Herausforderungen für Europa wissenschaftlich erforschen: 6,5 Mio. Euro für kooperative Vorhaben
Die Herausforderungen, denen die EU derzeit gegenüber steht, sind drängend – und lassen sich ohne forschungsbasierte Lösungsansätze wohl kaum bewältigen. Sieben Forschungsvorhaben von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus ganz Europa nehmen nun aktuelle Forschungsfragen in den Blick, gefördert von der VolkswagenStiftung. Das Spektrum: Von Populismus in digitalen Medien über Radikalisierungsmechanismen bis hin zu Sicherheitspolitik.
Ob Brexit, Flüchtlingsströme, Finanz- und Wirtschaftskrisen oder das Erstarken rechtpopulistischer und europaskeptischer Parteien – die Herausforderungen, mit denen sich die Europäische Union konfrontiert sieht, sind heute vielfältiger denn je. Wie aber kann die EU zukunftsfähig bleiben und ihre Grundfesten sowie den Zusammenhalt der Mitgliedsstaaten bewahren?
Um diese Fragen zu beantworten und Impulse für die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit in Europa zu geben, hat die VolkswagenStiftung die Förderinitiative "Herausforderungen für Europa" ins Leben gerufen. Darin sind Kooperationsprojekte von einem deutschen und mindestens zwei wissenschaftlichen Partnern im europäischen Ausland gefragt. Geistes- und Gesellschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sollen sich gemeinschaftlich auf aktuelle und langfristige Entwicklungen in Europa konzentrieren, diese vergleichend untersuchen und deren Auswirkungen auf die EU analysieren. Diesem Aufruf sind 138 Forschergruppen gefolgt, und haben einen Förderantrag gestellt, sieben wurden nun bewilligt – mit einer Gesamtfördersumme von rund 6,5 Mio. Euro.
Die Vorhaben, die das Kuratorium der VolkswagenStiftung bewilligt hat, befassen sich unter anderem mit der Rolle digitaler Medien in rechtspopulistischen Prozessen, einer gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik sowie dem Einfluss fehlender Anerkennung auf die Radikalisierung einzelner Bevölkerungsgruppen.
Im Folgenden werden vier Projekte beispielhaft vorgestellt:
Leuphana Universität Lüneburg: Cultures of Rejection: Conditions of Acceptability in Socio-Spatial and Digital Environments in Contemporary Europe (rd. 930.000 Euro)
Nationalismus und Rechtspopulismus entwickeln sich zu einem immer größer werdenden Problem für die freiheitliche demokratische Grundordnung in Europa. Sie führen zu sozialer Polarisierung sowie Radikalisierung und verändern das alltägliche Leben entscheidend. Die "Kulturen der Ablehnung" gegenüber Immigration, politischen Eliten, Institutionen der Zivilgesellschaft und der Medien, europäischer Integration u. ä. gehen laut der Arbeitshypothese der Forschungsprojektgruppe aus als negativ erlebten Veränderungen und Krisen hervor. Daher steht im Fokus ihrer Untersuchung unter anderem, in welchen On- und Offline-Umgebungen sich solche Gruppen bewegen und verbreiten und wie sie sich an unterschiedlichen Orten zusammensetzen. Für einen transnationalen Überblick über das Phänomen arbeiten Forscherinnen und Forscher aus Österreich, Kroatien, Deutschland, Serbien und Schweden zusammen.
GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, Köln: What Do 'the People' Want? Analysing Online Populist Challenges to Europe (rd. 710.000 Euro)
Digitale Medien sind für populistische Politikerinnen und Politiker, Parteien und Bewegungen der wichtigste Weg, die Mainstream-Medien zu umgehen, die sie als ihnen gegenüber voreingenommen wahrnehmen. Damit kommt den digitalen und sozialen Medien heute ungewollt die Rolle des Beförderers von Populismus zu. Wie verbreitet sind aber populistische Bemerkungen, Postings und Beiträge im Web tatsächlich? Und wie wirken sie auf die User, die ihnen – ob beabsichtigt oder zufällig – begegnen? Diese und weitere Fragen will die Forschungsgruppe, die neben den deutschen Beteiligten auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Frankreich und Großbritannien umfasst, im Rahmen ihres Projektes untersuchen.
Universität Mannheim: Fighting Together, Moving Apart? European Common Defense and Shared Security in an Age of Brexit and Trump (rd. 980.000 Euro)
Im Fokus des Forschungsprojekts steht die Frage, wie politische Eliten verglichen mit der allgemeinen Öffentlichkeit über die politische Entscheidungsfindung bezogen auf gemeinsame Verteidigungsstrategien und Sicherheitspolitik in Europa denken. Das Verständnis des Begriffs der "gemeinsamen Verteidigung" soll ebenso untersucht werden wie die Level von Unterstützung oder Opposition gegenüber einer breiten Palette möglicher Formen der gemeinsamen Militäraktivitäten bis hin zu einer gemeinschaftlichen europäischen Armee. Auch die regionalen oder nationalen Besonderheiten bei der Wahrnehmung solcher Überlegungen werden analysiert, genauso wie weitere, beispielsweise demografische Faktoren oder auch der Zusammenhang mit Berichterstattung in den Medien. Forscherinnen und Forscher aus Deutschland, Italien, Großbritannien, Frankreich, Serbien, Rumänien, den Niederlanden und der Schweiz sind an dem Projekt beteiligt.
Universität Bielefeld: Misrecognising Minorities in Europe. Challenges to Integration and Security (rd. 1 Mio. Euro)
Dass sich einzelne Gruppen aus der Gesellschaft zurückziehen oder von dieser isoliert werden, ist nicht nur menschlich problematisch. Es kann auch dazu führen, dass sie für separatistische Einstellungen oder gar radikale Ideologien anfälliger werden. Im Rahmen des Forschungsprojekts wird der Faktor der fehlenden gesellschaftlichen Anerkennung in Ausgrenzungsprozessen untersucht. Die Erfahrungen, die Betroffene hier machen, die Auslöser und Folgen sollen untersucht werden – auch mit Blick auf die Rolle, die Überwachungsmaßnahmen dabei spielen. Wann genau wenden sich die Minderheitsmitglieder aktiv gegen die Gemeinschaft und die Autoritäten? Im Mittelpunkt der Untersuchungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland, den Niederlanden, Ungarn, Großbritannien und Frankreich stehen Muslime in westeuropäischen und Roma in osteuropäischen Ländern.
Weitere bewilligte Projekte:
Universität Tübingen: Risk Sharing in the Euro Area (rd. 1 Mio. Euro)
Das Förderangebot "Herausforderungen für Europa" wurde im Sommer 2017 eingerichtet. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können für ihre kooperativen Forschungsprojekte bis zu 1 Mio. Euro für bis zu vier Jahre beantragen. Die zweite Ausschreibung wird in Kooperation mit der Compagnia di San Paolo, Turin, und der Carlsbergfondet, Kopenhagen, durchgeführt.