Wenn Quantität vor Qualität geht: Warum kommt es zu "nicht-rationalem Verhalten"?

Wissenschaftler der Humboldt-Universität zu Berlin haben einen Entscheidungsmechanismus bei Fledermäusen entdeckt, der nicht-rationales Verhalten erklären könnte – auch beim Menschen.

Haben wir die Wahl zwischen zwei Optionen, entscheiden wir uns in der Regel für die bessere. Bevorzugen wir hingegen die schlechtere, scheinen die Entscheidungsmechanismen in unserem Gehirn fehlerhaft, und man spricht von nicht-rationalem Verhalten. In der Fachzeitschrift Science stellen Prof. Dr. York Winterund Dr. Vladislav Nachev vom Exzellenzcluster NeuroCure der Humboldt-Universität zu Berlin (HU)gemeinsam mit Kollegen jetzt einen Mechanismus vor, der dieses Verhalten verursachen könnte.

In ihrer Studie haben die Neurobiologen das Fressverhalten freilebender Langzungenfledermäuse in Costa Rica untersucht. Mithilfe einer computergesteuerten Nektarmischanlage versorgten sie ein Feld künstlicher Blüten mit Nektar unterschiedlicher Süße und dokumentierten das Besuchsverhalten der Tiere. Das Ergebnis: Die Fledermäuse flogen bevorzugt Blüten mit minderwertigem, wässrigem Nektar an, obwohl auch Blüten mit zuckerhaltigerem Nektar zur Verfügung standen.

Das Ziel der Wissenschaftler war es, die zugrundeliegenden kognitiven Entscheidungsmechanismen zu erforschen, die zu dieser vermeintlich nicht-rationalen Entscheidung führen. "Wahlexperimente mit Fledermäusen im Labor zeigten vor allem bei großer Konkurrenz eine leicht 'verbogene' Wahrnehmung: Zwar können die Tiere mehr Süße als stärkere Intensität empfinden, dies wird jedoch zunehmend abgeschwächt durch die Wahrnehmung der Nektarmenge", berichtet Winter. Für ihn ist dieser Effekt der Schlüssel zur Erklärung des Wahlverhaltens: "Die Tiere wägen für ihre Entscheidungen Qualität und Quantität ab. Bei knappem Angebot bevorzugen sie die Blüten, die mehr Nektarvolumen herstellten, obwohl damit ein Zuckerverlust einhergeht. Weil sie nicht rein rational entscheiden, müssen sie sich jetzt mit verdünntem Nektar begnügen."

Im Allgemeinen sind diese Ergebnisse auch auf den Menschen übertragbar: "Das liegt am Weber-Fechner'schen Gesetz der Psychophysik", erklärt Winter. Demnach seien Menschen gefährdet, nicht-rational zu entscheiden, wenn sie bei einer Entscheidung mehrere Merkmale gleichzeitig berücksichtigen müssen. "Dann kann eine Eigenschaft, nach der wir ein besonders großes Verlangen haben, uns übermäßig beeinflussen, wenn sie nur wenig angeboten wird. Vielleicht sollten wir beim nächsten Mal nochmal genau abwägen, bevor wir beim Smartphone-Kauf die letzte Entscheidung treffen."

York Winter wurde von der VolkswagenStiftung in der Förderinitiative "Nachwuchsgruppen an Universitäten" unterstützt, Vladislav Nachev erhielt eine Förderung im Rahmen der Initiative "Evolutionsbiologie".

Veröffentlichung

"Cognition-mediated evolution of low-quality floral nectars", Vladislav Nachev, Kai Petra Stich, Clemens Winter, Alan Bond, Alan Kamil, York Winter
in: Science (2017), DOI: 10.1126/science.aah4219

Weitere Informationen finden Sie in der Pressemitteilung der HU unter https://www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/nr1701/nr_170111_01.

Nektarfledermaus Lonchophylla robusta (Foto: Hans Hillewaert via Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0 http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/)