Faszination mit Hindernissen
Nach dem ersten Abend in Zusammenarbeit mit dem Institut für Europäische Geschichte (IEG) Mainz, an dem am 5. November der Nahe Osten im Fokus stand (Link: Zum Veranstaltungsbericht), wurde nun mit China ein weiterer Schwerpunkt der deutschen Auslandsberichterstattung diskutiert. Aus erster Hand erzählten Astrid Freyeisen, ehemalige ARD-Hörfunkkorrespondentin in China und Wirtschaftsredakteurin beim Bayerischen Rundfunk, und die frühere ZDF-Chinakorrespondentin Gisela Mahlmann von ihrer Arbeit . Dass nicht nur Journalisten mit Schwierigkeiten bei der Informationsbeschaffung im Land zu kämpfen haben, erläuterte der Wissenschaftler und China-Experte Prof. Dr. Daniel Leese von der Universität Freiburg. Wie bei der ersten Veranstaltung führten Prof. Dr. Johannes Paulmann und Dr. Bernhard Gißibl vom IEG als Moderatoren durch den Abend.
Hartnäckig sein, Fragen stellen
Warum sie selbst von China so fasziniert sind, wollte Gißibl von seinen Gästen wissen. "Der Zufall", gab Leese zur Antwort. In der Schulzeit hatte er einen chinesischen Bekannten; zum Spaß wählte er im Studium Sinologie als Nebenfach. Dann kam der erste Besuch in China. "Die Offenheit der Menschen hat mich begeistert", sagte der Wissenschaftler. Das ging auch Astrid Freyeisen so. Nach einem Auslandsjahr hatte die junge Journalistin nur noch ein Ziel: Als Korrespondentin aus dem Reich der Mitte zu berichten.
Gisela Mahlmann, die mit ihren Eltern eine Zeit lang in Indien lebte, ließ eine kleine Agenturmeldung 1966 nicht mehr los: China brauche zum ersten Mal keine Getreidehilfe aus dem Ausland, hieß es. "Da fragte ich mich, warum schaffen das die Chinesen und die Inder nicht?", erzählte die 69-Jährige von der geweckten Lust, das Land näher kennenzulernen. In zahlreichen Reportagen vermittelten die beiden Frauen der deutschen Öffentlichkeit Jahre später ein Bild von China, das jenseits der Metropolen wie Shanghai oder Peking ein ganz anderes ist. "Mir lagen immer auch die Menschen auf dem Land am Herzen", sagte Mahlmann. In einem Land wie China war ihre Hartnäckigkeit von besonderem Vorteil – genauso wie ihre Sprachkenntnisse, die sie öfter vor falschen Übersetzungen der Dolmetscher bewahrten.
Angst um Informanten
"Schon 1974, als ich das erste Mal nach China kam, mussten wir im Bus unsere Kameras verstecken", erzählte die Journalistin. Trotzdem konnte sie einige Filmschnipsel erzeugen, die in Deutschland gesendet wurden. "Es gab ja sonst kaum Bilder", sagte Mahlmann. Ihr gelang es in ihrer späteren Korrespondentenzeit (1988 - 1994) auch immer wieder, normale Chinesen über ihren Alltag zu befragen. Die Informationsbeschaffung sei nicht immer leicht gewesen. "Man muss Augen und Ohren offen halten und die kleinen regionalen Zeitungen lesen, die nicht so im Fokus der Zensur stehen". In einem solchen Blatt sei sie etwa auch in den 90ern auf einen Artikel gestoßen, der unverblümt von den Folgen der Ein-Kind-Politik erzählte: Von Mädchen, die nach der Geburt direkt in Brunnen geworfen und getötet wurden.
Dass sich an der Informationsbeschaffung – das Internet mal ausgenommen – auch später nicht viel geändert hat, erzählte Astrid Freyeisen. Und genauso wenig verändert habe sich das Problem, Informanten und Interviewpartner zu schützen, gegen die der Staat wie im aktuellen Fall der Journalistin Gao Yu mit großer Härte vorgeht. Als Beispiel erwähnte Freyeisen ein Interview mit einem uigurischen Journalisten im Jahr 2009 während der Unruhen in der Region Xinjiang, bei dem sie sich sicher gewesen seien, dass der Kollege wegen guter Kontakte zur Provinzregierung nicht in Gefahr gerate. Trotzdem wurde er zu 15 Jahren Haft verurteilt. "Das ist dann persönlich schon eine Last", sagte Freyeisen, die seit dem Urteil mit Briefen an die Kanzlerin und das EU-Parlament um Unterstützung für den Kollegen wirbt.
Geschichtsquellen vom Flohmarkt
Auch Leese weiß um die Notwendigkeit, Informanten zu schützen. Denn ebenso sei für Historiker die Arbeit in China in letzter Zeit deutlich schwieriger geworden. Seit vor einigen Jahren eine Mao-Biografie Aufsehen erregte, habe die Staatsmacht verstanden, dass auch mit wissenschaftlichen Büchern eine große Wirkung erzielt werden könne, berichtete der Forscher, der sich aktuell mit der brisanten Rolle der Justiz nach der Kulturrevolution beschäftigt.
"Früher hätte man bei einem solchen Thema auch an offizielle Stellen herantreten können, das ist heute nicht mehr möglich", berichtete Leese. Glücklicherweise kann der Wissenschaftler aber auf ein eigenes Archiv zurückgreifen, das er während seiner Zeit als Reiseleiter durch Käufe auf Flohmärkten und in Antiquariaten im ganzen Land aufgebaut hat. Wie bei Journalisten gebe es auch bei Wissenschaftlern konspirative Treffen in Hinterhöfen – die nicht immer folgenlos bleiben, wie der Fall von zwei jüngst verhafteten Kollegen Leeses zeigt. "Inzwischen ist der Ausländerbonus, den wir lange Zeit hatten, deutlich geringer geworden", sagte Leese. Die Arbeitsweise von Journalisten und Wissenschaftlern ist mittlerweile also ziemlich ähnlich – ähnlich schwierig. In der nächsten Veranstaltung des Forums für Zeitgeschichte EXTRA geht es am 14. Januar 2015 um 19 Uhr im Schloss Herrenhausen um die Berichterstattung vom Schwarzen Kontinent: "Afrika – Augenzeugen, Übersetzer, Zeitzeugen". Stephan Fuhrer