Wo ist die rote Linie?

Forschung kann der Menschheit nutzen, aber auch großen Schaden anrichten. Die Dual-Use-Debatte diskutiert den Wunsch nach Erkenntnisgewinn gegenüber Biosicherheit.

Ebola, SARS und H5N1 sind für den Menschen extrem gefährliche Viren. Tiere tragen sie in sich - und eigentlich ist das Übertragungsrisiko auf den Menschen eher gering. Jedoch geschieht dies immer wieder und kann dann zu den gefürchteten Pandemien führen. Um auf diese Pandemien wie den aktuellen Ebola-Ausbruch in Afrika vorbereitet zu sein, forschen Wissenschaftler weltweit an und mit den Erregern: Sie hoffen, besser verstehen zu können, wie die Viren aufgebaut sind, funktionieren und sich verbreiten, damit sie effektive Impfstoffe entwickeln können. Die Forschung kann jedoch auch anderen Zwecken dienen: Länder wie die USA haben in den vergangenen Jahren Milliarden Dollar dafür ausgegeben, zu ergründen, welche Erreger sich für den Einsatz als Biowaffen eignen – vorgeblich, um Angriffe abwehren zu können.

Lernen, die Erreger zu verstehen

Prof. Dr. Stephan Becker informierte die Zuhörer beim Herrenhäuser Forum zunächst grundlegend über Erreger. Becker leitet an der Universität Marburg ein BSL-4-Sicherheitslabor, im Jahr 2007 als erste Einrichtung der höchsten Sicherheitsstufe in Deutschland in Betrieb genommen. Hier können Erreger wie das Ebolavirus erforscht werden. Becker stellte unterschiedliche, neu auftretende Viren sowie die Gefahren, die von ihnen ausgehen können, vor. Erreger wie Ebola sind zoonotische Viren, ursprünglich nur in Tieren vorkamen, sich dann jedoch dahingehend entwickelt haben, dass sie auf den Menschen übertragbar wurden. Sie unterscheiden sich beispielsweise vom Pockenvirus Orthopoxvirus variola, der nur durch den Menschen weitergegeben werden kann und der durch konsequente globale Impfmaßnahmen 1980 ausgerottet wurde. Da Tiere jedoch quasi ein Reservoir an Ebola-Viren darstellen, das sich durch Menschenhand kaum kontrollieren lässt, ist eine Ausrottung wie bei den Pocken nicht möglich. Becker plädierte deshalb für die weitere Forschung, um geeignete Impfstoffe und Medikamente zur Behandlung der Erkrankten entwickeln zu können. Doch auch Becker ist sich seiner Verantwortung bewusst: "Man muss die Risiken kennen."

Was macht man mit dem Wissen?

Becker erläuterte die verschiedenen Optionen, die eine Gesellschaft beim Umgang mit Informationen über gefährliche Erreger habe. Eine Möglichkeit sei, Ergebnisse von Forschung nicht zu veröffentlichen. Aber dann fehle ein klassisches Kontrollorgan innerhalb der Forschung. "Das betrifft das Zentrum der Wissenschaftskultur", sagte Becker. Er befürwortet – neben den engen gesetzlichen Grenzen, die es seiner Meinung bereits gibt – eine Selbstverpflichtung der Wissenschaft. Dadurch würden die Forscher versichern, gewisse ethische und technische Standards zu befolgen, die zu einem verantwortungsvollen und sicherheitsorientierten Umgang mit den Erregern und den Erkenntnissen beitragen. Eine Option sei die Selbstverpflichtung, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) zusammen mit der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina erarbeitet hat.

Grundrecht gegen Grundrecht

Selbstverpflichtungen sind eine Möglichkeit der Regulierung, Gesetze eine andere. Die Völkerrechtlerin Prof. Dr. Silja Vöneky widmete sich in ihrem Vortrag den rechtlichen Aspekten der Forschung. Sie beschäftigt sich mit den Schwerpunkten Biomedizinrecht und der Ethisierung des Rechts und ist Mitglied des Deutschen Ethikrats. Vöneky wies in Bezug auf Forschungsfreiheit und Verantwortung der Wissenschaft auf das daraus resultierende Spannungsverhältnis zweier Grundrechte hin: Artikel 5 des Grundgesetzes schützt die Wissenschaftsfreiheit und Artikel 2 schützt umfasst das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Es gelte stets, die Risiken abzuwägen.

Der Virologe Prof. Dr. Stephan Becker von der Universität Marburg gab Einblicke in die aktuelle Forschung. (Foto: Vivian Rutsch für VolkswagenStiftung)

So mag zwar das Risiko gering sein, dass ein Virus missbräuchlich eingesetzt würde, dennoch wäre der darin liegende mögliche Schaden immens. Doch auch die Reglementierung von Forschung stellt ein Risiko dar, da dies den Erkenntniszuwachs verhindern würde.

Gesetze gegen die Schere im Kopf

Selbstverpflichtungen der Forscher hält Vöneky für unzureichend, da die konkrete Durchsetzung ungewiss sei. Gesetze dagegen könnten Forschern sogar helfen, denn "gegen die Schere im Kopf helfen klare Regelungen am besten", konstatierte die Rechtswissenschaftlerin. Vöneky plädierte dafür, die Möglichkeiten, die das Völkerrecht für globale Übereinkünfte hinsichtlich sicherer und verantwortungsvoller Forschung bietet, zu nutzen – so langwierig und schwierig globale Vereinbarungen auch seien. Sie forderte, eine Ethikkommission für die Biosicherheit einzusetzen, wie es ähnliche Modelle etwa bei der Arzneimittelforschung gibt. Sie forderte, für den Bereich "Dual Use Research of Concern" eine Ethikkommission einzusetzen. Ähnliche Modelle existieren etwa bei der Arzneimittelforschung. Sie wehrte sich zugleich gegen den Vorwurf, dass die Gesetzgebung eines einzelnen Landes nichts ausrichten könne, um Wissenschaftler sinnvoll zu reglementieren. Es sei möglich, ähnlich wie bei der Stammzellen-Debatte voran zu gehen – ob im nationalen Rahmen oder durch die EU.

Die Völkerrechtlerin Prof. Dr. Silja Vöneky von der Universität Freiburg berichtete über rechtliche und ethische Fragen. (Foto: Vivian Rutsch für VolkswagenStiftung)
Wenn die Pocken wiederkommen

Volker Stollorz berichtete davon, in welchem Spannungsfeld Wissenschaftsjournalisten sich bewegen. Er schreibt unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und ist bei seiner Arbeit oftmals mit Informationen konfrontiert, bei denen unklar ist, welche Auswirkungen eine Verbreitung der Forschungsergebnisse haben kann. In der Redaktion der Fachzeitschrift "Science" gab es beispielsweise im Jahr 2012 lange Überlegungen, ob veröffentlicht werden soll, wie das Vogelgrippevirus H5N1 manipuliert werden musste, damit es auf dem Luftweg übertragbar wird. Letztlich beschloss die Redaktion, die Erkenntnisse des Forscherteams komplett zu veröffentlichen. Eine ähnliche Diskussion trug sich kurz zuvor bereits bei dem Magazin "Nature" zu, das die Studie des zweiten Forscherteams, das ebenfalls an H5N1 gearbeitet hatte, schließlich auch komplett veröffentlichte.

Der Wissenschaftsjournalist Volker Stollorz erläuterte das Spannungsfeld zwischen Regulation und öffentlichem Interesse. (Foto: Vivian Rutsch für VolkswagenStiftung)

Bei Dual-Use-Forschung, so Stollorz, liege der Frage nach Veröffentlichungen ein gravierender Problem zugrunde: Die Möglichkeiten, eine Pandemie ausgelöst durch hochgefährliche Erreger einzudämmen, seien sehr gering. Stollorz nannte als Beispiel, dass das Erbgut des ausgerotteten Pocken-Virus bekannt und in der entsprechenden Fachliteratur zu finden sei. Somit ließe sich das Virus im Labor nach dem Vorbild des gefährlichen Erregers nachbauen. Momentan ist dieses Vorgehen zwar technisch noch schwierig – angesichts des aktuellen Tempos des technischen Fortschritts aber nur eine Frage der Zeit, bis "jedermann" einen Virus mithilfe entsprechender Gerätschaften erbauen kann. Daher müsse man Risiken so gut es geht minimieren, fordert Stollorz. "Ich weiß um die Sorgen der Wissenschaftler und um die Sorgen, die man an die Wissenschaft herantragen kann", berichtete der Journalist. Es gebe - und das kann auch als Fazit dieses Herrenhäuser Forums gelten - noch viel zu diskutieren. Denn: "Es gibt keine einfache Lösung." Gerd Schild

Moderiert wurde der Abend von Dr. Daniel Lingenhöhl, Redaktionsleiter Spektrum.de. (Foto: Vivian Rutsch für VolkswagenStiftung)