Das unterschätzte Gespräch mit Politik und Gesellschaft
Vor 20 Jahren begann die Wissenschaft mit dem PUSH-Memorandum ihren Dialog mit der Öffentlichkeit und ist längst nicht am Ziel.
Auf Einladung des Stifterverbandes hatten sich am 27. Mai 1999 rund 200 Gäste in Berlin eingefunden. Sie kamen zur feierlichen Unterzeichnung eines Memorandums, in dem sich die größten Forschungsorganisationen des Landes nachdrücklich verpflichteten, den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft in Gang zu bringen.
Die Inspiration dafür kam aus Großbritannien. Dort hat der Austausch von Fachleuten und Laien unter dem Oberbegriff "Public Understanding of Science" (PUS) eine lange Tradition, "seit 1831", wie ein Gastredner aus dem Königreich nicht ohne Stolz behauptete. So etwas wollten die Wissenschaftsgestalter in Deutschland auch haben: ein Aktionsprogramm, das Forscher in den Austausch mit vielschichtigen Zielgruppen bringt.
PUSH (das importierte Akronym wurde im deutschen Kontext um ein "H" für "Humanities" ergänzt) war die Aufforderung an die deutsche Wissenschaft, durch freiwillige Selbstauskunft darzulegen, wie sie Fördermilliarden in wegweisende Forschung, Innovationen, Ausgründungen und Patente zum Wohle der Allgemeinheit einsetzt. "Je mehr die Wissenschaften individuell spürbar die Bedingungen des Lebens verändern", hieß es im Memorandum, "umso mehr sind auch sie aufgefordert, solche Veränderungen öffentlich zu rechtfertigen, ja sogar vorausschauend öffentlich zu diskutieren." Eine aktive Öffentlichkeitsarbeit sollte einerseits das Ansehen der Wissenschaft polieren, andererseits die hartnäckig risiko-aversen Deutschen für risiko-reiche Zukunftsforschung einstimmen (was kurz darauf im Fall der grünen Gentechnik allerdings gründlich danebenging).
Dass die konzertierte Transparenzoffensive auf Widerspruch stoßen würde, war den Initiatoren klar. Um die Akzeptanz zu erhöhen, verhieß das Memorandum deshalb ein Belohnungssystem. Wissenschafts-PR sollte sogar als weiteres Reputationsmerkmal etabliert und bei der Vergabe von Fördermitteln positiv berücksichtigt werden. "Große Aufbruchsstimmung" diagnostizierte der damalige Generalsekretär des Stifterverbandes in seinem Schlusswort. Dann fiel der Vorhang, das Publikum war weg, und man fragt sich heute: Was hat PUSH gebracht?
Zwar wurde noch 1999 "Wissenschaft im Dialog" (WiD) gegründet, ein vor allem von großen Wissenschaftseinrichtungen finanzierter Verein, der in seiner Berliner Zentrale heute mit etwa vier Dutzend Mitarbeitern vieles entwickelt, was den Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft voranbringen soll (allein hundert verschiedene Vermittlungsformate sind auf einer WiD-Page beschrieben). Und auch der "Informationsdienst Wissenschaft" (idw) wurde damals substantiell weiterentwickelt und dient heute tausend wissenschaftlichen Einrichtungen zur Verbreitung ihrer Pressemitteilungen.
Trotzdem schienen die PUSH-Initiatoren bald das Interesse an dem Prozess zu verlieren, den sie selbst angestoßen hatten. Kommunikative Leistungen spielen bis heute kaum eine Rolle bei Förderzusagen oder Berufungen, ganz zu schweigen von der versprochenen Etablierung als wissenschaftliches Reputationsmerkmal. Am meisten mag man bedauern, dass die Gelegenheit von PUSH nicht genutzt wurde, um eine institutionenübergreifende, nationale Kommunikationsstrategie zu entwickeln. Statt die Einhaltung der selbstgesteckten Ziele zu überwachen, ließ das einstige Bündnis der Entwicklung freien Lauf. Vielleicht auch, weil in den Folgejahren aus den Partnern zunehmend Rivalen wurden beim Wettlauf um Reputation, Rankings und Ressourcen aus öffentlicher Hand. Und weil Hochglanz-Marketing wichtiger wurde als der mühsame Aufklärungsdialog mit Nicht-Wissenschaftlern und der interessierten Bevölkerung.
Der Bündniszerfall hat Folgen bis heute: Wird die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft auf breiter Front herausgefordert – man denke an die aktuelle Stickstoffdioxid- und Feinstaubdebatte –, ist sie zu keiner übergreifenden, vor allem raschen Gegenwehr in der Lage. Bis der behäbige Betrieb seine Argumente in einem Peer-Review-Verfahren überprüft hat, haben wissenschaftskritische Agitatoren die öffentliche Meinung längst gekapert. Da gleichzeitig die wissenschaftsjournalistische Kompetenz verlorengegangen ist (die zu PUSH-Zeiten gerade ihre Boomphase hatte), tragen auch die etablierten Medien inzwischen häufig eher zur Verwirrung der Öffentlichkeit bei als zu ihrer Orientierung; Claus Klebers Interview mit dem Lungenarzt Dieter Köhler im "heute journal" markierte einen Tiefpunkt.
Die ausgebliebene formelle Verankerung, die oft bloß simulierte Begeisterung der Führungskräfte für Wissenschaftskommunikation und die daraus resultierende mangelnde Wertschätzung für PR-Aktive haben verhindert, dass Wissenschaftskommunikation ein selbstverständlicher Teil der akademischen Ausbildung und des Wissenschaftsbetriebs geworden ist. Nach wie vor fragen sich viele Forscher, welchen realen Nutzen sie davon haben, wenn sie sich angesichts chronischer Überlastung auch noch mit Wissenschaftsvermittlung befassen sollen?
Die meiste Verantwortung für das Gelingen von Wissenschaftskommunikation wurde von der Wissenschaft an die Pressestellen der Hochschulen und Forschungseinrichtungen delegiert. Hier sind die Kommunikationsfachleute einer stetig wachsenden Zahl von Zielkonflikten ausgesetzt. Im politisch gewollten Wettbewerb um Exzellenz und Drittmittel müssen sie die eigene Institution und deren Leitung verherrlichen. Sie müssen die Ambitionen jener Forscher zügeln, die Pressemitteilungen für den eigenen Reputationsaufbau nutzen. Sie müssen auf immer mehr Kanälen, vor allem digitalen, den Diskurs mit einer fragmentierten, zunehmend herausfordernden Öffentlichkeit steuern, müssen Kinderunis, Science Slams und Medientrainings organisieren und am Ende mit der Enttäuschung leben, trotz ihres Mandats und ihrer Expertise von vielen Wissenschaftlern nicht als Dialogpartner anerkannt und ernst genommen zu werden.
Illustriert wird diese Asymmetrie durch das Beispiel der "Leitlinien für gute Wissenschafts-PR", die 2016 von einem überinstitutionellen Arbeitskreis entwickelt wurden. Unter anderem plädiert das Papier dafür, mit Pressemitteilungen keine verfrühten Erwartungen zu wecken und auch mal die finanziellen Abhängigkeiten eines Projekts offenzulegen. Wie nötig solche Regeln sind, bewies zuletzt der Skandal am Heidelberger Universitätsklinikum. Dessen Pressestelle hatte im April, offenbar von interessengeleiteten Akteuren aus dem Haus dazu gedrängt, einen Bluttest angekündigt, der Brustkrebs bei Frauen in einem sehr frühen Stadium sichtbar machen sollte. Eine "Weltsensation" für die "Bild"-Zeitung – in Wahrheit aber eine Luftnummer, wie sich bald herausstellte.
Auch wenn die ethische und praktische Relevanz der "Leitlinien" unbestritten ist, lehnte der damalige Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Horst Hippler, es ab, sie den Hochschulen als Orientierungshilfe zu empfehlen, weil die Leitlinien "weit über das Thema Kommunikation hinausreichende Aussagen treffen, etwa zur guten wissenschaftlichen Praxis und zur Transparenz von Forschungskooperationen". Mit anderen Worten: Die Wissenschafts-PR hatte sich hier gedanklich in Sphären emporgeschwungen, wo sie nach Ansicht der HRK nichts verloren hat. Übrigens hat sich auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) bis heute zu keiner Befürwortung durchgerungen. Dabei hatte schon früher eine andere Expertenkommission vergleichbaren Handlungsbedarf identifiziert, die im Auftrag von Leopoldina, Acatech und Akademienunion Empfehlungen "zur Gestaltung der Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und den Medien" erarbeiten sollte. "Mit Besorgnis", heißt es im Abschlussbericht, beobachte man "Fehlentwicklungen" in der Wissenschaft und den Medien. Den Leitungsebenen werde deshalb geraten, gemeinsam mit Journalisten "ethische Grundsätze und Qualitätskriterien zur Kommunikation ihrer Forschungsergebnisse an die breite Öffentlichkeit" zu entwickeln. Reaktionen darauf gab es nicht. Soeben haben sich aber die führenden Technischen Universitäten (TU9) zusammengetan und eine neue Expertenrunde Kommunikation gegründet.
Außerdem mischt sich jetzt die Politik ein. Im April luden die Koalitionsparteien zu Expertenrunden, und Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) ließ eine Kleine Anfrage der Grünen mit 28 Seiten Texten und Tabellen beantworten, aus denen hervorgeht, an welchen Stellen die Bundesregierung Druck machen will. So wird "ein tiefgreifender Wandel der Anerkennungskultur für wissenschaftskommunikatives Engagement im Forschungsalltag" gefordert, "eine stärker wissenschaftsbasierte Wissenschaftskommunikation, mehr Forschungskapazität in diesem Feld sowie eine bessere Evaluation und Wirkungsmessung von Maßnahmen der Wissenschaftskommunikation". Und auch der darbende Wissenschaftsjournalismus wird nicht vergessen: Man prüfe derzeit, "inwiefern der Wissenschaftsjournalismus unterstützt werden kann, ohne dass die journalistische Unabhängigkeit oder der freie Wettbewerb im Medienbereich beeinflusst werden." Im Raum steht eine Stiftungsidee.
Trotz aller Skepsis gegenüber politischer Ankündigungsrhetorik, es scheint, als habe die Politik besser als die Wissenschaftslenker verstanden, dass die Wissenschaft handeln muss, wenn sie ihre Reputation verteidigen will. Laut Wissenschaftsbarometer 2018 bezweifeln immer mehr Bürger, dass die Wissenschaft unabhängig sei und sich am Allgemeinwohl orientiere. Dass diese Elitenskepsis wächst, bietet wiederum jenen Kritikern eine Steilvorlage, die schon lange behaupten, Wissenschafts-PR tauge nicht als Instrument, um gesellschaftliche Haltung zu beeinflussen. Die von der Politik geforderte Wirkungsmessung könnte hier Klärung bringen. Ein substantieller Ausbau der Kapazitäten im Forschungsfeld "Science of Science Communication" wäre die Voraussetzung dafür. Was also hat PUSH gebracht? Eine Menge gute Anstöße. Und viele unerledigte Aufgaben. Wer packt sie endlich an?
Jens Rehländer