Wissenschaft und Journalismus: Mehr Fakten gegen Fakes!
Holger Wormer, Professor für Wissenschaftsjournalismus an der TU Dortmund, fordert in seinem Beitrag mehr Kooperationen von Wissenschaft und Journalismus. Im Kampf gegen Fake News sei evidenzbasierte Information – etwa im Datenjournalismus – wichtiger denn je.
Wissenschaftler und Journalisten als natürliche Partner – der Gedanke ist älter als man denkt. Der Vorschlag, zum Beispiel sozialwissenschaftliche Methoden für die Recherche zu nutzen, reicht weit ins vorige Jahrhundert zurück: "Precision Journalism" nannte Philip Meyer die Idee Anfang der 1970er Jahre. Und schon im Jahr 1920 (!) hatte sich Walter Lippman, einer der angesehensten politischen Journalisten überhaupt, dafür ausgesprochen, wissenschaftliche Logik und Strenge in das journalistische Arbeiten zu integrieren – und die wahrheitssuchende Funktion von Nachrichtenmachern auch an objektive Methoden der Wissenschaft (exakte Aufzeichnungen, Messungen, Analyse und Vergleich) heranzurücken. Warum aber haben sich dann beide Berufsgruppen, Wissenschaftler und Journalisten, bis heute so schwergetan, miteinander zu kooperieren?
Vorurteile müssen auf beiden Seiten überwunden werden
Da sind zum einen Aspekte, die sich unter der Überschrift "Klischee- und Imagefragen" in den jeweiligen Communities zusammenfassen lassen: Der Wissenschaftler befürchtet die Trivialisierung seines Tuns, vielleicht sogar einen Ansehensverlust, wenn er sich zu sehr mit landläufig als "reißerisch" deklarierten Reportern einlässt. Der Journalist muss damit rechnen, dass man ihm in der Redaktion das Klischee des komplizierten Langweilers (also eines Wissenschaftlers) anheftet. Oder er muss einen Verlust an Unabhängigkeit befürchten, wenn er sich nun mit einer Sache wie der Wissenschaft gemein macht, die er doch mit kritischer Distanz beobachten soll.
Nun lassen sich solche Befürchtungen mit Vorsichtsmaßnahmen und Überzeugungsarbeit in Redaktionen und Institutionen meist noch ausräumen. Schwieriger gestalten sich ganz reale Diskrepanzen: Wissenschaftler und Journalisten arbeiten in zeitlich unterschiedlichen Koordinatensystemen. Wo der Journalist Zeit und Geld für Stunden bis Tage zur Verfügung hat, denkt der Wissenschaftler in Monaten. Ähnlich unterschiedlich ist das räumliche Koordinatensystem, in dem schließlich Ergebnisse dargestellt werden können: Wo der Journalist vielleicht mit einer Seite Text plus Infografik oder wenigen Sendeminuten planen kann, schweben dem Wissenschaftler Dutzende Seiten in Fachpublikationen oder gar ein weiterer Foliant fürs Bücherregal vor.
Was Wissenschaftler von Journalisten lernen können
Ausschreibungen wie das Programm "Wissenschaft und Datenjournalismus" der VolkswagenStiftung tragen dazu bei, diese Koordinatensysteme stärker zur Deckung zu bringen. Journalisten erhalten damit mehr Zeit und Mittel, sich mit einem Thema wirklich auseinanderzusetzen. Für Wissenschaftler wird die Zusammenarbeit auch formal legitimiert, bedeutet die Förderung durch eine angesehene Stiftung doch einen Zugewinn an Ansehen und symbolischem Kapital im Wissenschaftssystem selbst. Und methodisch sind es – wie die interdisziplinäre Datenjournalismus-Lehre an der TU Dortmund zeigt – keineswegs nur die Journalisten, die von den Wissenschaftlern lernen. Wissenschaftler profitieren auch von journalistischen Methoden. So erweisen sich die meisten Studierenden aus dem Journalismus nicht nur als stärker als ihre Kommilitonen aus Statistik und Informatik, wenn es um das Finden guter Forschungsfragen geht. Sie sind auch besser darin geschult, die Motive kritisch zu hinterfragen, warum bestimmte Datensätze öffentlich zugänglich sind und andere nicht. Beim Umgang mit dem Publikum, sei es beim Crowdsourcing oder bei der Darstellung der Forschungs- respektive Rechercheergebnisse, profitieren Wissenschaftler ebenfalls von journalistischem Know-how.
Im Netz sind News und Fake News kaum mehr unterscheidbar
Beiden Berufsgruppen eint dabei eine besondere Orientierungsfunktion, die letztlich im Grundgesetz verankert ist. "Wissenschaft und Journalismus gehören zu den unverzichtbaren Eckpfeilern einer demokratischen Gesellschaft", heißt es in einem Positionspapier der deutschen Wissenschaftsakademien. Gerade im digital-partizipativen Zeitalter, wo – theoretisch – jeder im öffentlichen Diskurs mitmischen kann, wo News und Fake News mitunter kaum unterscheidbar auf den gleichen Kanälen um Aufmerksamkeit konkurrieren, werden Akteure immer wichtiger, deren vornehmste Aufgaben tatsächlich die Suche nach Wahrheit und das Validieren von Fakten sind. Evidenzbasierte Information kann eben doch nicht jeder User liefern. Die Digitalisierung fast aller Lebensbereiche produziert zudem eine Menge an Daten, von denen völlig offen ist, wer diese auswerten kann. Gemeinsam haben Wissenschaftler und Journalisten hier im Sinne der Gesellschaft am ehesten jenen etwas entgegenzusetzen, die bisher vor allem davon profitieren: die großen Internetkonzerne. Fast 100 Jahre nach Walter Lippmanns Gedanken sind diese aktueller als je zuvor. Um wissenschafts- oder evidenzbasiertem Journalismus aber als feste Größe zur politischen Meinungsbildung zu verstetigen, sollte dieser Bereich auch von anderen als neuer Zweig in der Förderung von angewandter Forschung etabliert werden. Das würde die Chancen verbessern, dass der Journalismus der Zukunft Funktionen erfüllen kann, die mit Wolfgang Donsbach vor wenigen Jahren auch ein deutscher Vordenker der Journalismusforschung als "knowledge profession" bezeichnete. Der diplomierte Chemiker
Holger Wormer war Journalist, zuletzt bei der Süddeutschen Zeitung, bevor er 2004 an die TU Dortmund kam. Dort leitet er den Studiengang Wissenschaftsjournalismus.