"Freigeist-Fellows agieren nicht im Forschungs-Mainstream" – Die Referenten der Initiative im Interview (1/2)

Seit 2014 wählt das Kuratorium der VolkswagenStiftung jährlich zehn bis fünfzehn "Freigeister" aus: Exzellente junge Forscher(innen), die den Mut zu außergewöhnlichen Perspektiven mitbringen und das Risiko eingehen, sich auf wirklich neues Forschungsterrain zu wagen. Was ist ein "wahrer Freigeist" im Sinne der Stiftung und wie wird man ein Freigeist-Fellow? Dr. Johanna Brumberg und Dr. Oliver Grewe, die für die Förderinitiative zuständigen Referenten, geben im Interview Antworten.

Die Bezeichnung "Freigeist" lässt viel Spielraum für Interpretationen. Was macht aus Sicht der Stiftung einen "echten Freigeist" aus?

Johanna Brumberg: Bewerberinnen und Bewerber um ein Freigeist-Fellowship benötigen durchaus einen gewissen Mut, sofern sie sich im Sinne unserer Förderinitiative mit ihrem Projekt auf unbekanntes und schwieriges Terrain wagen wollen – und das über einen Zeitraum von immerhin mindestens fünf Jahren. Das liegt nicht jedem Forschenden, das möchte nicht jeder und das muss auch gar nicht jeder machen. Wer sich aber zutraut, genau diesen Schritt zu wagen, ist bei Freigeist richtig.

Oliver Grewe: Grundsätzlich folgen die Freigeist-Fellowships aber nicht der Logik, etwas tun zu müssen, um in die Initiative zu passen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit ihren Projekten oder speziellen Forschungsbereichen ohnehin nicht im „Mainstream“ befinden, sondern etwas ganz Eigenes machen wollen, die sehr selbstständig und auf ihrem Gebiet besonders gut sind, und die darüber hinaus das Risiko eingehen wollen, ihr eigenes ungewöhnliches Forschungsprojekt durchzuziehen, sind potenzielle Freigeister.

Wie viele dieser Freigeister können Sie pro Jahr unter den Antragstellerinnen und Antragstellern identifizieren?

Johanna Brumberg: Wir haben nicht den Anspruch, jedes Jahr eine dreistellige Anzahl von Freigeistern zu finden. Diese Art von besonderen Forschungsprojekten ist tatsächlich ein Nischenphänomen. Aber genau für diese Nischen stehen die Mittel aus unserem Programm zur Verfügung: Wir füllen die Lücke, die in der deutschen Förderlandschaft bislang bestanden hat, um außergewöhnliche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu fördern, die an anderer Stelle vielleicht durch das Raster fallen, mit ihren Forschungsprojekten vielleicht auch anecken – und geben ihnen dadurch natürlich auch einen gewissen Vertrauensvorschuss, wo sich andere Forschungsförderer vielleicht zurückhaltender positionieren. Durch diese Ausrichtung der Initiative kommen wir auf eine Zahl zwischen 10 und 15 Personen pro Jahr.

(Hier geht es zur Übersicht aller aktuell geförderten Freigeist-Fellows.)

Dr. Johanna Brumberg und Dr. Oliver Grewe betreuen als Förderreferenten die Initiative Freigeist-Fellowships. (Foto: Daniel Kunzfeld für VolkswagenStiftung)
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Einen Musterantrag, nach dem potenzielle Antragsteller oftmals fragen, gibt es demnach nicht?

Johanna Brumberg: Die Art von Muster oder Vorgaben, die sich mancher wünscht, würde der Idee der Freigeist-Fellowships komplett entgegenlaufen. Denn Freigeist soll Freiraum bieten für die ganz eigenen Forschungsideen, für die Dinge, die sich so vielleicht noch niemand gedacht oder getraut hat zu denken. Und je standardisierter Vorgaben gegeben würden, desto mehr würden wir damit die Kreativität hemmen. Besser ist, wenn sich die Antragstellerin oder der Antragsteller von sich und ihrem bzw. seinem Forschungsschwerpunkt ausgehend überlegt: "Wie würde mein ideales Forschungsprojekt aussehen?"

Oliver Grewe: Es geht nicht um die Frage, wie man am besten in die Initiative passen kann, daher sollte man sich auch nicht die Frage stellen, wie man sich präsentieren muss, um ein Freigeist-Fellow zu werden. Und da wir keine 08/15-Anträge verlangen, bieten wir auch mehr als das Fördergeld: Das Programm bringt die Fellows in Kontakt mit Forschenden aus völlig anderen Fachrichtungen, vor allem auf den Veranstaltungen, die zu unserer Förderung gehören. Dazu zählen beispielsweise Gefördertentreffen, Medientrainings und die Fortbildung "Professionals in Science". Die zumeist noch jungen, oder extra für das Freigeist-Fellowship nach Deutschland gezogenen Forscherinnen und Forscher erhalten durch das Programm explizit Unterstützung dabei, sich besser im Universitätsdschungel zurechtfinden zu können. Diese Zusatzangebote unterstützen Forschende, die ihren eigenen Weg gehen wollen und diesen konsequent verfolgen.
 
Johanna Brumberg: Da Freigeist-Projekte neben dem Forschungsprozess auch organisatorisch besondere Herausforderungen mit sich bringen, möchten wir als Förderer, der diese Eigenschaften verlangt, auch möglichst viel Unterstützung bieten. Die überschaubare Anzahl an Fellows pro Jahr erlaubt es uns, unsere Geförderten im Projektverlauf gut zu begleiten und als Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner auch wirklich zur Verfügung zu stehen. Zugleich vernetzen wir die Geförderten eng miteinander, sodass sie sich auch gegenseitig austauschen können und von den jeweiligen Erfahrungen profitieren. Ebendieser kollegiale Austausch, die Vernetzung und die Perspektiven über das eigene Fach hinaus haben in der Vergangenheit schon mehrfach interessante Kooperationen zwischen den Geförderten entstehen lassen.

Über den Weg zum Freigeist-Antrag und den Begutachtungsprozess sprechen Johanna Brumberg und Oliver Grewe im zweiten Teil unseres Interviews.

Mehr Informationen

Der nächste Stichtag für eine Bewerbung auf ein Freigeist-Fellowship ist der 10. Oktober 2019. Hier finden Sie alle Informationen zur Förderinitiative Freigeist-Fellowships.

Dr. Johanna Brumberg betreut für die Freigeist-Fellowships die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, Dr. Oliver Grewe ist für die Natur- und Ingenieurwissenschaften sowie Medizin verantwortlich. (Foto: Daniel Kunzfeld für VolkswagenStiftung)