitragen konnte, die Forschungslandschaft in Deutschland nachhaltig positiv zu beeinflussen. Ein von Neugier getriebenes Forschungsfeld zu bearbeiten ist in Zeiten von eher anwendungsorientierter Wissenschaft nicht einfach – und schon gar nicht ist es leicht dafür Mittel einzuwerben. Deshalb freut es mich außerordentlich, dass kürzlich zwei neue Exzellenzcluster entstanden sind, die eindeutig auch durch unsere Initiative inspiriert zu sein scheinen. Forschende aus Dresden gehen im Cluster "Physics of Life" den Gesetzen der Physik nach, die der dynamischen raumzeitlichen Organisation von Molekülen, Zellen und Gewebe zugrunde liegen. Und in der Metropolregion München zielt das Cluster "ORIGINS” darauf ab, die innerste Struktur des Universums sowie den Ursprung des Lebens zu entschlüsseln. Eine Reihe unserer Geförderten konnte dort ihre Projektideen platzieren. Die Forscherinnen und Forscher sollten weiter Mut beweisen und die Expertisen aus anderen Fachgebieten in ihre Projekten miteinbeziehen – und so das Puzzle weiter vervollständigen.