Experimentierfeld Museum

Neue Zugänge für altes Denken? Mit der Veranstaltung "Internationale Perspektiven auf Museen, Islam, Inklusion" am 4. September im Museum für Islamische Kunst im Pergamonmuseum, Berlin, kommt eines der großen Museumsprojekte der Stiftung zum Abschluss.

40 Museen in Kanada, Großbritannien, Frankreich, den USA und den Niederlande, in Schweden, Italien, Ägypten, Katar und auch innerhalb Deutschlands hat das Forscherinnen-Duo Dr. Susan Kamel und Christine Gerbich, beide Freie Universität Berlin, in den vergangenen fünf Jahren besucht. Das Ziel ihrer Reisen? "Wir wollten herausfinden, wie Museen den Bedürfnissen ihres Publikums besser Rechnung tragen können und welche neuen Inhalte die Häuser präsentieren müssen, um attraktiver zu werden", sagt Susan Kamel. Ihr spezielles Interesse galt dabei der musealen Darstellung und Vermittlung von Kunst und Kultur islamisch geprägter Länder. "Im Besonderen hat uns daher interessiert, wie unterschiedliche Museen in den verschiedenen Ländern islamische Kunst und Kultur bislang aus- und dargestellt haben und wie sich dies besser machen ließe", fügt Forscherkollegin Christine Gerbich hinzu. Besser und attraktiver vor allem mit dem Ziel, die Interessen und Erwartungen der Besucher stärker zu berücksichtigen – sodass letztlich auch "Nicht-Museumsaffine", wie die Wissenschaftlerinnen es formulieren, ihren Weg in die Ausstellungen finden: etwa junge deutsche Muslime.

Eine neue Medienstation für die Samarra-Ausstellung
Susan Kamel (links) und Christine Gerbich in der Ausstellung "Samarra" im Pergamonmuseum in Berlin am 27.09.2013. Auf dem Sofa haben sie Gspräche und Interviews für ihre Studie und Evaluation geführt. Im Hintergrund "Die Fassade des Palastes von Mschatte aus Jordanien (8. JH.). (Foto: Daniel Pilar für VolkswagenStiftung)

Eine zentrale Erkenntnis, die die Forscherinnen aus ihren wissenschaftlichen Betrachtungen destillierten: "Die Museen, die islamische Kunst zeigen, erscheinen ästhetisch weitgehend gleichgeschaltet", sagt Kamel. "Sie arbeiten meist nach dem 'White-Cube-Prinzip', das die Exponate für sich sprechen lässt." Die beiden Frauen bezeichnen es als Glücksfall, dass sie für ihre Forschung mit dem Museum für Islamische Kunst in Berlin kooperieren konnten. Ein konkretes Ergebnis ihrer Arbeit findet sich etwa in der Ausstellung über Samarra; einst aufwendig angelegte, riesige Palaststadt im islamischen Großreich, die doch nur wenige Jahrzehnte im 9. Jahrhundert Hauptstadt sein sollte. Die – inzwischen als Dauerausstellung etablierte – Schau beherbergt neben Stucken und anderen archäologischen Funden jetzt auch eine "Medienstation": Sieben kurze Filme blättern Fach- und Alltagswissen auf. So erzählt ein Historiker aus dem heutigen Samarra, wie sich das Leben dort verändert hat; eine exilirakische Familie in Berlin berichtet von – nunmehr touristischen – Besuchen der riesigen spiralförmigen Moschee; die Kuratorin und der Museumsleiter referieren, warum Samarra im Jahr 833 am Tigris gegründet wurde und Bagdad über einen Zeitraum von mehr als fünfzig Jahren als Hauptstadt eines Weltreichs auf Zeit ablöste. Oder sie informieren über die Kunst der damals herrschenden Abbasiden. Die Filme fußen auf Gesprächen, die Christine Gerbich im Museum für Islamische Kunst auf dem "Museumsdiwan" führte. Auf das Sofa bat sie Experten und Laien zum Interview – darunter auch Besucher vor deren Besichtigung der Ausstellung. Deutlich wurden beispielsweise die Vielfalt unterschiedlicher Motivationen für einen Museumsbesuch oder die Erwartungen von Menschen mit beziehungsweise ohne persönliche Bezüge zur Region des Nahen und Mittleren Ostens – und was jeder von dem Besuch mitnahm. Gerbich lud ferner zu Diskussionsrunden ein, um ein breites Meinungsspektrum in die Videos einzubinden. Die Erkenntnisse schließlich wurden eingespeist in eigene beispielhafte Konzeptionen: die "fünf Experimente". 

Die fünf Experimente
Susan Kamel (links) und Christine Gerbich diskutieren über die Bedienerführung der Medienstation in der Ausstellung "Samarra" im Pergamonmuseum in Berlin. (Foto: Daniel Pilar für VolkswagenStiftung)

In diesen fünf von ihnen so bezeichneten "Experimenten" haben die beiden Frauen neue Formen des Sammelns und Kuratierens selbst erprobt, sich aber auch an anderen Formaten wie beispielsweise Lehrmaterialien versucht. Eine zentrale Rolle spielte im Jahr 2011 die "Labor-Ausstellung NeuZugänge" im Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg. Um ihre Sammlungen einmal neu zu lesen und die Perspektive zu wechseln, sollten die vier daran beteiligten Museen – des Weiteren noch das Stadtmuseum Berlin, das Werkbundarchiv Museum der Dinge sowie das Museum für Islamische Kunst – jeweils zwei Objekte beisteuern. Und zwar solche, die bislang unbeachtet geblieben waren und eine Geschichte erzählen über Migration und kulturelle Vielfalt. Wie zum Beispiel jener Wecker in Gestalt einer Moschee. Um darüber hinaus Leerstellen der Ausstellung zu füllen, steuerten Hauptstadtbewohner mit Migrationshintergrund je ein privates Objekt bei; eine Einwanderin aus Uruguay überließ den Initiatorinnen eine Küchenmaschine für die Zubereitung von Gnocchi – sie hatte das Gerät von ihren italienischen Großeltern geerbt. Die Besucherinnen und Besucher ihrerseits konnten die Schau im Kreuzberg-Museum auf Plakaten kommentieren – auch so generieren sich Erkenntnisse für die Forschung.

Internationale Kooperationen
Susan Kamel (rechts) und Christine Gerbich diskutieren über die Bedienerführung der Medienstation in der Ausstellung "Samarra". (Foto: Daniel Pilar für VolkswagenStiftung)

Den internationalen Charakter des Projektes illustrieren unterdessen die beiden weiteren Ausstellungen, die das Forscherinnen-Duo im Zuge ihrer "Experimente" kuratiert hat. Sowohl die in Kooperation mit anatolischen Museen entstandene Schau "Königreich Anatolien" als auch die Fotoausstellung "Schuhgröße 37. Frauenfußball in Ägypten, Palästina, der Türkei und Berlin" waren im Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg zu sehen. "Wir haben für das Fußballprojekt bewusst den Berliner Verein Türkiyemspor ausgesucht", erzählt Kamel. "Man könnte denken, es reduziert sich auf das Thema 'Frauen mit Kopftuch spielen Fußball'." Aber es sei in viel umfassenderem Sinne um die Emanzipation von Frauen durch Sport hierzulande gegangen.

Wie ein roter Faden zieht sich durch das Projekt, dass die beiden Forscherinnen ganz praxisnah eines im Blick hatten: "Wir wollten ganz grundsätzlich darauf hinwirken, dass sich die 'Institution Museum' viel kraftvoller öffnet als das bislang weithin der Fall ist", sagen beide unisono. Spürbar wird dabei auch: Es sind die "verwobenen Kulturgeschichten", die Gerbich und Kamel interessieren, nicht die nationalen. Das Vorhaben "Experimentierfeld Museologie: Ein Projekt zur Vermittlung islamischer Kunst- und Kulturgeschichten" wurde in der Initiative "Wissenschaftsvermittlung und -kommunikation" von der VolkswagenStiftung gefördert.

Abschlussveranstaltung in Berlin
Susan Kamel und Christine Gerbich Susan Kamel (Mitte) und Christine Gerbich (links) zu Besuch im Archäologischen Zentrum bei der Textilrestauratorin Anna Beselin. Hier informieren sie sich über türkische, persische und Holbein Teppiche. (Foto: Daniel Pilar für VolkswagenStiftung)

Nach fünf Jahren, fünf Experimenten und fünf ganz unterschiedlichen Publikationen, die aus dem Projekt hervorgegangen sind, kommt das vielschichtige Vorhaben am 4. September mit der Abschlussveranstaltung "Experimentierfeld Museum. Internationale Perspektiven auf Museen, Islam und Inklusion" zu einem Ende. An diesem Termin wird gleichzeitig das soeben erschienene fünfte und letzte Buch vorgestellt. Zur Sprache kommen dabei gleichermaßen neue Methoden als auch Konzepte aus Sammlungs- und Besucherforschung. Wie könnten neue Formen des Sammelns, Forschens und Vermittelns aussehen? Sollten Sie die Veranstaltung als Journalist/in  besuchen wollen, erhalten Sie weitere Informationen unter s.kamel@gmx.de / cgerbich@gmx.de.