Beschleunigen Ribonucleoprotein-Partikel biochemische Prozesse in Zellen? - Ein "Experiment!"
Kashif Sadiq untersucht die Geschwindigkeit enzymatischer Reaktionen in membranlosen Partikeln – und stellt mit seinem Ansatz Paradigmen der Molekularbiologie mutig infrage. Ein klarer Fall für die Förderinitiative "Experiment!". Nächster Stichtag ist der 1. August 2018.
Der Physiker Dr. Kashif Sadiq vom Heidelberger Institut für Theoretische Studien (HITS) erforscht die biophysikalischen Eigenschaften von Ribonucleoprotein-Partikeln, einer verdichteten Form biologischen Materials in Zellen. Er untersucht, ob die Geschwindigkeit enzymatischer Reaktionen in diesen membranlosen Partikeln beschleunigt ist. Falls ja, könnte die Forschung neue Erkenntnisse darüber gewinnen, wie biochemische Prozesse in Zellen reguliert werden.
Ungewöhnliche Reaktionseinheiten ohne Membran
Zellen werden als Grundeinheit des Lebens betrachtet. Jede einzelne Zelle ist eine dynamische kleine Welt mit Milliarden von Molekülen, die an komplexen biochemischen Reaktionen beteiligt sind. Zellen kontrollieren viele dieser Reaktionen, indem sie die jeweils benötigten Moleküle in von Membranen umhüllte Untereinheiten separieren. Geraten Zellen unter Stress, etwa durch extreme Temperaturen, mechanische Beschädigung oder giftige Substanzen, können sie erstaunlicherweise auch vergleichbare Einheiten ohne Membran bilden. Solche Partikel enthalten oft dicht gepackte, sich selbst-organisierende Mischungen aus Proteinen und langen Biopolymeren wie Ribonucleinsäuren (RNA), die zusammen auch als Ribonucleoproteine (RNP) bezeichnet werden.
Spannenderweise können die Partikel zeitgleich in verschiedenen Zuständen existieren: flüssig, als Gel, fest oder sogar irgendwo dazwischen. Ihre Funktion ist jedoch noch immer größtenteils unbekannt. Kashif Sadiq wird deshalb die biophysikalischen Eigenschaften solcher membranloser Partikel unter Verwendung von Theorie und Computersimulationen untersuchen. Sein unabhängiges Forschungsprojekt "RNA Epicatalysis” hat kürzlich begonnen und wird für 18 Monate über eine "Experiment!”-Förderung der VolkswagenStiftung unterstützt.
Welche Rolle spielt die RNA?
Sadiq geht in dem Projekt der Frage nach, ob die Geschwindigkeit enzymatischer Reaktionen in solchen Partikeln beschleunigt wird. Er will herausfinden, welche Faktoren die Eigenschaften der Partikel beeinflussen und regulieren. Ist die RNA lediglich Teil des Biomaterials oder aktive, treibende Kraft in diesem Prozess? Welche physikalischen Prinzipien stützen eine beschleunigte Katalyse, sofern diese vorliegt? Können bestimmte makromolekulare Anordnungen die Diffusion in solchen Biomaterialien erleichtern? All diese Fragen konnten bislang nicht beantwortet werden.
"Sollte es zutreffen, dass die Bildung solcher Partikel Reaktionen sogar beschleunigen kann, so würde dies einige Paradigmen der Molekularbiologie in Frage stellen", sagt Dr. Sadiq. "Es würde bedeuten, dass es zusätzlich zu der bekannten enzymatischen Regulierung in Zellen noch eine weitere, übergeordnete Form der Katalyse gibt.”
Eine beeindruckende Forscherkarriere
Kashif Sadiq studierte Naturwissenschaften an der University of Cambridge. Er promovierte am University College London in theoretischer Biophysik und arbeitete anschließend als Postdoc in Großbritannien und Spanien, wo er molekulare Dynamik, Assemblierung von Makromolekülen und katalytische Reaktionen von Biomolekülen und Biopolymeren untersuchte. Seit 2016 forscht Kashif Sadiq in der "Molecular and Cellular Modeling”-Gruppe (Leitung: Prof. Rebecca Wade) am HITS.
Über die Förderinitiative "Experiment!"
Die im November 2012 initiierte Förderinitiative "Experiment!” der VolkswagenStiftung richtet sich an Forscherinnen und Forscher, die radikal neue, aber auch riskante Forschungsideen austesten möchten. Ein Fehlschlagen des Konzeptes ist daher ebenso ein akzeptables Ergebnis wie das Erbringen neuer, unerwarteter Erkenntnisse. Die Initiative erfreut sich mit durchschnittlich mehr als 500 Anträgen pro Stichtag einer außerordentlich großen Resonanz. Seit 2017 werden die Projekte in einem teil-randomisierten Verfahren per Jury und per Los ausgewählt. Der nächste Stichtag ist der 1. August 2018.