Der Wert der Tiere
Welche Antworten hat die Theologie auf Fragen zur Bedeutung von Tieren für Mensch und Welt?
Der Tod von Tieren gewinnt als Thema zunehmend an Bedeutung: Das Artensterben beschäftigt Wissenschaft und Umweltschützer, eine industrielle Tierhaltung und -schlachtung von kaum vorstellbaren Ausmaßen stellt immer mehr Menschen bei ihrer Nahrungsmittelwahl vor moralische Fragen. Wie beeinflusst die Theologie dabei unser Verhältnis zu Tieren, welche Antworten hält der Glaube bereit?
Dr. Simone Horstmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Katholische Theologie der Technischen Universität Dortmund, hat solche Zusammenhänge im Rahmen ihres einjährigen Forschungsprojekts "Konturen einer Animalogie. Erkundigungen über die Diskursfähigkeit der Theologie im Angesicht der Tiere" untersucht. Sie wurde dabei von der VolkswagenStiftung im Rahmen der Initiative "Originalitätsverdacht? – Neue Optionen für die Geistes- und Kulturwissenschaften" gefördert.
Nun veröffentlicht sie erste Ergebnisse ihrer Studien in der Publikation "Was fehlt, wenn uns die Tiere fehlen? Eine theologische Spurensuche" (Verlag Friedrich Pustet). Horstmann fragt darin nach einem Wandel des Stellenwerts von Tieren, die in der antiken Welt noch einen gottgleichen Status hatten – und inzwischen in vielen Zusammenhängen nur noch als Objekte wahrgenommen werden.
Sie sucht nach den Ursachen des zugleich wachsenden Unbehagens angesichts des Sterbens von Tieren: von der ethischen Verunsicherung gegenüber skrupelloser Ausbeutung von Lebewesen bis zur existenziellen Angst vor dem Kippen ökologischer Systeme. Tiere seien in der Theologie fast unsichtbar, lautet ihre These. Dort sei ihr moralischer Status auch deshalb ungeklärt, weil ihnen sehr lange keine "Vernunftseele" und damit kein vollwertiges Leben zugestanden wurde.
Damit einher gehe der Verlust von Ewigkeitsfähigkeit und Erlösungsbedürftigkeit, so Horstmann. Also müsse in theologischen Zusammenhängen nach dem Verständnis der "Lebendigkeit" von Tieren gefragt werden. Schließlich kenne die Dogmatik, also die wissenschaftliche Darstellung der christlichen Glaubenslehre, zwar mit der Anthropologie eine Lehre vom Menschen, aber keine Animalogie: als eine Lehre vom Lebendigen oder Beseelten und damit auch von den Tieren. (Im Lateinischen bedeutet anima "Seele" und "animal" steht für Tier – eine Animalogie würde also auch sprachlich beides einschließen.)
Der jetzt erscheinende Band "Was fehlt, wenn uns die Tiere fehlen?" ist Horstmanns Auftakt einer öffentlichen Auseinandersetzung mit dem skizzierten Themenkomplex. In der ersten Jahreshälfte 2021 sollen zunächst zwei weitere Veröffentlichungen im Verlag transcript folgen, in denen die Forscherin als Herausgeberin gemeinsam mit weiteren Autorinnen und Autoren Aspekte ihrer Fragestellungen interdisziplinär erweitert. In "Religiöse Gewalt an Tieren" soll eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem "Verhältnis von Religion, Speziesismus und Gewalt" stattfinden – und somit die Anschauung hinterfragt werden, der Mensch sei allen anderen Lebewesen überlegen. In "Interspezies Lernen" soll es um "Grundlinien interdisziplinärer Tierschutz- und Tierrechtsbildung" gehen – also um die Frage, wie Tierrechte in verschiedenen Lehr- und Unterrichtszusammenhängen vermittelt werden können.
Abschließen will Horstmann die Publikation ihrer Forschungsergebnisse dann noch mit einem Band, der die Animalogie als solche in den Mittelpunkt stellt. Damit verfolgt die Autorin keinen geringen Anspruch, als der Theologie eine ergänzende Lehre von den Tieren nahezulegen.
Thomas Kaestle