SciCAR: Wissenschaft trifft Datenjournalismus
In Dortmund hat die erste Netzwerkkonferenz für Wissenschaftler(innen) und Datenjournalist(inn)en stattgefunden. Bei "SciCAR" präsentierten sich auch Förderprojekte der VolkswagenStiftung.
Das hatte allen noch gefehlt… - Darin waren sich die rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer von SciCAR schnell einig ("Where Science meets Computer Assisted Reporting"). Endlich gibt es nun auch in Deutschland ein Netzwerktreffen für Wissenschaftler(innen) und Datenjournalist(inn)en – nachdem zum Beispiel die Tagung Dataharvest in Belgien schon seit Jahren jeden Sommer hunderte Gäste aus ganz Europa anzieht, mit stetig wachsender Tendenz.
Für SciCAR stand die Ausschreibung "Wissenschaft und Datenjournalismus" Pate, in der die VolkswagenStiftung seit 2015 acht Projekte mit 750.000 Euro gefördert hat. Deren Ergebnispräsentationen waren Teil des breit gefächerten, insgesamt dreitägigen Programms. Einer der Mitorganisatoren, Prof. Holger Wormer, der an der TU Dortmund den Studiengang Wissenschaftsjournalismus leitet, sah in seiner Eröffnungsrede "Kongruenzen zwischen Wissenschaft und Journalismus als erkenntnisfördernde Systeme". Ziel der Konferenz sei es, analog zur Pilotausschreibung der VolkswagenStiftung, Kooperationsprojekte anzustoßen, in denen mit Hilfe wissenschaftlicher Daten und Analysemethoden journalistisch relevante Beiträge entstehen können. Profitieren sollte am Ende also auch die Gesellschaft, die für ihre Debatten dann auf "harte Fakten" zurückgreifen könne.
Ein Loblied auf die potenziellen Erkenntnisgewinne, die solche Kooperationen versprächen, stimmte auch Key Note Speaker Sam Roe von der Chicago Tribune an. Ohne die zwei Jahre währende partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Wissenschaftler(inne)n von verschiedenen US-Universitäten hätte er seine investigative Großreportage niemals zustande gebracht. In dem Stück geht es um den wissenschaftlich fundierten Nachweis, dass die gleichzeitige Einnahme von verschiedenen Medikamenten schwerste Herzschädigungen mit sich brächten – ein Umstand, der bis dahin weder Ärzte noch Apotheken sonderlich interessiert hatte.
Das Echo auf den Artikel ließ das amerikanische Gesundheitssystem beben und empörte Patientinnen und Patienten Sturm laufen. Zeitgleich mit Roes Artikel in der Chicago Tribune publizierten die beteiligten Wissenschaftler ihre Erkenntnisse im Fachjournal Science. – Ein Paradebeispiel für eine Kooperation, von der Journalisten und Wissenschaftler gleichermaßen profitiert haben, und durch die die Öffentlichkeit über einen eklatanten Missstand aufgeklärt wurde, von dem zig Millionen Amerikaner betroffen sind.
Ein großer Erfolg, zweifellos. Aber auch ein hart erarbeiteter. Auch das machte Roe seinen Zuhörer(inne)n im Erich-Brost-Institut für internationalen Journalismus der TU Dortmund deutlich: "Kooperationen mit Wissenschaftlern sind aus Journalistensicht extrem langwierig, teuer und riskant, weil man keinen Einfluss auf wissenschaftliche Analyseprozesse hat. Im schlimmsten Fall wird die eigene Hypothese widerlegt." Wer sich als Journalist mit Wissenschaftlern einlässt, müsse die Eigenarten ihres Systems akzeptieren, etwa die Fixierung auf Erkenntnis, die sich in einem Fachartikel verwerten lässt. Roes Rat an seine Branche: "Lernt zu denken wie Wissenschaftler."
Diesen Perspektivenwechsel haben auch jene Journalist(inn)en versucht, die an den acht Projekten beteiligt waren, die von der VolkswagenStiftung gefördert wurden. Dass Wissenschaftler(innen) sich nicht "zu Rechenknechten degradieren lassen" und Befunde lieber einmal öfter kritisch überprüfen als sie verfrüht zur Veröffentlichung freizugeben – solche Beobachtungen zogen sich wie ein Roter Faden durch die Abschlussveranstaltung für die Ausschreibung "Wissenschaft und Datenjournalismus".
Aber natürlich haben nicht nur die Journalist(inn)en eine steile Lernkurve hinter sich gebracht. Auch die beteiligten Wissenschaftler(innen) betonten, wie der unvermeidliche Perspektivenwechsel neue Erkenntnis befördert hat. Wie er dazu beigetragen hat, Routinen zu durchbrechen und vom Projektpartner "sich was abzugucken". So wie Jochen Schiewe, Professor für Geoinformatik und Geovisualisierung an der HafenCity Universität Hamburg: "Datenjournalisten produzieren sehr viele Karten mit besonderen Anforderungen, etwa allgemeine Verständlichkeit und eine sehr kurze Betrachtungszeit. Da lässt sich für die Gestaltung von klassischen und modernen Kartendarstellungen einiges ableiten."
War SciCAR2017 erfolgreich? Daran konnte keiner Zweifel haben, der in Dortmund miterlebt hat, wie neue Kooperationsbündnisse besprochen wurden und Wissenschaftler(innen) den Journalist(inn)en ihre Datenschätze anboten, um daraus Publikationen abzuleiten, von denen alle profitieren. Und es war wiederum Prof. Schiewe aus Hamburg, der zugab, dass Wissenschaftler(innen) nicht immer nur einen Fachartikel als adäquate Belohnung für ihr nebenberufliches Engagement in solchen Zusammenarbeiten sehen sollten: "Datenjournalismus ist aus Sicht der Kartografie spannend, weil wir damit eine sehr große Anzahl von Nutzern erreichen, was normalerweise bei unseren Veröffentlichungen nicht der Fall."
Die nächste SciCAR Konferenz findet vom 24. bis 26. September 2018 am Erich Brost-Institut der TU Dortmund statt.
Die Tagung SciCAR fand vom 6.-8.9.2017 in Dortmund statt. Eine Gemeinschaftsveranstaltung der Professur Wissenschaftskommunikation der TU Dortmund, des Science Media Center e.V., Köln und der Wissenschafts-Pressekonferenz e.V., ebenfalls Köln.