"Der Kampf um Drittmittel schadet der wissenschaftlichen Kreativität" 

Zum letzten Mal begrüßte Wilhelm Krull am 12. und 13. Dezember 2019 die Spitzen des Wissenschaftssystems und der -politik als Generalsekretär der VolkswagenStiftung. Im Gespräch mit der Zeitschrift Forschung skizziert Krull, welche Impulse er sich von dieser Tagung erhofft.

Nach 24 Jahren gibt Wilhelm Krull das Amt des Generalsekretärs der VolkswagenStiftung ab. Sein Nachfolger wird zum 1. Januar 2020 Georg Schütte, zuletzt Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Vom 12. bis 13. Dezember 2020 versammelten sich auf Einladung Wilhelm Krulls und der VolkswagenStiftung noch einmal die Spitzen des Wissenschaftssystems und der -politik zu einem Symposium in Hannover, um eine kritische Rückschau auf zwei Jahrzehnte Forschungsförderung zu halten, vor allem aber, um Konzepte für die Zukunft zu entwerfen.

In einem Gespräch mit Wolff-Dietrich Webler, dem Herausgeber der Zeitschrift "Forschung", hat Wilhelm Krull seine Erwartungen an die Tagung umrissen: Sie solle die unbestrittenen Erfolge in der Forschungsförderung würdigen, aber auch Schwächen klar benennen, etwa den über Jahrzehnte akkumulierten Sanierungsstau in den Hochschulen. Zudem stelle sich die Frage, ob es nicht "an der Zeit wäre für eine unabhängige Systemevaluation. Sie könnte, wenn gut gemacht, zusätzliche Impulse für die Weiterentwicklung der deutschen Wissenschaft geben." Darüber hinaus erhofft sich Krull vor allem "Lösungsvorschläge und Handlungsoptionen für die 2020er Jahre".

Forscherinnen und Forscher müssten sich gegenüber der Gesellschaft weitaus stärker öffnen als bisher, so Wilhelm Krull im Vorfeld der Tagung "Pakte, nichts als Pakte ..." (12.-13.12.2019, Hannover) (Foto: Isabel Winarsch für VolkswagenStiftung)

Besorgt zeigt sich Wilhelm Krull im Gespräch mit "Forschung" über das wachsende Misstrauen gegen die etablierten Eliten. Dies habe dazu geführt, dass immer mehr Menschen Zweifel an der Unabhängigkeit der Forschung hegten. Wissenschaftsskepsis und antidemokratische Tendenzen setzten auch die Wissenschaftsfreiheit zunehmend unter Druck. Sie müsse, so Krull, immer wieder neu verhandelt werden: "Das bedeutet vor allem für die Forscherinnen und Forscher, dass sie sich gegenüber der Gesellschaft weitaus stärker, als das bisher der Fall ist, öffnen müssen. Dies setzt die Bereitschaft voraus, die Öffentlichkeit nicht nur mit klugen Vorträgen im Sinne eines Sender-Empfänger-Modells zu traktieren, sondern gerade auch für Aushandlungsprozesse über neue Prioritätensetzungen und für offene Gesprächssituationen zur Verfügung zu stehen. Das bedeutet auch, gegenüber einer kritischen Öffentlichkeit immer wieder bereit zu sein, die Möglichkeiten und Grenzen des eigenen Forschens zu erläutern. Wenn, wie dies in immer mehr Ländern der Fall zu sein scheint, die Erwartung vorherrscht, dass höhere Qualität und zugleich immer schnellere Ergebnisse bereitgestellt werden sollen, dann ist es an der Zeit, auf die Notwendigkeit des konzentrierten und inspirierten Forschens hinzuweisen. Nur mit einer von großem Vertrauen getragenen Kultur der Kreativität werden wir in der Lage sein, die elementaren Herausforderungen unserer Zeit auch nur annähernd zu bewältigen."

Compliance statt Kreativität 

Kritisch setzt sich Krull mit der Drittmittelabhängigkeit der Forschung auseinander. Sie werde begleitet von einem stetigen Aufwuchs an administrativ-organisatorischen Rahmenbedingungen und ausgefeilter Indikatorik, die die Gestaltungsräume nicht nur der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern auch der Hochschulleitungen immer weiter einschränkt: "Statt Kreativität zu fördern und Freiräume dafür auszuweiten, wird immer mehr das Stichwort 'Compliance' zur Richtschnur des Handelns sowohl innerhalb als auch außerhalb der jeweiligen Institutionen."

An dieser Stelle wünscht sich Krull ein entschiedeneres Gegensteuern des Wissenschaftssystems, auch eine Überwindung der "politischen Enthaltsamkeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die mittlerweile geradezu absurde Formen angenommen" habe. Krull: "Die entscheidende Herausforderung für Universitätsleitungen besteht meines Erachtens darin, dass sie in der Lage sind, ihre Institutionen so weiterzuentwickeln, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darin die nötige Zeit und Muße finden, ihre Themen gründlich zu durchdenken und originelle Ansätze zu finden, ohne sich dabei unter dem Druck zu sehen, möglichst viel und möglichst schnell zu publizieren und – dabei vorsätzlich oder versehentlich – Fehler zu machen, die der Reputation der jeweiligen Universität und letztlich der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft insgesamt schaden. Ein allzu harter Kampf um Förder- und Drittmittel, wie er von der Politik und von vielen Hochschulleitungen heutzutage gefordert wird, ist dabei ebenso schädlich wie ein von Misstrauen und strengen Kontrollen durchzogenes Regulationssystem. Um wirklich kreativ sein zu können, brauchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen hohen Vertrauensvorschuss, eine wettbewerbsfähige Infrastruktur und einen offenen Zeithorizont."

Das ganze Gespräch zwischen Wilhelm Krull und Wolff-Dietrich Webler von der Zeitschrift Forschung über den Handlungsbedarf in der deutschen Hochschul- und Forschungspolitik lesen Sie hier im PDF-Download.

Blick ins Tagungszentrum Schloss Herrenhausen in Hannover (Eberhard Franke für VolkswagenStiftung)