Mit Materialinnovationen Probleme lösen – Inge Herrmann

Autorin: Christine Prußky

Portrait einer Frau in einem Labor

Die Chemikerin Inge Herrmann ist in der diesjährigen Falling-Walls-Konferenz nominiert für den Women’s Impact Award.

Sie arbeitet an der Schnittstelle zwischen Chemie, Materialwissenschaft, Ingenieurwesen und Medizin. Beim Falling Walls Science Summit 2024 ist Inge Herrmann für den Women’s Impact Award nominiert. Wir stellen sie und ihre Forschung vor.

Die Wissenschaftsgeschichte ist voller Anekdoten über Geistesblitze. Manche Forschenden hatten einen in der Badewanne (Archimedes zum Prinzip des Auftriebs), andere unter einem Baum (Newton, Stichwort Schwerkraft) und wieder andere in der Tram (Einstein und die Relativitätstheorie). Chirurgie-Kongresse waren bisher eher nicht als Orte der Inspiration bekannt. Zu Unrecht: Die Chemikerin Inge Herrmann, beim diesjährigen Falling Walls Science Summit nominiert für den Women’s Impact Award, kommt nämlich genau auf solchen Fachtagungen zu neuen Forschungsideen.

"Wenn ich da in den Weiterbildungen sitze, fallen mir beim Zuhören viele neue Probleme auf, für die ich eine Lösung zu finden suche", sagte Herrmann kürzlich dem St. Galler Tagblatt. Gäbe es einen Preis für Unterstatement in der Medizinforschung, könnte Herrmann mit dem Satz gleich noch eine Auszeichnung gewinnen. Denn tatsächlich sucht die Schweizer Professorin nicht einfach nur nach Lösungen, zusammen mit ihrem Team findet sie diese auch – und das fast schon am Fließband.

Jede Menge medizintechnische Erfindungen

In diesem Sommer etwa erfand das Team Herrmann ein Implantat aus Hydrogel, das Frauen mit Endometriose hilft und zugleich als Verhütungsmittel eingesetzt werden kann. Weltweit leiden etwa 190 Millionen Frauen an der schmerzhaften Krankheit, in Deutschland sollen es allein zwei Millionen sein. Bei ihnen gelangt während der Menstruation Blut über die Eileiter in die Bauchhöhle. Das Blut transportiert Zellen der Gebärmutterschleimhaut, die wiederum Entzündungen provozieren. Mit dem Hydrogel könnten die Eileiter blockiert und die Entstehung und Ausbreitung von Endometriose verhindert werden.

Falling Walls: Women's Impact Award

Zum ersten Mal ist die Kategorie Women's Impact Award Teil des Falling Walls Global Call für die wissenschaftlichen Durchbrüche des Jahres. Gemeinsam mit "Falling Walls Female Science Talents" und weiteren Partnerorganisationen fördert die VolkswagenStiftung den Preis. 

Mehr über den Women's Impact Award

Auch wenn es bis zur Marktreife noch dauern wird, das Patent ist angemeldet. Im Juli berichteten Medien international über die Entdeckung und das Team dahinter. In der Wissenschaft war Inge Herrmanns Team zu dem Zeitpunkt längst bekannt. Anfang 2024 machte es mit einer Lasertechnologie zum Verschluss offener Wunden von sich Reden. Davor erfand es ein Darmpflaster, das Alarmsignale aussendet, wenn dies durchlässig zu werden droht.

Inspiration: Vielfalt im Team und Blick über den Tellerrand

Herrmann arbeitet bevorzugt dort, wo andere aufhören: an der Schnittstelle zwischen Chemie, Materialwissenschaft, Ingenieurswesen und Medizin. Dort erobert sie Neuland für die Wissenschaft. Die Schlüssel dorthin sind für sie Vielfalt im Team und intensive Gespräche mit Menschen aus komplett anderen Branchen – das kann auch am Tisch mit Freunden beim Essen sein.

Die Kommunikation über Disziplinen und Branchen hinweg ist natürlich anspruchsvoll, sie kostet Zeit und Energie. "Die Komfortzone ist nicht der Ort, an dem Magie passiert", lautet Herrmanns Motto. Ihr Engagement für die Wissenschaft zeigt sich auch in ihrem Lebenslauf: Geboren 1985, studierte sie ab 2003 Chemieingenieurwesen an der ETH Zürich und der TU Delft, um schon sechs Jahre später in ihrer Doktorarbeit ein magnetbasiertes Verfahren zur Blutreinigung zu präsentieren, das später in Harvard weiterentwickelt wurde.

Im Ingenuity Lab will sie Materialinnovationen in die Klinik bringen

Nach Forschungsstationen in den USA (University of Illinois, Chicago) und UK (Imperial College London) kam sie 2015 zurück in die Schweiz. Mittlerweile ist Herrmann nicht nur Professorin an der Uni Zürich und Dozentin an der ETH Zürich. Sie leitet zudem ein Team am Materialwissenschaftslabor der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa). Und – seit September 2023 – ist sie nun auch Chefin des Ingenuity Lab an der Uniklinik Balgrist in Zürich. Das Lab will Materialinnovationen in die Klinik bringen.

Vier Hüte auf einem Kopf – wie geht das? Herrmanns Antwort ist verblüffend einfach: So lasse sie Promovierenden und Postdocs möglichst viel Freiraum und unterstütze nur dort, wo es nötig sei. Start-ups überlässt sie lieber den Forschenden im Team. Und auch bei Publikationen steht ihr Name eben längst nicht immer an erster Stelle. Erstautor der Endometriose-Studie zum Beispiel ist Alexandre Anthis. 

Beim Falling Walls Science Summit in Berlin wird am 9. November verkündet, wer den Women’s Impact Award erhält. Inge Katrin Herrmann ist eine von drei Nominierten. Weitere Porträts der Table.Briefings-Serie "Breakthrough-Minds" zum Falling Walls Science Summit 2024 lesen Sie hier.

Dieser Beitrag ist am 12. September im Research.Table Briefing von Table.Media erschienen.

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