Jahrhundertdürre im Mittelalter – Parallelen zum Klimawandel heute?
Leipziger Forschende um Freigeist-Fellow Dr. Martin Bauch identifizieren bisher unbekannte Dürreperiode aus historischen Quellen. Letztmaliger Stichtag für die Freigeist-Fellowships war der 1. April 2021.
Der Übergang von der mittelalterlichen Warmzeit zur Kleinen Eiszeit wurde offenbar von starken Dürren zwischen 1302 und 1307 in Europa begleitet, die der feucht-kalten Phase der 1310er Jahre und der damit verbundenen großen Hungersnot von 1315-21 vorausgingen. Die Wetterlagen 1302-07 seien vergleichbar mit der Wetteranomalie 2018, als in Kontinentaleuropa eine außergewöhnliche Hitze und Dürre herrschte, schreiben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Freigeist-Fellow Dr. Martin Bauch vom Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) im Fachjournal Climate of the Past.
Bauch erforscht in seinem Projekt "The Dantean Anomaly (1309-1321) - Rapid Climate Change and Late Medieval Europe in a Global Perspective" den rapiden Klimawandel am Anfang des 14. Jahrhunderts und seine Auswirkungen auf das spätmittelalterliche Europa. Die Wettermuster damals würden den stabilen Wetterlagen ähneln, die seit den 1980ern häufiger auftreten und mit der verstärkten Erwärmung der Arktis in Zusammenhang gebracht werden. Übergangsphasen im Klima seien immer durch einen Zeitraum geringer Variabilität geprägt, in denen die Wetterlagen langanhaltend stabil sind, so die Hypothese der Leibniz-Forschenden aus dem Vergleich der Dürren 1302-07 und 2018.
Der "Große Hunger" (Great Famine, 1315-1321) gilt als größte gesamteuropäische Hungersnot des vergangenen Jahrtausends. Wenige Jahre später folgte mit dem "Schwarzen Tod" (1346-1353) die verheerendste bekannte Pandemie, bei der etwa ein Drittel der damaligen Bevölkerung der Pest zum Opfer fielen. Eingeleitet wurden diese Krisen damals von einer Phase rapiden Klimawandels nach 1310, die nach dem italienischen Dichter und Philosophen Dante Alighieri als "Dante-Anomalie" (Dantean Anomaly) bezeichnet wird. Die 1310er Jahre gelten als Übergangsphase von der durch relativ hohe Temperaturen geprägten hochmittelalterlichen Klimaanomalie zur Kleinen Eiszeit. Bauchs Forschungsprojekt nimmt dabei besonders die Regionen Oberitalien, Südostfrankreich und Ostmitteleuropa unter die Lupe. Diese Gebiete wurden bisher wenig untersucht im Hinblick auf die große Hungersnot, bieten aber eine Vielzahl historischer Quellen, die helfen können, meteorologische Extremereignisse und ihre sozioökonomischen Auswirkungen zu rekonstruieren, die Aussagen zur Verwundbarkeit der Gesellschaft damals ermöglichen.
Geisteswissenschaften können Klimaforschung bereichern
"Wir wollen damit zeigen, dass der historische Klimawandel viel besser rekonstruiert werden kann, wenn nicht nur Klimaarchive wie Baumringe oder Sedimentkerne genutzt werden, sondern auch historische Quellen. Das Einbeziehen der geisteswissenschaftlichen Forschung trägt deutlich dazu bei, die gesellschaftlichen Folgen des Klimawandels in der Vergangenheit besser zu verstehen und Schlussfolgerungen für die Zukunft zu ziehen", erklärt Forschungsgruppenleiter Dr. Martin Bauch.
In der jetzt veröffentlichten Studie wurde eine Vielzahl historischer Quellen ausgewertet: Chroniken aus dem heutigen Frankreich, Italien, Deutschland, Polen und Tschechien. Regionale und städtische Chroniken gaben Auskunft zu historischen Stadtbränden, die ein wichtiger Indikator für Dürren waren. Verwaltungsschriftgut aus Siena (Italien), der Grafschaft Savoyen (Frankreich) und der zugehörigen Region Bresse ließen Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Entwicklung zu. Anhand der Daten war es beispielsweise möglich, die Weizen- und Weinproduktion in der französischen Region Bresse abzuschätzen und mit der Weizenproduktion in England zu vergleichen. Da der Ertrag stark von klimatischen Faktoren wie Temperatur und Niederschlag abhing, sind dadurch Rückschlüsse auf das Klima im jeweiligen Produktionsjahr möglich.
Die Analyse dieser historischen Wettersituationen ist von besonderem Interesse, da aktuell diskutiert wird, wie sich der Klimawandel in der Arktis auf das Wetter in Europa auswirkt. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Arktis mehr als doppelt so stark erwärmt wie andere Regionen der Erde. Dieses Phänomen wird "Arktische Verstärkung" (Arctic Amplification) genannt und von einem DFG-Sonderforschungsbereich unter Leitung der Universität Leipzig untersucht. Eine Theorie nimmt an, dass durch die überproportionale Erwärmung der Arktis die Temperaturunterschiede zwischen den mittleren Breiten und der Region um den Nordpol sinken und damit auch die atmosphärische Dynamik abnimmt. Als Folge können sich Wetterlagen länger halten als früher, so eine gängige Hypothese.
Die Studie aus Leipzig wirft so ein neues Licht auf die ersten Jahre des 14. Jahrhunderts mit seinen dramatischen Veränderungen und schlägt den Bogen zu den Klimaveränderungen der Gegenwart. "Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung des Klimas des 21. Jahrhunderts lassen sich aus unserer Studie allerdings schwer ableiten. Während im 14. Jahrhundert noch natürliche Schwankungen des Klimas dominierten, ist es heute der Einfluss des Menschen auf das Klima", merken Martin Bauch und sein Kollege Patric Seifert an.
Publikation und Pressemitteilung
Pressemitteilung des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung: "Jahrhundertdürre im Mittelalter – mit Parallelen zum Klimawandel heute?"
Bauch, M., Labbé, T., Engel, A., and Seifert, P.: A prequel to the Dantean Anomaly: the precipitation seesaw and droughts of 1302 to 1307 in Europe, Clim. Past, 16, 2343–2358, https://doi.org/10.5194/cp-16-2343-2020, 2020
Freigeist-Fellowships
Die Initiative Freigeist-Fellowships wendet sich an Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler aus allen Disziplinen. Ziel der Stiftung ist es, die Durchführung außergewöhnlicher Forschungsprojekte zu ermöglichen und einen substanziellen Beitrag zur Etablierung verlässlicher Karrierewege für die kommende Wissenschaftlergeneration zu leisten. Letztmaliger Stichtag: 1. April 2021