Das Wissenschaftssystem von unten verbessern?
Die Initiative "Pioniervorhaben – Impulse für das Wissenschaftssystem" ist für die Stiftung ein Experiment: Lässt sich das deutsche Wissenschaftssystem durch Einzelprojekte von unten in bedeutender Weise positiv beeinflussen? Eine kleine Auswahl bewilligter Projekte zeigt die Vielfalt der Ideen.
Das Angebot "Pioniervorhaben – Impulse für das Wissenschaftssystem" erfreut sich großer Beliebtheit. Im Jahr 2023 wurden aus 135 Skizzen 32 zur Vollantragstellung eingeladen und daraus zehn Projekte zur Förderung ausgewählt. Wie vielfältig die eingereichten Ideen sind, zeigt die beispielhafte Auswahl der folgenden Projekte unter dem Schlagwort Open Science.
Mehr Laborversuche dank des Internets der Dinge
Dr.-Ing. Harald Roclawski von der RPTU Kaiserslautern will im Rahmen seines Projekts "Digital laboratory classes for cooperative education of students from different universities" mithilfe des Internets der Dinge (Internet of Things, IoT) Studierenden mehr Laborversuche und das hochschulübergreifend ermöglichen. Diese sind zentral, aus Zeit- und Kostengründen jedoch sehr begrenzt und häufig nur für Studierendengruppen anstatt Individuen möglich. Mithilfe vieler über das Internet verbundener Geräte sollen digitale Zwillinge von Laborversuchen mittels IoT-Plattformen über einen Webbrowser gesteuert, erweitert und komplexer gestaltet werden können. Im Anschluss wird untersucht, inwiefern die Durchführung der Versuche mit dem IoT-System zu einem verbesserten Verständnis der Studierenden beigetragen hat.
Open Science Hardware für reproduzierbare Ergebnisse
Das Projekt Open Science Hardware Instrumente für wissenschaftliche Experimente von Prof. Dr. Dirk Reichelt (HTW Dresden) und Prof. Dr.-Ing. Steffen Ihlenfeldt (TU Dresden) fokussiert die breitere Nutzung freier und offener Hardware in der Wissenschaft (Open Science Hardware, OSH). Im Gegensatz zu klassisch produzierter Hardware für wissenschaftliche Aufgaben sind die OSH-Lösungen frei verfügbar und können von den Nutzer:innen weiterentwickelt und modifiziert werden. Sie erlauben ein tieferes Verständnis der zugrundeliegenden Handlungs- und Messprinzipien, was zu einem besseren Verständnis ihrer Möglichkeiten und Grenzen führt. Ihre Herstellung kann lokal erfolgen, Experimente und Messungen werden durch den Einsatz von OSH reproduzierbar und nachvollziehbar und natürlich können Nutzer:innen von Open Science Hardware auch eigene Experimente mit der geteilten Hardware entwerfen.
Open Research im Alltag umsetzen
Open Research Praktiken (ORP) werden im Forschungsalltag noch sehr begrenzt eingesetzt. Das wollen Dr. Malika Ihle vom LMU Open Science Center und Prof. Dr. Felix Schönbrodt (LMU) mit ihrem Projekt "From local to systemic implementation: Embedding open research in institutional practices" ändern. Dafür wollen sie zwei Programme initiieren: das erste soll Forschungsgruppen beim Übergang von geschlossenen zu offenen Arbeitsabläufen anleiten. So soll u.a. ein Leitfaden für die offene Forschungspraxis verfasst werden, der als Onboarding-Dokument für neue Teammitglieder verwendet werden kann. Das zweite Programm soll die Teilnehmenden in die Lage versetzen, Ausbilder:innen für ORP zu werden. Hier soll systematisch ein lokales Umfeld geschaffen werden, das eine Verhaltensänderung begünstigt, um die weit verbreitete Einführung von ORP zu fördern und einen systemischen Wandel auf Hochschulebene zu erreichen.
Coden ohne Coding-Wissen
Die Universitätsmedizin Göttingen fokussiert sich in ihrem Projekt "Digital Health Interventions without Coding (DioCo)" auf die Medizin. Das Team um Prof. Dr. Eva Hummers will eine sog. No-Code Plattform aufbauen, mit denen Praktiker:innen ohne tiefere IT-Kenntnisse komplexe mHealth Apps für ihre Forschungsprojekte entwickeln und für die klinische Forschung nutzen, mit anderen Forscher:innen teilen und im Forschungsprozess selbst anpassen können.
Zum Förderangebot
Mit dem 2021 gestarteten Angebot "Pioniervorhaben – Impulse für das Wissenschaftssystem" möchte die Stiftung praxisbezogene Vorhaben fördern, die das Wissenschaftssystem pragmatisch und lösungsorientiert verbessern wollen. So sollen perspektivisch Ressourcen effizienter eingesetzt werden sowie die konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit von Wissenschaft und Verwaltung vorangetrieben werden. Kurzum soll das Angebot die Möglichkeit bieten, eine Idee in einem definierten Rahmen einfach auszuprobieren. Ganz bewusst werden damit nicht nur Wissenschaftler:innen, sondern auch Wissenschaftsmanager:innen als Antragstellende adressiert.
Auswahlverfahren der Pioniervorhaben
Eine kurze dreiseitige Projektskizze soll die Möglichkeit bieten, der Stiftung die eigene Idee im Kern vorzustellen. Sehr wichtig ist die präzise Beschreibung des geplanten Vorgehens: Wer als Pionier:in etwas machen möchte, was noch nie so gemacht wurde, muss genau erklären, wie er oder sie das machen will – denn wenn es wirklich neu ist, kann es nicht selbsterklärend sein. Die Stiftung entscheidet dann, ob die Idee zur Ausschreibung passt und erbittet in diesem Fall einen ausgearbeiteten Antrag. Dieser wird dann durch ein interdisziplinäres Panel begutachtet, und auf der Basis der Empfehlungen des Panels werden durch das Kuratorium der VolkswagenStiftung die Förderentscheidungen getroffen.