Networks of Outrage: In den sozialen Medien kennt Nationalismus keine Ländergrenzen

Front National in Frankreich, Pegida in Deutschland, die Identitären in Österreich: Es gibt kaum ein europäisches Land, in dem Populisten oder Nationalisten derzeit nicht sichtbarer sind als noch vor fünf Jahren —  auch in den sozialen Netzwerken. Wie sie dort kommunizieren und sich vernetzen, hat ein Team von Wissenschaftlern und Journalisten untersucht.

Rechtspopulisten sind in Europa auf dem Vormarsch — nicht nur in auf der Straße, sondern auch in den sozialen Medien wie Facebook, Twitter und Co. Zumindest scheint es so.

"Der Diskurs in sozialen Medien ist kein akkurates Spiegelbild der öffentlichen Meinung. Das hat damit zu tun, dass bestimmte Akteure in den sozialen Medien besonders aktiv und laut sind. Und das verzerrt die Wahrnehmung. Die Sichtbarkeit dieser Akteure kann groß sein, aber bedeutet nicht, dass es eine Mobilisierung auf breiter Front gibt", sagt Kommunikationswissenschaftler Cornelius Puschmann.

Er muss das wissen, schließlich hat er sich mehrere Monate lang zusammen mit dem Kommunikationswissenschaftler Julian Ausserhofer sowie Datenjournalist Markus Hametner und Außenpolitik-Journalistin Noura Maan vom österreichischen Standard damit befasst, wie nationalistische Bewegungen im Netz kommunizieren. Das Team hat die Dimension der Aktivität von rechten Bewegungen auf Facebook und Twitter in mehreren europäischen Ländern untersucht. Mit "Networks of Outrage" wollen sie zeigen, wie einzelne rechte Gruppierungen verschiedener Länder untereinander vernetzt sind.

Ein Netzwerk der Netzwerke

Auf Twitter haben sie Beiträge gesammelt, die das Stichwort "Pegida" enthalten. Und für etwa 50 Facebook-Seiten wurde dokumentiert, wie viele Posts und Kommentare veröffentlicht, welche Links geteilt wurden und wie aktiv die Fans der Seite waren. 

Eine dieser Facebook-Seiten war die von Pegida, die das Team von der Entstehung der Seite Anfang 2015 bis zu ihrer Sperrung Mitte 2016 analysiert hat. Inhaltlich findet Journalistin Noura Maan eine Diskrepanz besonders spannend: "In einer wissenschaftlichen Veröffentlichung legen wir den Fokus darauf, welche Links die Pegida-Facebook-Seite teilt und wie sie die Texte dazu formulieren. Es gibt ja immer den Vorwurf von Lügenpresse, aber dann teilen sie auch Inhalte von Medien, die sie selbst sonst als Lügenpresse diffamieren. Aber natürlich verweisen sie auch auf sehr viele alternative Seiten, auf rechte Blogs, in denen Fans ihre vorgefasste Meinung bestätigt finden."

Harter Kern besonders aktiver Nutzer

Der lange Untersuchungszeitraum erlaubte auch, inhaltliche Veränderungen in der Kommunikation nachzuzeichnen: "Anfang 2015 war der Islam noch ein großes Thema auf der Pegida-Facebook-Seite, das hat dann aber abgenommen. Dafür ist die Flüchtlingskrise im Jahresverlauf sehr stark in den Mittelpunkt gerückt. Die Bedeutung dieses Themas für Pegida ist nicht zu unterschätzen. Ohne diese Krise wäre die Unterstützung für Pegida, nicht nur im Netz, sondern auch auf der Straße, schon früher zum Erliegen gekommen", sagt Puschmann. "Ein anderer Befund aus dem Projekt ist, dass die Beteiligung neuer Kommentatoren immer geringer wird. So verliert die Bewegung im Netz durch mangelnde Neuzugänge an Dynamik, während ein harter Kern von Nutzern, die schon lange aktiv dabei sind, unverdrossen weiter macht und stetig sichtbarer wird."

Dass einige wenige lauter und sichtbarer werden, kann schnell dazu führen, falsche Schlüsse über die Bedeutsamkeit von rechten Gruppen zu ziehen, beschreibt Puschmann: "Wir haben gesehen, dass die Posting-Aktivität von Facebook-Seiten immer weiter zunimmt, weil die Organisatoren der Seiten sich professionalisieren. Das könnte zusätzlich den Eindruck erwecken, dass rechte Gruppen zunehmend mehr Zulauf im Netz erhalten. Offline nimmt aber die Anzahl der Pegida-Demonstranten auf der Straße ganz rapide ab. Zu versuchen, allein an der Social-Media-Kommunikation festzumachen, dass die rechte Szene wächst oder dass es mehr Radikalisierung gibt, halte ich deswegen für nicht schlüssig.&qu

Die rechten Brücken über Ländergrenzen hinweg

Auch wenn die Rechten sich mit ihrer Politik auf nationale Themen beschränken und die Abschottung ihrer Länder und Bevölkerungen wollen — bei Twitter und Facebook kooperieren sie scheinbar über Grenzen hinweg. "Es deutet viel darauf hin, dass es einzelne Gruppen gibt, die sprachliche und nationale Communities miteinander verbinden. Ein Beispiel ist die rechtsradikale Seite "Sons of Odin" aus Skandinavien, die offensichtlich große Teile anderer nationaler Communities miteinander verbindet, indem sie eine Brückenfunktion einnimmt", sagt Puschmann. 

Zu Brückenbauern werden Facebook-Seiten über zwei Wege: Einerseits können sie Fans haben, die auch Fans anderer gleichgesinnter Seiten in einem anderen Land oder Sprachraum sind. So zeigten die Analysen von "Networks of Outrage", dass 14% der Facebook-Fans der AfD-Politikern Frauke Petry auch auf der Facebook-Seite des österreichischen Politikers Heinz-Christian Strache aktiv sind.

Andererseits können auch Facebook-Seiten — ganz wie "normale" Nutzer — Fans anderer Facebook-Seiten werden: Hier macht "Networks of Outrage" sichtbar, dass die Facebook-Seite von Matteo Salvini, Partei-Chef der italienischen Lega Nord, die von Marine Le Pen unterstützt. 

"In Social-Media-Diskursen ist es generell so, dass die Trennung nach nationalen Diskursräumen nicht besonders klar ist. Bei Twitter kann man das in verschiedenen Kontexten schnell sehen. Ein Hashtag gilt ja nicht nur für einen bestimmten Sprachraum, sondern wird sowohl von beispielsweise englischsprachigen als auch deutschsprachigen Nutzern verwendet", sagt Puschmann. "Bei Pegida gibt es eine sehr, sehr intensive Interaktion mit Rechtspopulisten und Rechtsradikalen aus anderen Ländern, zum Beispiel mit einem Ableger der British National Party, die Pegida unterstützt."

Das ist kein Einzelfall: Auch Frankreich nimmt eine Brückenfunktion ein, sagt Maan. "Sowohl die Seite von Marine Le Pen als Person als auch ihre Partei Front National hat sehr viele Likes von Nutzern, die ähnliche Bewegungen in anderen Staaten liken."&nb

Feldforschung für Wissenschaftler, vor Ort Recherche für Journalisten

Wie kann man der rechten Agitation im Netz entgegenwirken? Neben anderen fiel Puschmann und Maan insbesondere ein Projekt auf: "Die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung hat eine Dialogplattform ins Leben gerufen, 'Lasst uns streiten'. Diese Plattform wurde als Erweiterung des Offline-Bürgerdialogs eingerichtet, man kann zu kontroversen Themen diskutieren", erzählt Puschmann.

Und so funktioniert es: Ein Nutzer bekommt vier provokante Thesen wie "So viele Flüchtlinge lassen sich nicht integrieren" oder "Aktuell zeigt sich: Deutschland ist eine Schönwetterdemokratie" präsentiert, denen er zustimmen oder die er ablehnen kann. Eine Ablehnung muss immer begründet sein und man hat für seine Reaktion nur eine bestimmte Zeichenanzahl und einen begrenzten Zeitrahmen zur Verfügung. Sobald ein Nutzer seine Antwort abgeschickt hat, wird er sofort mit einer Gegenthese konfrontiert und muss reagieren. 

"Mit der Plattform wollen die Organisatoren Menschen, die man glaubt, zu verlieren, weil sie radikalere Tendenzen zeigen, aus ihrer Filterblase herausholen", sagt Maan. Und das scheint zu funktionieren. Die Plattform habe Kommentarzahlen im drei- bis vierstelligen Bereich.

Ist die eine Plattform radikaler als die andere?

"Wir haben bei den Organisatoren von "Lasst uns Streiten" nachgefragt, warum das auf dieser separaten Plattform stattfindet und nicht auf Facebook, wo die Leute schon sind. Der Mitarbeiter hat dann erklärt, dass die Diskurse auf Facebook ganz schnell abgleiten — ins Polemische und Feindselige", berichtet Puschmann.

Lässt sich wissenschaftlich fundiert sagen, ob Nutzer auf Facebook radikaler sind als auf Twitter? Puschmann findet es schwierig einen solchen Vergleich zu ziehen: "Es gibt strukturelle Unterschiede zwischen den Plattformen — Twitter hat mit seinen 140 Zeichen eine andere Architektur als Facebook, wo es keine Längenbegrenzung gibt — deswegen kann man nicht pauschal sagen, dass das eine radikalen Diskurs mehr befördert als das andere."

Auch wenn sich Plattformen nicht ohne weiteres vergleichen lassen, so seien soziale Netzwerke doch ein interessanter Forschungsgegenstand, sagt Puschmann. "Selbst wenn Social Media nur einen Ausschnitt der Realität abbildet, so sehen wir doch als eine neue Form des politischen Aktivismus, der da stattfindet. Und für uns ist spannend zu untersuchen, wie sich die politische Kommunikation in diesem Umfeld verändert."

Das untersuchen auch andere Studien: Eine Initiative der Universität Amsterdam hat in verschiedenen europäischen Länder analysiert, wie von und zu rechtspopulistischen Webseiten verlinkt sind. Die Financial Times beleuchtete gezielt die Social Media-Aktivitäten rechter Politiker, etwa Geert Wilders,  und deren virtuellen Einfluss. Andere Veröffentlichungen fokussieren auf die Social Media Nutzung einzelner Parteien wie die Cinque Stelle Bewegung in Italien und Partido X in Spanien oder die südafrikanischen Economic Freedom Fighters im Vergleich zu britischen UKIP. Networks of Outrage verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz mit Analysen von Webseitenverlinkungen, Betrachtung mehrerer Plattformen und Vor-Ort-Recherchen. 

Im Zeitalter von "Fake News" müssen Journalisten auf diese neue Form politischer Kommunikation reagieren, findet Noura Maan: "Mit der Kommunikation über soziale Medien haben Rechtspopulist(inn)en einen direkten Kanal zu ihren Anhänger(inne)n. Aber wenn eine Aussage nicht durch die Medien hinterfragt wird, dann kann sie auf sozialen Medien als Fakt wahrgenommen werden. Denn normale Nutzer sind oft nicht darin geschult, "Fake News" als solche zu erkennen. Wenn die Parteien und Bewegungen nicht mit uns Journalisten und Journalistinnen kommunizieren wollen, dann müssen wir es zu unserer Aufgabe machen, ihre Kommunikation in den Fokus zu rücken und Falschinformationen als solche zu entlarven."

Gianna Grün 

Projektinformationen Networks of Outrage

Hauptantragsteller:

Julian Ausserhofer, Alexander von Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft gGmbH, Berlin

Noura Maan, Der Standard, Wien

Publikationen

Zeitschriftenbeiträge 

Ausserhofer, J., Gutounig, R., Oppermann, M., Matiasek, S., & Goldgruber, E. (2017). The datafication of data journalism scholarship: Focal points, methods and research propositions for the investigation of data-intensive newswork. Journalism. doi:10.1177/1464884917700667 

Buchkapitel 

Ausserhofer, J. (2017, in Druck). Die Datenbank verdient die Hauptrolle: Bausteine einer Methodologie für Open Digital Humanities. In S. Eichhorn, B. Oberreither, M. Rauchenbacher, I. Schwentner, & K. Serles (Hrsg.), Aufgehoben? Speicherorte, -diskurse und -medien von Literatur. Würzburg: Königshausen & Neumann. 

Maan, N., & Schmid, F. (2017, in Druck). Auch im Netz: „Wir sind das Volk“. In H. Kleffner & M. Meisner (Hrsg.), Unter Sachsen: Zwischen Wut und Willkommen. Ch. Links Verlag. 

Puschmann, C., & Ausserhofer, J. (2017). Social data APIs: Origin, types, issues. In M. T. Schäfer & K. van Es (Hrsg.), The datafied society: Studying culture through data (S. 147–154). Amsterdam: Amsterdam University Press. doi:10.5281/zenodo.344887 

Conference Proceedings 

Puschmann, C., Ausserhofer, J., Maan, N., & Hametner, M. (2016a). Information laundering and counter-publics: The news sources of Islamophobic groups on Twitter. In Proceedings of Social Media in the Newsroom (SMnews 2016) (Workshop at the 10th International AAAI Conference on Web and Social Media (ICWSM16)) (S. 143–150). Menlo Park: AAAI Press. Abgerufen von http://www.aaai.org/ocs/index.php/ICWSM/ICWSM16/paper/view/13224 

Vorträge 

Ausserhofer, J. (2016, Juni). Wissenschaft und Datenjournalismus: Eine Kartographie des neuen Extremismus in Europa. Vortrag gehalten auf der Lange Nacht der Wissenschaften 2016, Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft, Berlin. Abgerufen von https://youtu.be/4WA_Ximob24 

Ausserhofer, J., Puschmann, C., Maan, N., & Hametner, M. (2016, September). Empörungsnetzwerke, Open Science und Open Data: Wie Wissenschaft, Hochschul-PR und Datenjournalismus zusammenarbeiten können. Vortrag gehalten auf der Jahrestagung des Bundesverbands Hochschulkommunikation, Universität Göttingen. Abgerufen von http://ausserhofer.net/b00mbl1tz/pub/2016-AusserhoferEtAl-G%C3%B6ttingen-Hochschulkommunikation_Wissenschaft_Datenjournalismus-Vortragsmanuskript.pdf 

Puschmann, C., & Ausserhofer, J. (2016, November). Empörungsöffentlichkeiten im Netz: Zur Beziehung von Themen, Akteuren und Quellen auf der Pegida-Facebookpage. Vortrag gehalten auf der Jahrestagung der DGPuK-Fachgruppe Digitale Kommunikation 2016, TU Braunschweig. 

Puschmann, C., Ausserhofer, J., Maan, N., & Hametner, M. (2016b, Mai). Information laundering and counter-publics: The news sources of islamophobic groups on Twitter. Vortrag gehalten am Social Media in the Newsroom Workshop (SMnews 2016) (10th International AAAI Conference on Web and Social Media (ICWSM16), Köln. 

Puschmann, C., Ausserhofer, J., Hametner, M., & Maan, N. (2016, Juli). What are the topics of populist anti-immigrant movements on Facebook? Vortrag gehalten auf der Social Media & Society Conference, Goldsmiths, University of London.

Journalistische Veröffentlichungen 

Gartner, G., Maan, N., Schmid, F., & Hametner, M. (2016a, November 28). Präsidentschaftskandidaten: Was von den Facebook-Seiten verschwindet. derStandard.at. Abgerufen von http://derstandard.at/2000048203012/Praesidentschaftskandidaten-Was-von-den-Facebook-Seiten-verschwindet 

Gartner, G., Maan, N., Schmid, F., & Hametner, M. (2016b, November 29). Welche Postings im Wahlkampf verschwinden. Der Standard, S. 19. 

Maan, N. (2016a, Jänner 12). "Facebook hat eine Art journalistische Verantwortung". derStandard.at. Abgerufen von http://derstandard.at/2000048415535-2000048743889/Facebook-hat-eine-Art-journalistische-Verantwortung 

Maan, N. (2016b, März 10). „Strache hat verstanden, wie er den Kanal für sich und seine Zwecke nutzen kann”. derStandard.at. Abgerufen von http://derstandard.at/2000045178339/Strache-hat-verstanden-wie-er-den-Kanal-fuer-seine-Zwecke 

Maan, N., & Schmid, F. (2016a, Juli 10). Das Gegenteil von Lügenpresse. derStandard.at. Abgerufen von http://derstandard.at/2000037622930/Das-Gegenteil-von-Luegenpresse 

Maan, N., & Schmid, F. (2016b, Juli 9). Was Pegida für die Wahrheit hält. Der Standard, S. 4–5. Wien. 

Maan, N., Schmid, F., & Hametner, M. (2016a, Oktober 1). "Zur Info": Straches Facebook-Welt. Der Standard: 4-5. Wien. 

Maan, N., Schmid, F., & Hametner, M. (2016b, Oktober 4). "Zur Info": Das Facebook-Universum des HC Strache. derStandard.at. Abgerufen von http://derstandard.at/2000044079645/Zur-Info-Das-Facebook-Universum-des-HC-Strache 

Schmid, F., Maan, N., Hametner, M., & Šlerka, J. (2016a, Dezember 1). Grünes Netz, blaues Netz: Zwei Welten auf Facebook. Der Standard, S. 4. 

Schmid, F., Maan, N., Hametner, M., & Šlerka, J. (2016b, Dezember 1). Was Hofers und Van der Bellens Anhänger auf Facebook sehen. derStandard.at. Abgerufen von http://derstandard.at/2000048426887/Was-Hofers-und-Van-der-Bellens-Anhaenger-auf-Facebook-sehen

Paneldiskussionen 

Puschmann, C. (2016a, August). Haters gonna hate? Panelbeitrag gehalten auf der Digitaler-Salon-Diskussionsreihe, Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft, Berlin. Abgerufen von https://www.hiig.de/events/digitaler-salon-haters-gonna-hate/ 

Puschmann, C. (2016b, Mai). Wider die Herrschaft der Algorithmen! Wie bekommen wir die Kontrolle zurück? Panelbeitrag gehalten auf der re:publica, Station, Berlin. Abgerufen von: https://youtu.be/8yYVx16CkxI

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