Medizinische Universität Wien: Spinnenseide-Forscherin berufen

Professorin Dr. Christine Radtke übernimmt den renommierten Lehrstuhl für plastische und rekonstruktive Chirurgie an der Medizinischen Universität Wien. Sie entwickelte eine Methode, um Spinnenseide für die Nervenrekonstruktion zu nutzen.

Wie lassen sich  Nerven, die etwa bei einem Unfall durchtrennt wurden, reparieren? Dieser Frage widmet sich Professorin Dr. Christine Radtke seit mehr als zehn Jahren. Nerven im sogenannten peripheren Nervensystem - entgegen dem zentralen Nervensystem, also nicht im Rückenmark oder Gehirn gelegen - können von allein regenerieren. Jedoch wachsen sie nur über kurze Entfernung zielgerichtet. Wie lässt sich den Zellen der gewünschte Weg vorgeben? Christine Radtke, zuletzt als leitende Oberärztin und stellvertretende Direktorin der Klinik für Plastische, Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) tätig, nahm zur Lösung des Problems ein ungewöhnliches Material in den Blick: Spinnenseide.

Ungewöhnliches Material - außergewöhnliches Projekt

Die Ärztin verfolgte ihr Ziel, das Naturprodukt therapeutisch zu nutzen, auch in zwei von der VolkswagenStiftung geförderten Forschungsprojekten. Die Erkenntnisse ihres Forschungsprojekts "Fast and Functional: Enhanced nerve regeneration of critical size defects by spider silk nerve conduits", gefördert in der Initiative "Offen für Außergewöhnliches", waren dabei laut Radtke unter anderem mit ausschlaggebend für die jetzt erfolgte Berufung an die Medizinische Universität Wien. Die Wissenschaftlerin und ihr Team konnten durch ihre Forschung zeigen, dass sich Spinnenseidenfäden als Leitschiene für die Nervenregeneration eignen und nachwachsenden Nerven helfen können, zielgerichtet auch große Abstände zu überbrücken. Da die Spinnenseide mit ihrer leicht klebrigen Oberfläche den Zellen eine gute Haftung bietet, gibt sie die Wachstumsrichtung vor, sie unterstützt zudem die  Zellbewegung und fördert die Zellteilung. Anschließend baut der Körper die Fäden in einem Verlauf ab, der für die Nervenrekonstruktion besonders günstig ist.

Professorin Dr. Christine Radtke im Spinnenzuchtraum in der Medizinischen Hochschule Hannover. (Foto: Franz Bischof für VolkswagenStiftung)

Der Seidenfaden der Spinnengattung Nephila clavipes eignet sich für das Verfahren besonders gut, denn er lässt sich leicht und in großer Menge entnehmen. Die achtbeinigen Nutztiere werden dafür in einem speziellen Raum in der MHH gehalten und regelmäßig „gemolken“. Weitere Informationen zu diesem Forschungsprojekt finden Sie in unserer Impulse Ausgabe 2015-1 "Kreativ spinnen".

Spinnen melken gegen Epilepsie

Gemeinsam mit Professorin Dr. Manuela Gernert von der Tierärztlichen Hochschule Hannover wurde Christine Radtke von der VolkswagenStiftung ebefalls in der Förderinitiative "Experiment!" gefördert, hier mit dem Projekt "Spider silk anchoring system for cell grafting into challenging brain environments". Darin gingen die beiden Wissenschaftlerinnen der Frage nach, ob sich Spinnenseide als Ankersystem nutzen lässt, um transplantierte Nervenzellen im Gehirn von Epilepsiepatienten zu fixieren.

Mit dem Ruf an die Medizinische Universität Wien übernahm Christine Radtke nun zum 1. Oktober 2016 als erste Frau den vom Pionier der peripheren Nervenchirurgie, Professor Hanno Millesi, aufgebauten Lehrstuhl für plastische und rekonstruktive Chirurgie. Dort wird sie sich neben anderen Forschungsthemen auch weiterhin dem Schwerpunkt Nervenrekonstruktion widmen.

Der Seidenfaden der Spinnengattung Nephila clavipes eignet sich besonders gut für den Einsatz in der medizinischen Therapie von Nervenschädigungen: Er lässt sich leicht in großer Menge entnehmen, ist extrem reißfest und flexibel und der Körper kann ihn gut abbauen. (Foto: Franz Bischof für VolkswagenStiftung)