Science with Society: Von Verantwortung und Vertrauen
Eine Serie von Video-Tutorials bietet jungen Forschenden Orientierung auf dem Weg zu verantwortlichem Handeln und einer eigenen Haltung - es geht um nichts weniger als das Vertrauen der Gesellschaft.
In der Beziehung der Wissenschaft mit der Gesellschaft gibt es an vielen Stellen Risse. Die Folgen reichen von verzerrten Darstellungen wissenschaftlicher Ergebnisse bis hin zu Anfeindungen einzelner Personen oder der Verbreitung von Verschwörungstheorien auf Basis von Fake News. Mitglieder der Global Young Academy (GYA), in der sich junge Wissenschaftler:innen weltweit vernetzen, werden vor dem Hintergrund dieser Spannungen nun aktiv, um das gegenseitige Verständnis und die Beziehungen zu verbessern.
Vertrauen in die Wissenschaft
"In unseren Diskussionen wurde schnell klar, dass Vertrauensverlust in die Wissenschaft ein globales Problem ist", sagt Lisa Herzog, Mitglied der GYA-Arbeitsgruppe "Trust in Science". Wissenschaft brauche klare, vertrauensvolle Beziehungen mit ihrem gesellschaftlichen, politischen, kulturellen oder wirtschaftlichen Umfeld, um sich ihrer eigentlichen Aufgabe bestmöglich widmen zu können: dem unabhängigen Erkenntnisgewinn. Für die Philosophieprofessorin an der Universität Groningen ist klar, dass es nur der Austausch auf Augenhöhe mit anderen gesellschaftlichen Gruppen ermöglicht, dass Ergebnisse in die Gesellschaft und ihre Entscheidungsprozesse einfließen können.
Junge Wissenschaftler:innen haben die besten Voraussetzungen, die Beziehung zu verbessern, meint Lisa Herzog: "Sie sind zugänglich und nahbar. Und da sie näher an ihrem eigenen Nicht-Wissen dran sind als manche erfahrene Wissenschaftler:innen, können sie sich besser in Gesprächspartner:innen ohne Vorwissen hineinversetzen." Mit Kolleg:innen der GYA und des Nationalen Instituts für Wissenschaftskommunikation initiierte sie das Projekt "Science with Society", das durch eine Serie von Kurzfilmen junge Forschende zur Reflexion ihrer Verantwortung in der Gesellschaft anregt und von der Stiftung gefördert wird.
Die Tutorials bieten Ausgangsmaterial und Denkanstöße für einen vertieften Diskurs in Workshops und Seminaren. Der erste Teil der Serie vermittelt ein Grundverständnis für Ethik und wissenschaftliche Integrität, weitere acht Videos bieten Basics der Wissenschaftskommunikation.
Verantwortung für das eigene Handeln
"In der Wissenschaft liegen das Gute und das Böse oft näher beieinander, als es scheint", sagt die indischstämmige Materialwissenschaftlerin und Moderatorin der Videos, Shruti Mandhani, zum Einstieg in das Thema "Verantwortung". Das Beispiel: Wissenschaftliche Erkenntnisse helfen, Krankheiten zu heilen, dasselbe Wissen kann aber auch genutzt werden, um Menschen vorsätzlich Schaden zuzufügen. Forschende stehen also in der Verantwortung, Auswirkungen der Ergebnisse ihrer Arbeit so früh und so weitreichend wie möglich mitzudenken. Als Einstieg für die Reflexion verantwortlichen Handelns verweist Mandhani in dem Video auch auf das European Responsible Research and Innovation Framework.
Diese Leitlinien stellen die Verantwortung Forschender auf vier Säulen, eine davon ist Inklusion. Lisa Herzog: "Gerade in der Folgenabschätzung sind Werte und Fakten oft auf komplexe Weise verwoben." Daher sei das Einbeziehen, der Dialog mit vielen verschiedenen Gruppen wie potenziellen Betroffenen oder Interessenvertreter:innen, besonders wichtig. "Neben wissenschaftlichen Erkenntnissen geht es um politische Positionen und Einschätzung künftiger Szenarien", sagt sie. Das Video macht deshalb auch klar, dass diese große Verantwortung nicht allein auf den Schultern der Einzelnen lastet, sondern dass Verhaltensregeln und der Diskurs über Verantwortlichkeiten institutionell verankert sein müssen.
Ansprüche und Konflikte
"Verhaltensregeln reichen in einem komplexen System wie der Wissenschaft zudem oft nicht aus", gibt Herzog zu bedenken, "schon allein, weil es immer Schlupflöcher und Missbrauchsmöglichkeiten gibt." Deswegen ist für sie die Haltung der Forschenden selbst entscheidend: "Aus der Aufgabe, gemeinsam Wissen zu erzeugen, ergeben sich universal geltende Imperative. Dazu gehören Ehrlichkeit in der Kommunikation, gegenseitige Verlässlichkeit und Offenheit." So selbstverständlich das klingen mag – der Alltag bringt junge Forschende nicht selten in Konflikt mit diesen Ansprüchen. Viele finden sich geradezu in einem Zwiespalt zwischen Motivation und Desillusion: Sie haben ihre Karriere mit einer guten Portion Idealismus begonnen. Bald stehen sie unter Publikationsdruck und sehen, dass etwa Zitationsindizes von Zeitschriften höher priorisiert werden als eine sorgfältige Auswahl zu veröffentlichender Daten, oder sie erleben, dass alte Machtstrukturen neuen Ideen im Weg stehen. Zudem müssen sie mit den prekären Arbeitsverhältnissen einer frühen akademischen Karriere zurechtkommen.
Systemlogik und Werteverständnis
"Sie spüren die Hürden eines Systems, das seine ganz eigene Logik hat", sagt Lisa Herzog, "und sie müssen ihre eigene Haltung dazu finden, wie weit sie den Anreizen dieses Systems folgen." Viele junge Forschende fragen sich, ob sie gute Wissenschaftler:innen sind, wenn ihre Publikationen möglichst oft zitiert werden. Oder ob sie etwa den Interessen derer verpflichtet sind, die ihr Projekt finanziell fördern. "Fangen wir an, darüber zu reden!", fordert Moderatorin Mandhani die Zuschauer: innen auf. Um für sich Antworten finden zu können, brauchen junge Wissenschaftler:innen ein Bewusstsein für soziale und ethische, aber auch für ihre persönlichen Werte. Die Wahrnehmung dafür zu schärfen, ist eines der zentralen Anliegen des Projektteams. So ist einer der Kurzfilme der Bedeutung von Werten in der Forschung gewidmet.
Darin wird vermittelt, dass Entscheidungen zur Forschungsarbeit unabhängig von persönlichen Vorstellungen nach wissenschaftlichen Prinzipien getroffen werden müssen, etwa wenn es um das experimentelle Design oder die Datenanalyse geht. "Die meisten von uns befolgen diese wissenschaftlichen Prinzipien, ohne aktiv darüber nachzudenken", konstatiert Mandhani. Manchmal könne es jedoch hilfreich sein, sich die ethischen und sozialen Werte explizit bewusst zu machen, auf denen diese Prinzipien fußen. Sie verweist auch auf institutionelle Verhaltenskodizes zur Integrität der Forschung, die als erste Orientierungshilfe dienen können, etwa auf den European Code of Conduct for Research Integrity der Europäischen Föderation der Wissenschaftsakademien, ALLEA, von 2017.
Überzeugend kommunizieren
Die Tatsache, dass Wissenschaft in vielerlei Hinsicht ihrer eigenen Systemlogik folgt, wirft natürlich auch Fragen nach ihren Beziehungen in der Gesellschaft auf. "Deren Mitglieder sehen sich im Zeitalter digitaler Medien mit vielen verschiedenen Botschaften konfrontiert und müssen entscheiden: Wem schenke ich mein Vertrauen?", sagt Lisa Herzog. "Aus der Perspektive der Vertrauensfrage kamen wir auf die Idee, die Themen ‚innere Organisation der Wissenschaft‘ und ‚Kommunikation‘ miteinander zu verbinden." Die jungen Forschenden müssten sich klar darüber werden, was vertrauenswürdige Wissenschaft für sie selbst und für andere ausmacht, damit ihre Kommunikation überzeugend gelingen und das Vertrauen in der Gesellschaft wachsen kann. Die jungen Wissenschaftler:innen bringen neue Kompetenzen und Perspektiven mit: Viele von ihnen sind in den sozialen Medien zu Hause und können dort in Kontakt treten mit Menschen, die bisher wenig Kontakt zur Wissenschaft haben. "Mit einem Klick verbinden wir uns mit der ganzen Welt", sagt Shruti Mandhani – und erinnert gleichzeitig daran, wie wichtig es ist, Gesprächspartner:innen stets auf Augenhöhe zu begegnen und im Dialog auch die Grenzen des eigenen Expertenwissens klar darzustellen.
Praktische Tipps für den Einstieg in diesen Dialog bieten acht weitere Videos, die vom Nationalen Institut für Wissenschaftskommunikation (NaWik) entwickelt wurden. Sie widmen sich etwa der Definition einer Zielgruppe, erklären, warum es wichtig ist, eine Kernaussage zu treffen, oder wie es gelingen kann, komplexe Zusammenhänge darzustellen. Wenn die jungen verantwortungsbewussten Wissenschaftler:innen dann in der Kommunikation aktiv werden, entfaltet ihre Haltung Wirkung in beide Richtungen: Sie fördern integres Verhalten im wissenschaftlichen System und sie vermitteln ein Bild der Wissenschaft und ihrer Akteur:innen in die Gesellschaft, das Vertrauen verstärkt. "Wissenschaft für die Zukunft, Wissenschaft für alle" – der Vision der Global Young Academy folgend, werben Lisa Herzog und ihre Kolleg:innen für eine Nutzung der Kommunikationskanäle in alle Richtungen: "Nur so kann Wissenschaft wirklich inklusiv und partizipativ werden."