Förderung von Forschern im Exil: Neue Akademie sichert wissenschaftliches Potenzial
Das Institut für Turkistik der Universität Duisburg-Essen (UDE), das Kulturwissenschaftliche Institut in Essen (KWI) und das Forum Transregionale Studien in Berlin gründen gemeinsam eine "Akademie im Exil" für Wissenschaftler(innen) aus der Türkei im Exil in Deutschland. Die VolkswagenStiftung fördert die Initiative und bietet zudem ein eigenes Programm für geflüchtete Forscher(innen) in Deutschland an.
Angesichts der politischen Lage in der Türkei emigrieren türkische Wissenschaftler(innen) vermehrt ins Ausland. Besonders solche, die sich für Frieden und Wissenschaftsfreiheit einsetzen, suchen angesichts der Kriminalisierung von Regimegegner(inne)n in ihrer Heimat nach Möglichkeiten, ihre Arbeit im Ausland fortzuführen. Die "Akademie im Exil" wurde von Wissenschaftler(inne)n aus dem Umfeld der "Academics for Peace" aus der Türkei initiiert, um eine Perspektive für die Forschung im Exil zu schaffen. Zudem soll an der Einrichtung die Möglichkeit geschaffen werden, ein wissenschaftliches Programm kritischer Türkeistudien mitzugestalten.
Die Akademie wird zunächst an den Standorten Berlin und Essen aufgebaut, mit bis zu zehn Fellowships pro Jahr für gefährdete und im Exil lebende Forscher(innen). Zugleich wird sie ein Forum zur Reflexion über Wissenschaftsfreiheit und Exilwissenschaft bieten. Die Fellows, die aus den Antragsteller(inne)n für die Aufnahme in die Akademie ausgewählt werden, werden Mitglieder und tragen zur Gestaltung ihres Programms bei. Die Stipendiatenauswahl und das Forschungsprogramm werden von einem multidisziplinären Kollegium getragen und entwickelt, das sich aus Exilwissenschaftler(inne)n aus der Türkei, türkeibezogen arbeitenden Forscher(inne)n an deutschen Universitäten sowie zwei Expertinnen an US-Amerikanischen Universitäten zusammensetzt.
Neben der Perspektive, dass die Fellows über 24 Monate lang ihre Ideen und ihr wissenschaftliches Potenzial in das wissenschaftliche Leben in Deutschland einbringen, soll die Akademie auch dazu dienen, die Türkeiforschung in Deutschland insgesamt zu beleben. Auf lange Sicht soll sich die Akademie zu einer Plattform für die Erforschung von Exil und Flucht im 21. Jahrhundert entwickeln. Gefährdeten Wissenschaftler(innen) soll so die Möglichkeit gegeben werden, zu Fragen religiöser und ethnischer Vielfalt, Gender und Sexualität, zivilen Engagements für Frieden, der Demokratie und der Werte von Staatsbürgerschaft und Menschenrechten zu arbeiten. Für die "Akademie im Exil" hat die VolkswagenStiftung
900.000 Euro über eine Laufzeit von drei Jahren bewilligt
"Der Antrag von Prof. Dr. Kader Konuk wurde von einem internationalen Gremium begutachtet, das dem Projekt wissenschaftliche Exzellenz bescheinigt hat. Die Akademie wird an zwei Universitätsstandorten realisiert, die in der Wissenschaftslandschaft hohes Renommee genießen. Sie bieten ein exzellentes Umfeld für die Fellows, die von dem hochkarätig besetzten, multidisziplinären Auswahlgremium der Akademie bestimmt werden – und hier ist allein die wissenschaftliche Exzellenz der Antragstellerinnen und Antragsteller ausschlaggebend", erläutert Dr. Wilhelm Krull, Generalsekretär der VolkswagenStiftung. "Der Transfer der Forschungsergebnisse über wissenschaftliche Netzwerke im In- und Ausland, der im Rahmen der Akademie geplant ist, belebt nicht nur die Türkeistudien in Deutschland. Vielmehr bringt er auch die theoretische Auseinandersetzung mit und Grundsatzdebatten über Islamismus, Totalitarismus und ethnische Gewalt insgesamt voran."
VolkswagenStiftung bietet weitere Unterstützung für geflüchtete Wissenschaftler(innen)
Die VolkswagenStiftung unterstützt geflohene Wissenschaftler(innen) nicht nur mittelbar über die "Akademie im Exil" sondern auch unmittelbar über eigene Förderangebote bei der Wiederaufnahme ihrer forschenden Tätigkeiten in Deutschland. Seit Sommer 2016 erhalten sie stiftungsunterstützt eine Zukunftsperspektive in der deutschen Wissenschaftslandschaft, wenn sie ihre fachliche Expertise in ein Vorhaben einbringen können, das derzeit oder in den vergangenen zehn Jahren von der Stiftung gefördert wird bzw. wurde. Dadurch profitieren nicht nur die Geflüchteten, sondern auch die deutsche Hochschule, an der sie ihr Wissen und ihre Kompetenz in bestehende Strukturen einbringen.
"Hierzulande ist die Wissenschaftsfreiheit garantiert – in mehr und mehr Ländern ist dies aber nicht mehr der Fall. Vor diesem Hintergrund und auch aufgrund der Tradition der Stiftung sind wir bemüht, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Kriegs- und Krisenregionen Perspektiven zu bieten, damit sie in Deutschland arbeiten sowie ihr Wissen und ihre Kompetenz in unsere Hochschulen einbringen können", betont Dr. Wilhelm Krull, Generalsekretär der VolkswagenStiftung.
Das "Förderangebot für geflohene Wissenschaftler(innen)" umfasst zwei Module:
Innerhalb des "Stipendienprogramms für Gastwissenschaftler(innen)" können (ehemalige) Geförderte eine Forscherin oder eine Forscher bis zu zwei Jahre lang in ihren Arbeitskontext einbinden. Die Stiftung unterstützt finanziell entsprechend der Laufzeit der Einbindung, der Karrierestufe sowie dem Familienstand des Wissenschaftlers oder der Wissenschaftlerin.
Alternativ besteht für Wissenschaftler(innen), die momentan in einem Vorhaben durch die VolkswagenStiftung unterstützt werden, die Möglichkeit, im "Zusatzmodul für derzeit in der Förderung befindliche Projekte" weitere Mittel für bis zu drei Jahre zu beantragen. In Ergänzung zu ihrem bestehenden Projekt können sie mit den zusätzlichen Geldern geflohene Wissenschaftler(innen) darin integrieren. Hier beträgt die maximale Fördersumme 200.000 Euro (Personal- und Sachmittel) über eine Laufzeit von bis zu drei Jahren.
Beide Module im "Förderangebot für geflohene Wissenschaftler(innen)" stehen grundsätzlich Wissenschaftler(inne)n aller Qualifizierungsstufen (Doktorand(inn)en, Postdoktorand(inn)en, etablierten Wissenschaftler(inne)n) offen. Es gibt keinen Stichtag, Anträge sind jederzeit möglich. Bislang profitierten bereits elf geflohene oder vertriebene Wissenschaftler(innen) von dem Angebot: Insgesamt 1,4 Mio. Euro bewilligte die Stiftung für die Einbindung ihrer Vorhaben in bestehende und bereits stiftungsgeförderte Projekte bislang.
Link zu allen Informationen zur Antragstellung für Zusatzmittel.
Link zur Kurzübersicht über einige bereits bewilligte Förderprojekte.
Besondere Fördermöglichkeit für Wissenschaftler(innen) in Niedersachsen
Die dritte Option, die die VolkswagenStiftung zur Integration ausländischer Wissenschaftler(innen) in die deutsche Wissenschaftslandschaft bietet, realisiert sie über ihre Mittel aus dem Niedersächsischen Vorab. Innerhalb der Ausschreibung "Wissenschaft.Niedersachsen.Weltoffen" können Forscher(innen), die aus Kriegs- und Krisengebieten geflohen sind oder vertrieben wurden, in Niedersachsen eine vorübergehende Forschungs- und Beschäftigungsperspektive erhalten. Es werden Mittel bereitgestellt, die niedersächsische Hochschulen und Forschungseinrichtungen für dreijährige Stipendien für Geflüchtete einwerben können, um sie als Gastwissenschaftler(innen) zu beschäftigen.
Die Stipendien dienen einerseits der Überbrückung der akuten Notlage der Geflüchteten und andererseits ihrer wissenschaftlichen Weiterqualifizierung – beispielsweise für das deutsche Wissenschaftssystem oder eine Beschäftigung außerhalb der Wissenschaft. Anträge können bis zum 15. November 2017 beim Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur eingereicht werden, eine Beschäftigung der ausländischen Forscher(innen) ist bis zu 36 Monate möglich.
Wilhelm Krull bezieht Stellung zur Bedeutung der Wissenschaft im globalen Kontext
In einigen Ländern wie Ungarn, Polen und insbesondere in der Türkei, wandeln sich derzeit die einst demokratisch gewählten Regierungen teilweise in autokratische Regime um – berichtet Dr. Wilhelm Krull in der wöchentlich erscheinenden Online-Publikation University World News. Er beschreibt, wie diese Regierungen auf verschiedenen Ebenen die akademische Freiheit beschränkten und grundlegende Menschenrechte verletzten. Zudem würden Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung ausländischer Mitarbeiter und Studenten von extremistischen Parteien angeheizt, die mittlerweile in Parlamenten von Frankreich, Belgien und den Niederlanden bis nach Dänemark, Schweden und Finnland, aber auch in Österreich und Deutschland vertreten sind.
Für den akademischen Bereich befindet Krull es als wichtig, durch verschiedene Schritte und Maßnahmen das generelle Vertrauen in die wissenschaftliche Expertise und in die Arbeitsweise zurück zu gewinnen. Die größte Herausforderung sieht er darin, jene Menschen zu erreichen, die offensichtlich in ihren selbstbejahenden Netzwerken und Echokammern sitzen und wissenschaftliche Expertisen grundsätzlich anzweifeln. Seine vollständige Analyse lesen Sie hier.
Tina Walsweer