Mit Unvorstellbarem lässt sich rechnen
Welche Bedrohung stellt Quantentechnologie in Zukunft für die Datensicherheit dar? Und welches Potenzial birgt sie für neue Kommunikationswege? Experten diskutierten in Hannover. Veranstaltungsbericht zur 8. Leopoldina-Lecture der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina in Kooperation mit der VolkswagenStiftung im Schloss Herrenhausen am 11. April 2016
Möglichkeiten und Konsequenzen
Aktuelle Beispiele zum Thema Datensicherheit gibt es genug. Dr. Henrike Hartmann, Leiterin der Förderabteilung der VolkswagenStiftung, benennt in ihrem Grußwort bei der Leopoldina-Lecture "Datensicherheit in der Quantenwelt. Wie können unsere Informationen geschützt werden?" einige davon und fragte nach deren Konsequenzen: "Welche Rolle spielen in einer Enthüllung wie der um die Panama Papers Geheimhaltung oder Transparenz?" Oder: "Hat die Firma Apple den Schutz von Kundendaten zurecht über die Ermittlungen eines nationalen Geheimdienstes gestellt?"
Im direkten thematischen Anschluss an eine Veranstaltung der VolkswagenStiftung im Februar zu den Auswirkungen digitaler Vernetzung im Alltagsleben stehe nun unter anderem die Frage im Raum, in wessen Hand die besten technischen Möglichkeiten am sichersten aufgehoben seien, so Hartmann.
Utopie und Dystopie
Forschungen zur Quantenphysik böten Perspektiven auf neue Wege der Datenübermittlung – und so auch verlässlichere Möglichkeiten der Datensicherung, erklärte Dr. Henrike Hartmann. "Für viele Laien klingen Quantentechnologie und ihre Anwendungsgebiete wie Teleportation noch wie Science Fiction", erläuterte sie, "doch die Übertragung von Informationen über größere Distanzen durch Licht ist bereits Realität."
Die National Security Agency in den USA arbeite möglicherweise bereits an der Entwicklung eines Quantencomputers, der konventionelle Verschlüsselungstechniken bald schon unwirksam machen könnte. Hartmann resümierte: "In den falschen Händen kann das zum Alptraum für die Privatsphäre werden."
Mathematik und Quantenphysik
Die sogenannte Public-Key-Kryptographie, mit deren Hilfe unter anderem der sichere Email-Verkehr sowie die sichere Kommunikation eines Web-Browsers mit einem Server heutzutage ermöglicht wird, beruhe auf den klassischen Erkenntnissen der Mathematik, präzisierte Prof. Dr. Johannes Buchmann in seiner Einführung. Er lehrt Informatik und Mathematik an der Technischen Universität Darmstadt. "Die Existenz eines Quantencomputers würde diese Basis bedrohlich in Frage stellen", prophezeite er. Umso wichtiger sei eine öffentlich geförderte Forschung.
Die Leopoldina Nationale Akademie der Wissenschaften berate Politik und Gesellschaft wissenschaftsbasiert zu solchen Chancen und Risiken neuer Technologien. Im vergangenen Jahr veröffentlichte ihre Arbeitsgruppe zur Quantentechnologie eine perspektivische Stellungnahme. Buchmann betonte: "Dabei geht es nicht um Werbung für bisherige Errungenschaften, sondern um das Aufzeigen von Potenzialen."
Etablierte und neue Anwendungsfelder
Quantenphysik zähle neben der Relativitätstheorie zu den wichtigsten physikalischen Theorien des 20. Jahrhunderts, erklärte Prof. Dr. Johannes Buchmann. "Sie hat weitreichende Auswirkungen auf alle Gebiete der Natur- und Ingenieurswissenschaften", kontextualisierte er, "und hat sogar die Geisteswissenschaften inspiriert." Viele Erfindungen bauten auf Quantenmechanik auf: Halbleitertechnologie, Lasertechnik, im Grunde die gesamte Elektronik.
Neben solchen längst im Alltag präsenten Phänomenen stünden zahlreiche neue Anwendungsfelder, erläuterte Buchmann. Dazu zähle auch die Datensicherheit im Zusammenhang mit der Quanteninformationstechnologie. Wie alltagstauglich das bereits sei? "Die Teleportation von Daten ist in Experimenten bereits gelungen", bestätigte Buchmann.
Materie und Information
Als Experte für Quanteninformationsverarbeitung mit Licht beschäftigt sich Prof. Dr. Gerd Leuchs auch mit Quantenteleportation. Er ist Professor für Physik an der Universität Elangen-Nürnberg und außerdem Gründungsdirektor am Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts in Erlangen. Er rechnete vor, welche Unmengen an Energie das Teleportieren eines durchschnittlich schweren Menschen hypothetisch verbrauchen würde: "Selbst um die kinetische Energie für eine moderate Geschwindigkeit von einem Zehntel der Lichtgeschwindigkeit aufzubringen, wäre eine Energie notwendig, wie sie etwa eine Milliarde Liter Benzin in einem Verbrennungsmotor erzeugen würde." Ganz abgesehen von der Beschleunigung, die die Person aushalten müsste.
Leuchs stellte nüchtern fest: "Das Verschicken von Materie ist also keine gute Idee." Und ergänzte: "Das Senden von Information ist billiger." Die Kosten für die Übertragung aller Daten des Genoms und des Gedächtnisses eines Menschen beispielsweise lägen selbst mit klassischer Kommunikation unter einem Cent.
Gleichzeitigkeit und Veränderung
Einzelne Atome seien durchaus bereits erfolgreich an einen anderen Ort übertragen worden, berichtete Prof. Dr. Gerd Leuchs. "Dabei entsteht nicht etwa nur eine Kopie", betonte er. Dies gelte auch für das Senden von Informationen mit Quantentechnologie. Während sich in der klassischen Physik ein Objekt durch Beobachtung vollständig beschreiben lasse, könne es sich in der Quantenphysik in zwei Zuständen gleichzeitig befinden.
"Bei einer Quantenmessung kann jedoch nur einer der Zustände gelesen werden", erläuterte Leuchs, "welcher völlig zufällig ist." Wesentlich sei allerdings, dass alle gesendeten Objekte verschränkt seien und ihr Zustand bei der Messung korreliere. Danach sei jedoch tatsächlich nur noch der gemessene Zustand vorhanden. Die Messung führe also eine Veränderung herbei. Aus diesem Grund könne ein Abhörer niemals unerkannt bleiben. "Darauf basiert die gesamte Quantenkryptographie", fasste Leuchs zusammen.
Größe und Leistung
Prof. Dr. Tommaso Calarco ist Direktor des Instituts für komplexe Quantensysteme an der Universität Ulm. Außerdem ist er Vorsitzender des Beratungsgremiums für "Quantum Technologies in Europe" im Rahmen des EU-Förderprogrammes Horizon 2020. Er stellte anhand von zehn Folien Anwendungsgebiete und Ziele der Quantenforschung vor. "Diese Folien haben einen Wert von einer Milliarde Euro", scherzte er – dies sei die von der Europäischen Union aufgrund der Präsentation bewilligte Fördersumme.
Wesentlich sei für die aktuelle Forschung der Bereich des Computing. "Information braucht immer eine physikalische Basis", erklärt Calarco, "und wenn diese immer weiter verkleinert wird, geht es irgendwann um Bits, die wir auf einzelnen Atomen speichern." Dies habe dann auch mit Leistungsfähigkeit zu tun. Die Verschränkung gesendeter Objekte sei dabei eine Ressource, die noch viele Geheimnisse berge.
Sensorik und Simulation
Prof. Dr. Tommaso Calarco erzählte begeistert von einem Quantensimulator des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in München: "Er kann in eingeschränktem Rahmen bereits Dinge berechnen, bei denen ein klassischer Supercomputer auf der Strecke bleibt." Auch Hardware zur Quantenübertragung sei bereits für kurze Distanzen im Einsatz. Und durch Quantenmessung werde eine höhere Genauigkeit bei der Satellitennavigation erreicht. Außerdem mache man Fortschritte auf den Gebieten der Sensorik und Simulation.
"Supraleitende Materialien werden mit Quantentechnologie entwickelt, die bis zu 30 Prozent Stromverlust vermeiden helfen", führte Calarco an. Chemische Reaktionen könnten besser analysiert und neue Substanzen für medizinische Anwendungen entwickelt werden. Das Spektrum der Möglichkeiten sei breit. "Wo es jedoch um Datensicherheit geht", gab Calarco zu, "liegen Schutz und Bedrohung nahe beieinander."
Quantencomputer und Kryptographie
Computersicherheit ist auch das Thema, auf das Prof. Dr. Johannes Buchmann in seinem Vortrag näher einging. Er erläuterte, wo eine zu erwartende Bedrohung von herkömmlicher Verschlüsselung durch Quantencomputer liegt: "Automatische Softwareupdates werden heute regelmäßig von unterschiedlichen Computern und computergesteuerten Maschinen durchgeführt." Der Absender legitimiere sich durch digitale Signaturen, deren Verschlüsselung auf faktorierten Zahlen beruhe. "Quantencomputer können diese berechnen, was einen Missbrauch ermöglichen würde", erläuterte Buchmann.
Es sei jedoch schwer abzuschätzen, wann der erste voll funktionsfähige Quantencomputer einsatzbereit sei. Es sei sogar bereits spekuliert worden, die Geheimdienste hätten einen solchen bereits entwickelt. Immerhin habe Google im September 2014 ein entsprechendes Forschungszentrum gegründet, im August 2015 habe die National Security Agency quantencomputerresistente Kryptographie empfohlen. Und im Februar dieses Jahres habe das US-amerikanische National Institute of Standards and Technology einen Wettbewerb für deren Entwicklung angekündigt.