Wo Wissenschaft und Journalismus gemeinsam Datenschätze heben
Vom 9. bis 11. September 2019 findet das Netzwerktreffen SciCAR statt. Warum sich der Weg nach Dortmund für die empirischen Wissenschaften lohnt, erklärt Mitorganisator Franco Zotta.
"SciCAR – Where Science Meets Computer Assisted Reporting" lauten Titel und Motto der Konferenz, die vom 9. bis 11. September 2019 zum nunmehr dritten Mal an der TU Dortmund stattfindet, gefördert von der VolkswagenStiftung. Drei Tage lang treffen Journalisten und Wissenschaftler aufeinander, stets etwa 130 Personen, um eine im Grunde simple Frage zu klären: Wie können datengetriebene Wissenschaften und datenaffine Journalisten gemeinsam dazu beitragen, damit öffentliche Debatten evidenzbasierter ablaufen?
Hürden zwischen den Systemen überwinden
So simpel die Frage, so vielfältig die Hürden, die den Weg dorthin verstellen. Es beginnt schon damit, dass beide Systeme, Wissenschaft und Journalismus, anderen Binnenlogiken folgen, die gemeinsame Aktivitäten erschweren. Während die Wissenschaft ihre Fragestellungen zuvorderst aus den Expertendiskursen innerhalb der Scientific Community gewinnt, unterliegt die Themenselektion im Journalismus erheblich heterogeneren Quellen.
Mehr Fakten in öffentliche Debatten tragen
Impulse aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, aber auch Alltagsphänomene, Krisen, Naturereignisse und Katastrophen – all das strömt tagtäglich auf den Journalismus ein und veranlasst Redaktionen dazu, mit Hilfe professioneller Routinen und unter erheblichem Zeitdruck Themen einzuordnen, Fakten zu recherchieren und auf diese Weise relevante Wissensbestände für die orientierungssuchende Öffentlichkeit bereit zu stellen.
Information ist eine Bedingung für "vernünftige" Beschlüsse
Diese systembedingte Nervosität im Journalismus gerät nicht selten in Konflikt mit den Akkuratheitsansprüchen der Wissenschaft und ist steter Quell von Irritationen. Gleichzeitig eint aber beide Systeme die Überzeugung, dass Gesellschaften "vernünftigere" Entscheidungen treffen würden, wenn diese auf der Grundlage bestmöglicher Evidenz fußen. Datenjournalisten und empirische Wissenschaften eint diese Grundüberzeugung in einem besonderen Maße. SciCAR hat sich deshalb von Beginn an als Experimentierraum verstanden, um auszuloten, wie intensiv und weitreichend Kooperationen zwischen empirischen Wissenschaften und Journalismus auf Basis dieser Grundüberzeugung ausfallen können.
Worauf SciCAR aufbaut
SciCAR hat den Dialog zwischen Wissenschaft und Datenjournalismus nicht erfunden. Die drei Konferenzveranstalter – der Lehrstuhl Wissenschaftsjournalismus der TU Dortmund, das Science Media Center Germany und die Wissenschaftspressekonferenz – konnten bereits an Erfahrungen wie Weiterbildungs- und Dialogformate anknüpfen und haben innovative datenjournalistische Anwendungen entwickelt und erprobt. Zudem konnte die VolkswagenStiftung 2015 mit ihrer Ausschreibung "Wissenschaft und Datenjournalismus" beide Berufsgruppen erfolgreich zu gemeinsamen Kooperationen anstiften und damit einen weiteren wichtigen Impuls setzen. Das Alleinstellungsmerkmal von SciCAR war und ist, dass die Veranstaltung über die Analyse einzelner Kooperationsprojekte hinaus ausloten möchte, wie weit der Kooperationsanspruch getrieben werden kann und wie Hürden beseitigt werden können, die diesem Anspruch im Wege stehen.
Behörden erkennen die Bedeutung von Datenjournalismus
Wenige Monate vor der dritten SciCAR Konferenz in Dortmund lässt sich bereits bilanzieren, dass SciCAR erste Erfolge vorweisen kann. Ein Highlight 2018 war sicherlich der Eröffnungsvortrag von Georg Thiel. Der Präsident des Statistischen Bundesamtes thematisierte nicht nur offen die anfänglichen Vorbehalte seines Hauses gegenüber einer neuen Kultur der Kooperation zwischen seiner Behörde und Datenjournalisten. Er begründete zudem ausführlich, warum diese Haltung nicht mehr zeitgemäß sei und neue Kooperationen große Chancen böten für beide Seiten.
Der Einzug von Datenexpertise in die Gremien
Im Nachgang zu Thiels Vortrag hat eine SciCAR-Delegation das Statistische Bundesamt besucht und einen ganzen Katalog an Optionen diskutiert, wie die Zugänglichkeit der Daten für Journalisten verbessert werden könnte. Ein weiterer Effekt: Womöglich wird ein Datenjournalist bald dauerhaft einen Platz im Statistischen Beirat erhalten, dem wichtigsten Beratungsgremium des Statistischen Bundesamtes. Der Dialog mit wichtigen Behörden für den Datenjournalismus wird 2019 fortgesetzt: Paul Becker, neu gewählter Präsident des Bundesamts für Geodaten, wird eine Keynote halten und anschließend mit Wissenschaftlern und Journalisten diskutieren.
Wie Wissenschaft und Journalismus gemeinsam Schlagzeilen machen
SciCAR blickt aber auch immer wieder ins Ausland, um dort Best-Practice-Beispiele zu identifizieren, die dem hiesigem Publikum mehr als eine Ahnung davon geben können, wie umfangreich Kooperationen zwischen Wissenschaft und Journalismus ausfallen können. Sam Roe, Redakteur der Chicago Tribune, hat hier sicherlich den anregendsten Impuls gesetzt. Gemeinsam mit dem Wissenschaftler Nicolas Tatonetti von der Columbia University präsentierte er auf der SicCAR eine beeindruckende, mehrjährige Big-Data-Recherche über die tödlichen Wechselwirkungen von Medikamentencocktails, an deren Ende nicht nur eine Veröffentlichung in der Chicago Tribune stand, sondern zeitgleich in einem wissenschaftlichen Journal ein gemeinsamer Artikel publiziert wurde.
Potenziale bündeln, Outcome stärken
Ohne diese umfangreiche Zusammenarbeit mit der Wissenschaft, so Sam Roe, wäre diese investigative und komplexe Recherche niemals möglich gewesen. Freilich, auch das konnte man dem Vortrag Roes entnehmen, erfordert die Kollaboration zweier so diverser Systeme Geduld und Fingerspitzengefühl auf beiden Seiten. Für Roe aber sind diese neuen Formen der Zusammenarbeit der zwingend notwendige Entwicklungsschritt, wenn Journalismus auch in Zukunft auf der Höhe des technischen und wissenschaftlichen Kenntnisstandes informierte öffentliche Debatten ermöglichen will.
Franco Zotta ist Mitorganisator der Tagung SciCAR in Dortmund und Geschäftsführer der Wissenschafts-Pressekonferenz (WPK) in Köln. SciCAR wird von der VolkswagenStiftung gefördert.